Commedia all'italiana: Unwiderstehliche Schlitzohren
Als Commedia all'italiana sind jene glänzenden Tragikomödien und Sozialsatiren bekannt, die dem populären italienischen Kino von den späten fünfziger bis in die siebziger Jahre zu einem Höhenflug verhalfen. Mit Stars wie Vittorio Gassman, Alberto Sordi und Ugo Tognazzi und einem Scharfblick für menschliche Schwächen zeichneten sie ein Sittengemälde vom Alltag des italienischen Wirtschaftswunders und der anschliessenden Krisenjahre. Obwohl vom damaligen Zeitgeist durchdrungen, wirken sie heute verblüffend aktuell.
«Bisogna farsi furbi!» (Du musst schlau sein!), so lautet das Lebensmotto, das in Dino Risis Episodenfilm I mostri (1963) ein Vater seinem Sohn eintrichtert. Zur Demonstration unterweist er den Siebenjährigen, wie man in der Pasticceria die Kassierin überlistet, indem man an der Theke mindestens dreimal mehr Süssigkeiten verdrückt als bezahlt, wie man als kerngesunder «Kriegsinvalider» ums Schlange stehen herumkommt und wie man überhaupt grundsätzlich jeden übers Ohr haut, der nicht zur engsten Familie gehört.
Die väterlichen Lektionen in Schamlosigkeit sind noch harmlos verglichen mit der Alltagspraxis von Risis gesammelten «Monstern»: Da wird mit Unschuldsmiene gemogelt, gelogen und betrogen, als handle es sich um einen Volkssport. Als satirisches Lehrbuch der Amoral ist I mostri prototypisch für die ganze Commedia all'italiana: Viele Figuren aus dieser Musterkollektion betrügerischer Typen – vom Ehebrecher und seinem weiblichen Pendant über den korrupten Politiker und den eitlen Opportunisten bis zum dummdreisten Neureichen – trifft man in Filmen der Commedia wieder.
Wendig und windig
Die Kunst, sich wendig mit jeder Lebenslage zu arrangieren, gilt unter Filmhistorikern als Schlüsselmotiv für die satirischen italienischen Komödien der sechziger und siebziger Jahre. Ein Meister dieser spezifisch italienischen Lebensphilosophie ist der Protagonist Bruno (Vittorio Gassman) in Risis Roadmovie Il sorpasso (1962). Scheinbar ziellos lässt sich dieser gehetzte Hedonist auf seiner Fahrt ins Blaue von spontanen Einfällen und dem Lustprinzip treiben und nutzt jede sich bietende Gelegenheit für einen kleinen Vorteil, einen Flirt, ein nicht ganz lupenreines Geschäft.
Mit seiner Begeisterung für Sportwagen und andere Fetische der Konsumgesellschaft verkörpert Bruno auch das italienische Wirtschaftswunder: Die späten fünfziger und frühen sechziger Jahre brachten einem Grossteil der Bevölkerung mehr Wohlstand und Zugang zu – freudig begrüssten – Konsumgütern. Gegenüber der rasanten Modernisierung im industrialisierten Norden und seiner massiv gewachsenen Stadtbevölkerung blieb der Süden jedoch rückständig und litt unter der massiven Abwanderung junger Arbeitskräfte in die norditalienischen Städte und ins Ausland; in ganz Italien ging die Landbevölkerung stark zurück. Die Commedia all'italiana spiegelt diese sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen durch präzise, am Neorealismus geschulte Alltagsbeobachtung und bringt neue Themen ins Spiel. Während die Komödien der unmittelbaren Nachkriegszeit und der frühen fünfziger Jahre, etwa die Pane e amore-Reihe von Luigi Comencini und anderen, noch ländlich-folkloristisch geprägt und von naivem Optimismus und Glauben an gesellschaftlichen Konsens durchdrungen sind, bricht die Commedia mit den Konventionen dieses «neorealismo rosa». Durchdrungen von Ironie, Zynismus, ja Bösartigkeit, spielen die neuen Sittenkomödien häufig im städtischen Umfeld und erzählen vom rasanten Verfall tradierter Werte und Institutionen: Geradezu systematisch stellen Drehbuchautoren wie Agenore Incrocci und Furio Scarpelli (bekannt als Age & Scarpelli) oder Ettore Scola die überkommene soziale Ordnung in Frage und entweihen geheiligte Institutionen mit den Mitteln von Satire und Groteske. Besonders die Dreifaltigkeit von Familie, Patriarchat und Kirche wird dem Spott preisgegeben.
Zwar klingt das Lachen in der Commedia oft höhnisch. Doch bei aller ätzend formulierten Zeitkritik mildert eine überwältigende Fabulierlust oder zumindest die genüssliche Freude an der guten Anekdote die Bitterkeit. «Die Komödie ist eine Methode, die Tragödie in ein Spektakel zu verwandeln, ohne die Zuschauer zu langweilen», sagt Dino Risi. Zudem strahlen die populärsten Commedia-Darsteller Vittorio Gassman, Alberto Sordi, Ugo Tognazzi, Nino Manfredi und Marcello Mastroianni eine unwiderstehliche Vitalität und menschliche Wärme aus. Diese Mixtur machte die Commedia in den sechziger Jahren so populär, dass sie zum wirtschaftlichen Grundpfeiler der italienischen Filmindustrie wurde.
Beissende Kritik am Machismo
Weil vor allem männliche Darsteller das Gesicht der Commedia geprägt haben, wurde sie bisweilen als «männliches Genre» tituliert. Doch abgesehen davon, dass auch Stars wie Sophia Loren, Stefania Sandrelli und Monica Vitti einige ihrer schönsten Rollen in der Commedia spielen, ist dies auch insofern falsch, als viele Filme den Machismo und den Kult des Latin Lovers persiflieren und beissende Kritik an Patriarchat, bigotten Moralvorstellungen und rückständigen Ehrgesetzen üben.
Die Kritik am Machismo in seiner extremen südlichen Form hat Pietro Germi mit seiner barocken «Trilogie der Grotesken» (Divorzio all'italiana, Sedotta e abbandonata und Signore & signori) zugespitzt. So führt Sedotta e abbandonata (1964) die perfiden Auswirkungen des Gesetzesartikels 544 vor, der die Verführung oder Vergewaltigung einer Minderjährigen legalisiert, wenn es zwischen Täter und Opfer zu einer sogenannten «Wiedergutmachungsehe» kommt: Weil sich ein junger Sizilianer weigert, jene von ihm selbst «entehrte» junge Frau (Stefania Sandrelli) zu heiraten, kommt es zu einer für Nicht-Sizilianer schier unfasslichen Kaskade dramatischer Wendungen, die die Zwänge des rigiden Ehrenkodex ad absurdum führen. Urkomisch sind zudem die Dialoge von Age & Scarpelli, die etwa das Gespräch zwischen dem besorgten Familienvater und seinem Anwalt über ein verdächtiges Schriftstück im Besitz der Tochter auf folgende zweideutige Verknappung bringen:
- «È cosa grave?»
- «Si!»
- «Tumore?»
- «Honore!»
- «Aahh!»
Wenn die Frage der Ehre zur Pointe eines Wortspiels schrumpft, kann es mit ihr nicht mehr weit her sein.
Die bleierne Zeit
In den siebziger Jahren wurde Italien durch eine tiefe Rezession, soziale Unruhen und die Terrorakte der Roten Brigaden sowie neofaschistischer Organisationen erschüttert. Das übertrug sich auf die Stimmung vieler Commedia-Filme: Immer schon als Tragikomödien angelegt und oft auch tragisch endend, wurden sie zunehmend pessimistisch und schlugen ins Groteske um. Mit den siebziger Jahren endete denn auch ihre grosse Zeit, und sicher hatte daran – neben dem Niedergang der Filmindustrie und der neuen Konkurrenz durch private Fernsehkanäle – auch der Terrorismus Schuld, der keine komödiantische Verarbeitung zuliess. Den Italienern schien das Lachen vergangen zu sein.
Wie sehr die Commedia die Sichtweise von Filmemachern und Publikum verändert hat, zeigt ein Film, den man nur am Rande zur Commedia zählen kann und der ohne sie doch fast undenkbar wäre: Ettore Scolas C'eravamo tanti amati (1974), die melancholische Tragikomödie über das Auseinanderdriften von drei Jugendfreunden während dreier Jahrzehnte nach dem Krieg. Da findet sich nicht nur das Groteske, zum Beispiel die genüssliche Karikatur eines Fettwansts und anderer Wirtschaftswunder-Profiteure, sondern auch jene unerhört feine Balance zwischen Komik und Tragik: Die Helden sind in ihrer Verzweiflung immer auch zum Lachen und bleiben in ihrer Lächerlichkeit doch anrührend. Auch darin ist die Commedia zeitlos geblieben.
Kathrin Halter
Kathrin Halter arbeitet als freie Journalistin und Kuratorin von Filmprogrammen für Jugendliche in Zürich.