Reedition: (K)ein schwarzer John Wayne
Viele der klassischen Filme John Fords sind zum Inbegriff des Western geworden. Mit Sergeant Rutledge kann das Filmpodium einen von Fords antirassistischen Spätwestern präsentieren, der lange Zeit nicht mehr zu sehen war.
Die klassischen Westernfilme haben, unter dem Deckmantel grosser Abenteuer, oft grundlegende Probleme der amerikanischen Gesellschaft, ihres Zusammenhalts und ihres Auseinanderdriftens gespiegelt. Gegen 1960 tauchte im Western immer stärker jene Problematik auf, die das Land im Zeichen der erstarkenden Bügerrechtsbewegung zunehmend beschäftigte: der lange Zeit fast selbstverständliche Rassismus der amerikanischen Gesellschaft. Der Western als Genre, das während Jahrzehnten die Indianer als die «Bösen» vom Dienst zeigte, hatte da ja einiges zu bewältigen.
Während John Ford (1894–1973) ansatzweise schon in The Searchers (1956) und radikaler dann in seinem letzten grossen Western Cheyenne Autumn (1964) das Indianer-Klischee aufbrach, sind es 1960 in Sergeant Rutledge noch einmal die «bösen» Apachen, von denen Gefahr droht; zum Kristallisationspunkt rassistischer Haltungen wird indessen eine schwarze Hauptfigur.
Lincolns frommer Wunsch
Den Rahmen des Films bildet die Militärgerichtsverhandlung gegen Rutledge, einen vorbildlichen schwarzen Soldaten; er wird einer Vergewaltigung und der Ermordung eines Offiziers beschuldigt, von seinem direkten Vorgesetzten aber verteidigt. Ford zeichnet schonungslos die Lynchstimmung in der weissen Zivilbevölkerung, die Sensationslust der Offiziersgattinnen und die rassistische Vorverurteilung durch den Ankläger. Ausgehend von den Zeugenaussagen, wird die Story in Rückblenden erzählt.
Wie oft bei Werken, die in ihrer Zeit relativ fortschrittlich waren, ist es in Sergeant Rutledge das Moderate der Positionen, das heute zuerst auffällt: Der Verdacht gegen den Angeklagten erscheint nur deshalb als fragwürdig, weil er ein vorbildlicher Soldat, ein heldenhafter Kamerad ist, der sich einer weissen Lady gegenüber zu benehmen, den «gebührenden» Abstand zu ihr zu halten weiss. Als freigelassener Sklave hat er in seiner schwarzen Kavallerieeinheit eine Art Heimat gefunden, die ihm ein gewisses Selbstbewusstsein gibt. Rutledges Auflehnung beschränkt sich auf die Klage: «It was alright for Mr. Lincoln to say we are free, but that ain’t so. Not yet.» Immer wieder wird die Hoffnung beschworen, dass es «eines Tages» anders sein werde …
Rutledge-Darsteller Woody Strode hat betont, was es für ihn bedeutete, diese Rolle spielen zu können: Erstmals war es einem Schwarzen vergönnt, bravourös einen Abhang hinunterzureiten wie John Wayne, fast statuenhaft wird er in Untersicht als Held auf seinem Pferd gezeigt. Das Pionierhafte der Rutledge-Rolle wird jedoch dadurch relativiert, dass der tapfer gegen Vorurteile ankämpfende weisse Verteidiger die eigentliche Hauptfigur des Films ist. Ihr wird auch ein romantisches Happy End gegönnt – während Rutledge «seinen Platz» wiedergefunden hat: Er darf mit seiner Einheit salutierend am Rande vorbeiziehen.
Filmhistorisch gesehen, hat Ford dazu beigetragen, im US-Kino den Weg frei zu machen für radikalere Darstellungen der Rassendiskriminierung – auch im Western. Seine unmittelbare Wirkung auf ein heutiges Publikum verdankt Sergeant Rutledge jedoch der ungebrochenen Inszenierungskraft und starken Darstellerführung des damals 65-jährigen Altmeisters. Der Konventionalität der Gerichtsszenen setzt er eindrücklich die Aussenaufnahmen im Monument Valley entgegen. Lässt er Erstere stellenweise in der offensichtlichen Künstlichkeit einer theaterhaften Ausleuchtung erscheinen, wirkt im Kontrast die Filmkünstlicheit einer Vollmondnacht im Nebel doppelt stark.
Martin Girod