Komödiantinnen: Frauen, die aus der Rolle fallen
Eine den Komödiantinnen gewidmete Filmreihe lässt sich zunächst einmal als erfrischender sommerlicher Kinospass geniessen und als Hommage an die Spielfreude vieler Darstellerinnen. Man kann darin aber auch ein subversiv-vergnügliches Hinterfragen von sozialen und Geschlechterrollen sehen und Anschauungsmaterial zur spielerischen Herstellung von Illusionen und Desillusionierung.
Lange Zeit hielt das Theater für Schauspielerinnen primär die Rollen der jugendlichen Liebenden, der edlen Primadonna und der Heldenmutter bereit. Im komischen Fach dominierten die Männer; nur die muntere Zofe, als Frau niedrigeren Standes, oder ein schrulliges altes Weib durften komisch sein. Im Film als Kunst des 20. Jahrhunderts sind solche Rollenfächer obsolet – sollte man meinen.
Natürlich haben die meisten Filmkomödien auch eine weibliche Hauptrolle, und man wäre aus der Erinnerung geneigt, viele davon dem komischen Fach zuzurechnen. Doch bei näherem Wiedersehen zeigt sich: Komisch sind oft nur die Situationen und Dialoge; die Darstellerinnen spielen zwar munter und psychologisch glaubwürdig ihren Part, machen gute Miene zum ausgelassenen Spiel, sind «good sports», oft wird eher mit ihnen gespielt oder ihnen arg mitgespielt, als dass ihr eigenes Spiel wirklich komisch wäre. Tief sitzende Vorstellungen von der «Würde der Frau» und ihrer eher passiven Rolle, aber auch das Widerstreben der Filmindustrie, ihre Stars dem (vermeintlich abwertenden) Gelächter preiszugeben, trugen zu dieser Zurückhaltung wohl gleichermassen bei.
Lustvolle Grenzüberschreitungen
Wie absurd die Annahme wäre, komisches Talent und Temperament seien nun mal nicht Sache der Frauen, zeigt der Blick in die Filmgeschichte. Als frühes Paradebeispiel kann Asta Nielsen dienen: Während die Produzenten sie noch und noch für die Rolle der tragisch Liebenden wollten, wehrte sich die die ebenso erfolgreiche wie vielseitige Schauspielerin konsequent dafür, zwischen den grossen Melos auch immer wieder Lustspiele zu drehen, in denen sie ihre komödiantische Ader mit offensichtlichem Genuss auslebte. Wie ihr kam vielen komödiantischen Schauspielerinnen, etwa Mabel Normand oder Ossi Oswalda, die Slapstick-Seite des Stummfilms zugute.
Zum Wesen der Komödiantinnen wie der Komödianten gehört die Freude, mit der sie unterschiedliches Rollenverhalten durchspielen. Was Grundantrieb jeglicher Schauspielerei ist, verstecken sie nicht, sondern machen es sichtbar und führen es mit Genuss vor. Dass das Komödiantische im Kino trotzdem lange Zeit Ausnahmewert hat, dürfte darin begründet sein, dass es mit Leichtigkeit Grenzen überschreitet, die gesellschaftliche und künstlerische Konventionen gezogen haben.
Die Komödiantinnen brechen spielerisch die konventionellen Rollenfixierungen und deren Antagonismen auf. Sie lassen uns die in ein und derselben Person schlummernden Anlagen zum Tramp und zur Lady erkennen. Sie zeigen, dass eine Frau durchaus fügsam und dominant, erleidend und lenkend, mütterlich und sinnlich, tragisch und komisch, denkend und gefühlvoll sein kann. Mal ist sie das eine, mal das andere, manchmal – das ist die höchste Stufe der Komödiantinnenkunst – sogar beides zugleich: Man sehe sich etwa an, wie Katharine Hepburn in David Leans Summertime sowohl das Strahlen der Verliebtheit spürbar macht, als es auch mit dem angstvollen altjüngferlichen Verdrängen der Verliebtheit zudeckt!
Vollends subversiv wird das Aufbrechen der Rollenfestlegungen im Gender-Bereich, wenn sich die Filmfrauen mit unwiderstehlicher Komik «männliches» Terrain und Verhalten aneignen. Nicht umsonst sind Hosenrollen eines der klassischen Betätigungsfelder für Komödiantinnen auf der Bühne wie im Film, ob aus der Story heraus begründet (wie Ossi Oswaldas Emanzipationsversuch in Ich möchte kein Mann sein von Ernst Lubitsch) oder pure künstlerische Besetzungsakrobatik wie Liesl Karlstadts Auftritte als Dirigent, als Firmling und in anderen Männerrollen. Solche Verkleidungen erlauben es, gesellschaftliche Rollenkonventionen bewusst zu machen und sie zu hinterfragen. Auch in diesem Bereich liefert Katharine Hepburn eines der frappantesten Beispiele mehrschichtiger spielerischer Verfremdung: Wenn die verliebte Sylvia (in Sylvia Scarlett), nachdem sie als Sylvester in Männerkleidern aufgewachsen ist, sich in einem (gestohlenen) Damenkleid als Frau outen möchte, sich aber darin hoffnungslos komisch in den antrainierten Männergesten bewegt, wird jede Geschlechterdichotomie ad absurdum geführt.
Spielerische Verfremdung
In dem Mass, wie das komödiantische Spiel das den Menschen eigene Potenzial zu mehr als einer sozialen Rolle offenbart, wohnt ihm eine zutiefst befreiende Wirkung inne, die durchaus auch eine gesellschaftliche Sprengkraft hat. Doch auch der Identifikationsdramaturgie des klassischen Tonfilms hollywoodscher Prägung läuft solches Aufbrechen klar zuwider: Um als eindeutiges Identifikationsobjekt zu dienen, werden die Filmfiguren mit Vorliebe auf ein bestimmtes Rollenklischee festgelegt. Weniger eindeutig gezeichnete Figuren betrachtet das Publikum eher von aussen. Der spielerische Charakter des Vorführens unterschiedlicher Verhaltensweisen macht die künstlerische Gestaltung zudem tendenziell sichtbar, statt sie in konventioneller Weise zu verstecken, weil wir fast komplizenhaft der Darstellerin beim Durchspielen der Rollenfacetten zuschauen.
Die Nichtidentifikation, der wissende Blick ermöglichen erst das Vergnügen. Wenn Asta Nielsen (in Engelein) eine 16-Jährige spielt, die als 12-Jährige ausgegeben wird und sich daher entsprechend kindlich benehmen darf, «glaubt» niemand im Publikum der 30-jährigen Schauspielerin die Halbwüchsige oder gar das Kind; das Vergnügen des Zuschauers entspringt dem Beobachten, wie Asta Nielsen das eine wie das andere Alter mit treffenden Verhaltensweisen zeichnet: An die Stelle der Einfühlung tritt eine fast artistische komödiantische Charakterisierungskunst. Deshalb (und nicht weil komödiantische Darstellungsformen in ernsteren Stoffen zwangsläufig deplatziert wären) überrascht es kaum, dass im US-Kino die Komödiantinnen vorwiegend in jenen Genres zu finden sind, die ohnehin als realitätsfern gelten, der Screwball Comedy und dem Musical.
Die Filme unserer Komödiantinnen-Reihe machen zuvorderst einfach unwiderstehlich Spass. Will man weiter suchen, sich auf die spielerische Verunsicherung ernsthafter einlassen, werfen sie grundsätzliche Fragen auf nach sozialen und Geschlechterrollen, nach der Natur der Schauspielkunst und dem Illusions- oder Desillusionscharakter der Filmkunst. Viel Vergnügen!
Martin Girod
Einige der angeführten Beispiele werden nicht im Rahmen dieser Reihe gezeigt, sondern stammen aus Filmen, die in letzter Zeit in anderem Zusammenhang auf dem Programm des Filmpodiums standen.