Twin Peaks: Fire Walk with Me
«Fire Walk with Me konnte nie ein einfacher Film werden. Er musste sich mit Kindsmissbrauch und Mord auseinandersetzen, mit Drogenhandel und Sucht, Dämonie und Besessenheit, Dominanz und sadomasochistischer sexueller Perversion, den ganzen pikanten Unterwelts-Promiskuitäten, die die Serie der Fantasie des Publikums überlassen hatte. Wer die Serie und Lynchs Werk kannte, musste bis zu einem gewissen Grade wissen, was zu erwarten war, doch die schiere vorsätzliche Brutalität und die scheinbare Hemmungslosigkeit sowie die Unergründlichkeit der veröffentlichten Filmversion vermochten dennoch viele zu verblüffen. (...)
Die Vermischung von Absurdität und Horror, um eine traumähnliche und verstörende Wirkung zu erzielen, ist Lynchs Markenzeichen geworden, von den Hühnchen in Eraserhead bis zu dem Penner hinter dem Diner in Mulholland Drive. Nirgends in seinem Werk wendet er diese Technik so effektiv an wie in Fire Walk with Me. Das plötzliche Umschlagen des Tonfalls von Freude oder Geborgenheit in überwältigende Traurigkeit, Beklommenheit, Todesangst und wieder zurück ist die wohl wirksamste emotionale Waffe des Films, und Lynch setzt sie unerbittlich ein. (...)
Lynch ist schon wiederholt der Frauenfeindlichkeit bezichtigt worden, doch in mancher Hinsicht ist sein Entschluss, zurückzugehen und Lauras Geschichte zu erzählen, höchst verantwortungsbewusst – so wird sie zu mehr als nur einem Opfer, der Zahl in einer Statistik, dem metaphorischen Abbild der Übergriffe einer ganzen Stadt. Sie ist ein lebendiges, atmendes Mädchen und eine komplexe, brutal ehrliche Figur. Zum ersten Mal gestattet man uns einen Einblick in ihre Stärken, nicht nur ihre Schwächen, ihre Loyalität und Tapferkeit selbst nach all den Jahren Missbrauch, die sie zu etwas verformt haben, das sie selbst als schlecht und verdorben erkennt.
Fire Walk with Me ist nämlich, bei allen metaphysischen Kinkerlitzchen und zugegebenermassen hemmungslosen Ausflügen in surrealistische Symbolik, im Wesentlichen eine Geschichte über familiären Missbrauch und dessen Folgen, was 1992 für das amerikanische Mainstream-Kino immer noch ein kühnes Thema ist. (...) Der schiere Horror von Lauras Situation wird nie ausgeblendet, nie geschönt, die Komplexität ihres inneren Kampfs nie vereinfacht. Sie wird als kalt und eigennützig dargestellt, promiskuitiv und gefühllos, schliesslich als lebensmüde. Und doch bleiben wir durchwegs bei ihr, werden in ihre Albtraumwelt hineingezogen, teilen ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihr Bedürfnis, andere zu beherrschen und sie auf ihre Ebene herunterzuziehen. In jedem Augenblick verstehen wir, warum sie sich so verhält, wir wissen, dass sie nie eine andere Wahl hatte. Und darin liegt die herzzerreissende Macht dieses Films. Lynch wendet nie den Blick ab, und niemals trivialisiert er sein Thema.» (Tom Huddleston, notcoming.com, 20.4.2006)
Twin Peaks: The Missing Pieces
Als David Lynch 1992 Fire Walk with Me herausbrachte, musste er eine ganze Menge Szenen kürzen oder komplett herausschneiden, um eine kinotaugliche Laufzeit zu erreichen. Diese verschollenen Teile galten in Fankreisen lange als der «Heilige Gral»; alle wollten sie sehen, umso mehr, als keine Hoffnung bestand, dass die Serie jemals fortgesetzt bzw. abgeschlossen würde. Das komplette Drehbuch zum Spielfilm konnte zwar nachgelesen werden, aber der wesentliche Aspekt von Lynchs Inszenierung fehlte.
Lynch selber wollte diese Fragmente nicht veröffentlichen, ohne sie vorher richtig zu schneiden und zu vertonen, was aus wirtschaftlichen Gründen unwahrscheinlich anmutete. Erst 2014, als die von ihm überwachte, restaurierte Blu-ray-Edition der ganzen Twin Peaks-Saga erschien, wurden auch die legendären «Missing Pieces» enthüllt.
Viele Szenen aus dem Film werden in der ausgedehnten und ergänzten Form verständlich(er) – etwa der mysteriöse Auftritt von David Bowie als Agent Jeffries –, während zahlreiche Figuren aus der Serie, die zu deren Komik und Charme beigetragen hatten, erstmals im Rahmen der Filmhandlung zu sehen sind. Insgesamt wirken die «Missing Pieces» wie eine Abrundung des etwas zu beklemmend geratenen Spielfilms und rücken diesen stimmungsmässig wieder in die Nähe der Serie.
Gesamtdauer: 227 Min.
«Fire Walk with Me konnte nie ein einfacher Film werden. Er musste sich mit Kindsmissbrauch und Mord befassen, mit Drogenhandel und Sucht, Dämonie und Besessenheit, Dominanz und sadomasochistischer sexueller Perversion, den ganzen pikanten Unterwelts-Promiskuitäten, die die Serie der Fantasie des Publikums überlassen hatte.(...)
Lauras Situation wird nie ausgeblendet, nie geschönt, die Komplexität ihres inneren Kampfs nie vereinfacht. Sie wird als kalt und eigennützig dargestellt, promiskuitiv und gefühllos, schliesslich als lebensmüde. Und doch bleiben wir stets bei ihr, werden in ihre Albtraumwelt hineingezogen, teilen ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihr Bedürfnis andere zu beherrschen und sie auf ihre Ebene herunterzuziehen. Jederzeit verstehen wir, warum sie sich so verhält, wir wissen, dass sie nie eine andere Wahl hatte. Und darin liegt die herzzerreissende Macht dieses Films. Lynch wendet nie den Blick ab, und nie trivialisiert er sein Thema.» (Tom Huddleston, notcoming.com, 20.4.2006)
Drehbuch: David Lynch, Robert Engels, nach der Fernsehserie von Mark Frost, David Lynch
Kamera: Ronald Victor García
Musik: Angelo Badalamenti
Schnitt: Mary Sweeney
Mit: Sheryl Lee (Laura Palmer), Ray Wise (Leland Palmer), Moira Kelly (Donna Hayward), Kyle MacLachlan (Special Agent Dale Cooper), Chris Isaak (Special Agent Chester Desmond), Pamela Gidley (Teresa Banks), Phoebe Augustine (Ronette Pulaski), David Bowie (Phillip Jeffries), Harry Dean Stanton (Carl Rodd), Dana Ashbrook (Bobby Briggs), David Lynch (Gordon Cole), Michael J. Anderson (Mann von einem anderen Ort)
135 Min., Farbe, Digital HD, E/d
Als David Lynch 1992 Fire Walk with Me herausbrachte, musste er eine ganze Menge Szenen kürzen oder komplett herausschneiden, um eine kinotaugliche Laufzeit zu erreichen. Diese verschollenen Teile galten in Fankreisen lange als der «Heilige Gral». Erst 2014, als die von ihm überwachte, restaurierte Blu-ray-Edition der ganzen Twin Peaks-Saga erschien, wurden auch die legendären «Missing Pieces» enthüllt.
Viele Szenen aus dem Film werden in der ausgedehnten und ergänzten Form verständlich(er) – etwa der mysteriöse Auftritt von David Bowie als Agent Jeffries –, während zahlreiche Figuren aus der Serie, die zu deren Komik und Charme beigetragen hatten, erstmals im Rahmen der Filmhandlung zu sehen sind. Insgesamt wirken die «Missing Pieces» wie eine Abrundung des etwas zu beklemmend geratenen Spielfilms und rücken diesen stimmungsmässig wieder in die Nähe der Serie.
Drehbuch: David Lynch, Robert Engels
Kamera: Ronald Victor García
Musik: Angelo Badalamenti
Schnitt: Mary Sweeney
Mit: Sheryl Lee (Laura Palmer), Ray Wise (Leland Palmer), Grace Zabriskie (Sarah Palmer), Chris Isaak (Special Agent Chester Desmond), Gary Bullock (Sheriff Cable), David Bowie (Phillip Jeffries), Kyle MacLachlan (Special Agent Dale Cooper), Moira Kelly (Donna Hayward), Jack Nance (Pete Martell), Joan Chen (Joyce Packard), Michael Ontkean (Sheriff Harry S. Truman)
92 Min., Farbe, Digital HD, E/d