Eine exemplarische Pre-Code-Heldin ist Lily Powers, grandios verkörpert von Barbara Stanwyck. Lily wächst in der zwielichtigen Spelunke ihres Vaters auf, für den sie sich prostituieren muss. Als er stirbt, nimmt sie sich den Rat des einzigen Mannes zu Herzen, der es gut mit ihr meint: Männer zu benutzen, statt sich von ihnen benutzen zu lassen. Sie ergreift eine Gelegenheit wegzufahren und angelt sich zielsicher einen Job in einem grossen Bankgebäude in Manhattan. Skrupellos und völlig unsentimental macht sich Lily systematisch an ihren finanziellen und gesellschaftlichen Aufstieg: Von Stockwerk zu Stockwerk geht es immer höher hinaus, die Männer, die ihr dazu verholfen haben, bleiben beschädigt zurück. Ihre einzige Loyalität gilt ihrer schwarzen Hausangestellten Chico. Der Film ist eines der wenigen Beispiele der Zeit, in denen Afroamerikaner nicht auf degradierende Stereotypen reduziert wurden. (al)
Zur Fassung: Es handelt sich – anders als bei der Vorführung im Filmpodium im Rahmen der Barbara-Stanwyck-Reihe von Januar/Februar 2011 – um die von der Library of Congress 2004 entdeckte unzensierte und restaurierte Fassung; am Schluss sind Sequenzen beigefügt, die zeigen, wie die Zensoren den Film geschnitten haben. Zur Zensurgeschichte dieses Films beachten Sie bitte den weiterführenden Text auf unserer Website.
«Lily ist Barmaid in der schäbigen Kneipe ihres Vaters in Pennsylvania. Der gute alte Papa ist auch ihr Zuhälter. Er bringt ihr die nötigen Kniffe bei, bis die Brennerei explodiert und das Ganze mit ihm in Flammen aufgeht. Lily ist das egal. Inspiriert von Nietzsches Philosophie (!), begreift sie, dass sie lernen muss, die Männer zu ihrem Vorteil auszunutzen. Sie geht nach New York, sucht Arbeit in einer Bank (…) und schläft sich buchstäblich nach oben – die Kamera symbolisiert ihren Aufstieg, indem sie an der Fassade des Bankenwolkenkratzers hochfährt. (…) In kürzester Zeit wird Lily zur Mätresse in vollem Ginger-Rogers-Prunk, umgeben von hinreissenden Art-déco-Möbeln und drapiert in Pelzen und Juwelen.» (Don Willmott, filmcritic.com)
Preserved by the Library of Congress.
Baby Face ist eines der berühmtesten Beispiele für die relative Freizügigkeit von Hollywoodfilmen vor der Einführung des sogenannten Production Code, mit dem sich die amerikanische Filmindustrie der Selbstzensur unterwarf, um das Risiko von Boykottaufrufen konservativer Lobbys zu minimieren. Schon im Drehbuchstadium gab es Ratschläge, das «Sex-Element» zurückzunehmen. Ausserdem sollte Lily ihren Reichtum wieder einbüssen und in ihre Heimatstadt zurückkehren müssen. Obschon der amerikanische Produzenten- und Verleiherverband das geänderte Drehbuch genehmigt hatte, verlangte er weitere Änderungen am fertigen Film aufgrund des seit 1930 bestehenden, aber erst 1934 in voller Schärfe wirksamen Production Code. Zu den nachträglichen Änderungen gehörte etwa eine Szene in der ein älterer Mentor Lily rät, zur Erreichung ihrer Ziele alle Mittel einzusetzen. Der Satz «A woman, young, beautiful, like you are, can get anything she wants in the world.» wurde ergänzt um: «But there is a right and a wrong way. Remember the price of the wrong way is too great.» Trotz diesen Änderungen wurde der Film an vielen Orten verboten. Er war jahrzehntelang nicht mehr zu sehen und tauchte erst in den späten achtziger Jahren auf Video und am Fernsehen wieder auf. 2004 wurde eine Kopie der unzensierten (und nie öffentlich gezeigten) Fassung in der Library of Congress entdeckt. (nach: Dawn B. Sova: Forbidden Films, Checkmark Books 2001)
Drehbuch: Gene Markey, Kathryn Scola, nach einer Story von Darryl F. Zanuck [alias Mark Canfield]
Kamera: James Van Trees
Musik: Harry Akst, W. C. Handy, Leo Friedman
Schnitt: Howard Bretherton
Mit: Barbara Stanwyck (Lily Powers), George Brent (Courtland Trenholm), Donald Cook (Ned Stevens), Alphonse Ethier (Adolf Cragg), Henry Kolker (J. P. Carter), Margaret Lindsay (Ann Carter), Arthur Hohl (Ed Sipple), John Wayne (Jimmy McCoy Jr.), Robert Barrat (Nick Powers), Douglas Dumbrille (Brody), Theresa Harris (Chico)
74 Min., sw, 35 mm, E/d