Kurz nach dem Mauerfall drehte der junge tadschikische Regisseur Bachtijar Chudojnasarow (1965–2015) (Luna Papa) seinen Erstling über ein ungleiches Brüderpaar. Bratan, ein rührendes und witziges Rail-Road-Movie, führt per Bummelzug quer durch die pittoreske tadschikische Steppe – und wieder zurück.
Der pausbäckige Siebenjährige, der «Pfannkuchen» genannt wird, wächst seit der Scheidung ihrer Eltern mit seinem zehn Jahre älteren Bruder bei der Grossmutter auf. Nun findet der Grosse, es sei an der Zeit, dass der Vater sich um den Kleinen kümmere. Er nimmt «Pfannkuchen» mit auf den gammeligen Zug, der in die weit entfernte Stadt zockelt, wo der Vater wohnt. Unterwegs durchs tadschikische Hinterland erleben die beiden Jungen allerlei komische und traurige kleine Abenteuer und seltsame Begegnungen. Als sie beim Vater ankommen, hat dieser keine Lust, für seinen kleinen Sprössling zu sorgen. Und «Pfannkuchen» hat schon eigene Vorstellungen davon, wie sein Leben aussehen sollte.
«Bachtijar Chudojnasarows Debütfilm wurde an mehreren Festivals mit Preisen geradezu überhäuft. Zu Recht. Aus einem vorerst dünnen, vom Regisseur und einem seiner Freunde verfassten Drehbuch ist durch Improvisation auf dem Set ein kleines filmisches Juwel geworden. (…) Viel wichtiger als die misslichen Umstände ist etwas anderes: die Beziehungen von Mensch zu Mensch, das herzliche Verhältnis der beiden Brüder. Ihre Zärtlichkeit und Liebe – ohne Pathos, eindringlich und gleichzeitig unaufdringlich gezeigt – sind von einer Art, wie sie selten zu sehen ist im Kino. Bratan ist ein ebenso sinnliches wie intelligentes Spiel aus Licht und Schatten, ein herzerwärmender Film.» (Judith Waldner, Zoom 9/92)
Bratan wurde unter der Leitung von Bachtijar Chudojnasarows Freund und Regiekollegen Veit Helmer (Tuvalu) restauriert und 2022 in Venedig in der Sektion Venice Classics aufgeführt.
«Das kleine Brüderchen fährt mit seinem älteren Bruder in die Stadt, wo der Vater der Kinder wohnt, die seit der Scheidung ihrer Eltern bei der Grossmutter aufwachsen. Der Grosse will, dass der Vater die Erziehung des Kleinen übernimmt, und er versucht, allen einzureden, dass die Zeit dafür reif ist. Allerdings hat der Titelheld Bratan – das Brüderchen eben – bereits seinen eigenen Kopf. (…) Eigentlich geht es in dem wundervoll beflügelten Filmdebüt von Bachtijar Chudojnasarow um nichts anderes als eine abenteuerliche Fahrt durch die tadschikische Steppe mit einem uralten, bummeligen Güterzug. Der Film ist eines der schönsten Beispiele eines Rail-Road-Movies. Um leinwandfüllende Bilder von einmaliger Frische, in die die Wirklichkeit des einfachen Lebens gebettet ist. Er ist getragen von einem eigenwilligen Rhythmus und den Trommeln der Steppe, und es geht ein seltsamer Zauber von dieser lakonisch gestalteten Bilderreise aus, die den Filmemacher auszeichnete.» (trigon-film)
«Lustig, schön, rührend. Man möchte nicht, dass er je ankommt, dieser Zug, man möchte verstehen, warum diese Menschen, von denen man nichts weiss, plötzlich so interessant und einem so nah sind. Das schöne Sfumato-Schwarzweiss wirkt weder armselig noch kokett, nur wie ein passender Spiegel für die Materialien und Gesichter.» (Jean-Michel Frodon, Le Monde, 17.12.1993)
Drehbuch: Leonid Machkamow, Bachtijar Chudojnasarow
Kamera: Georgi Dsalajew
Musik: Achmad Bakajew
Schnitt: Tatjana Malzewa
Mit: Timur Tursunow («Pfannkuchen»), Firus Sabsalijew (Farruch), N. Arifowa (Lilja), I. Tabarowa (die Grossmutter), R. Kurbanow (der Vater), N. Bekmurodow (der Lokomotivführer)
94 Min., Farbe, DCP, Tadsch/d, ab 9