Ida Lupino - Star und Regisseurin
Ausbrüche aus der Passivität
Als Star galt und gilt die profilierte und eigenwillige Schauspielerin Ida Lupino (1918–1995) in den USA weniger als im cinephilen Frankreich. Als Regisseurin gelang es ihr in kurzen Jahren der Selbständigkeit, ein Werk zu schaffen, das sie als Pionierin ausweist. Lange schon wollte das Filmpodium Lupinos Regiearbeiten zeigen, nun wird es endlich möglich. Daneben dürfen markante Beispiele ihrer Schauspielkunst nicht fehlen.
In der Geschichte des US-amerikanischen Spielfilms war Ida Lupino – nach Alice Guy, Lois Weber und Dorothy Arzner – erst die vierte Frau, die es fertigbrachte, sich einige Zeit als Regisseurin zu behaupten. Dieser minimale Frauenanteil unterbot noch den bescheidenen internationalen Branchendurchschnitt. Die Gründe dafür dürften in der industriellen Arbeitsteilung der US-Studios liegen, in der die Firmenbosse und Produzenten den Frauen zwar Kreativität als Drehbuchautorinnen oder Cutterinnen zutrauten, nicht aber das Durchsetzungsvermögen auf dem Set. Guy, Weber und Lupino traten bezeichnenderweise selbst auch als Produzentinnen hervor.
Ida Lupino, 1918 als Tochter eines Schauspielerpaars in London geboren, war nach ersten Rollen im britischen Kino schon mit fünfzehn nach Hollywood gekommen. Als Schauspielerin lernte sie, sich im Studiobetrieb zu behaupten; vor allem ihre Intensität in hochdramatischen Rollen machte sie zum gefragten Star. Trotz Konflikten mit den Studiobossen, weil sie nicht jede Rolle akzeptieren wollte, hätte sie den Weg zur Regie kaum gefunden ohne den tiefgreifenden Wandel, der in der Nachkriegszeit die Hollywoodstudios erfasste.
1948 urteilte der Oberste Gerichtshof der USA, dass die von den grossen Studios betriebene vertikale Konzentration von Produktion, Verleih und Kinoketten gegen die Anti-Trust-Gesetzgebung verstosse. In der Folge mussten sich die Majors von ihren Kinoketten trennen, der Markt wurde durchlässiger, und es entstanden viele kleine unabhängige Produktionsfirmen. Ida Lupino heiratete 1948 Collier Young, der als enger Mitarbeiter Harry Cohns bei Columbia mit der Filmproduktion vertraut war, und gründete mit ihm und dem Produzenten und Drehbuchautor Anson Bond eine eigene Produktionsfirma, die zuerst – nach Idas Mutter – Emerald Productions, später The Filmakers (mit einem m!) genannt wurde.
Von der Film- zur Fernsehregie
Für diese Firma wirkte Ida Lupino anfänglich als Produzentin und Drehbuchautorin; der als Regisseur für Not Wanted engagierte Elmer Clifton erlitt aber drei Tage nach Drehbeginn einen Herzinfarkt. Was für die junge Firma ein fataler Schlag hätte sein können, wurde für Ida Lupino zum Beginn einer neuen Karriere: Sie sprang ein als Regisseurin. Bis 1953 führte sie dann bei fünf weiteren Filmakers-Produktionen Regie. Sie entstanden alle – das war prägend – als Low-Budget-Filme im Rahmen dieser kleinen Firma, einer kreativen Gemeinschaft, die offenbar auch noch funktionierte, als sich Lupino 1951 von Young scheiden liess und in dritter Ehe den Schauspieler Howard Duff heiratete. Das Abenteuer der Filmakers fand jedoch ihr Ende, als sie – deren Filme zuvor vom Studio RKO verliehen wurden – die neue Freiheit auskosten wollten, ihre Filme direkt zu verleihen, und dabei an den eingespielten Marktstrukturen scheiterten.
In rund sieben Jahren hat die Firma zwölf Filme hervorgebracht; Ida Lupino führte nicht nur in sechs davon Regie, in einem davon spielte sie zugleich eine der Hauptrollen. In zwei weiteren trat sie ebenfalls auf, bei fünf Titeln war sie am Drehbuch beteiligt. Collier Young zeichnete meist als Produzent und war bei fast allen Regiearbeiten Ida Lupinos Mitautor.
Nach dem Ende der Filmakers gründete Ida Lupino mit anderen Partnern eine Produktionsgesellschaft für Fernsehfilme und -serien. Diese wurde zum Ausgangspunkt einer bis Ende der sechziger Jahre dauernden, äusserst produktiven TV-Karriere als Darstellerin und Regisseurin. 1966 führte sie bei The Trouble with Angels ein letztes Mal Regie für einen Kinofilm; ab und zu konnte man ihr auch wieder in prägnanten Rollen auf der grossen Leinwand begegnen.
Ida Lupinos Fernseharbeiten, in unterschiedlichsten Genres und weitgehend nach fremden Drehbüchern realisiert, sind weit weniger persönliche Arbeiten als ihre Kinofilme. Lupinos Ruhm als Regie-Pionierin gründet sich fast ausschliesslich auf die sechs Filme, die sie 1949 bis 1953 für Emerald/Filmakers schuf. Es waren billige Produktionen, aber mit den Ambitionen von A-Filmen, sie kosteten nur je 200 000 Dollar, weniger als die meisten B-Pictures (damals bis 500 000 Dollar), wurden in etwa zwei Wochen gedreht und verzichteten weitgehend auf teure Stars. Dafür setzte man auf neue Gesichter und auf «heisse», aktuelle Themen, die das Publikum anziehen sollten, was nicht ohne Konflikte mit Hollywoods Selbstzensur-Instanz, der Production Code Administration, abging.
Brisante Stoffe – dokumentarisch geprägte Darstellung
Im Zentrum der brisanten Stoffe standen oft junge Frauen: Eine Unverheiratete wird schwanger (Not Wanted); eine Tänzerin erkrankt nach dem ersten Erfolg an Kinderlähmung (Never Fear); eine Buchhalterin, die spät noch arbeitet, wird auf dem Nachhauseweg vergewaltigt (Outrage); ein Tennisstar wird von ihrer Mutter «vermarktet» (Hard, Fast and Beautiful). Andere Filme rücken männliche Figuren in den Fokus: Ein Killer terrorisiert als Autostopper seine beiden «Gastgeber» (The Hitch-Hiker); ein Handelsreisender ist in zwei Städten verheiratet (The Bigamist). Doch Ida Lupinos Behandlung dieser Storys ist das Gegenteil von sensationshascherisch. Sie vertieft sie zu mustergültigen Porträts von Menschen, die aus ihrer gewohnten Bahn geworfen werden; sie bleibt, selbst dann, wenn die Geschichten melodramatische Wendungen nehmen, erstaunlich unsentimental, und sie hütet sich bei allem spürbaren Engagement davor, «preachy» (Lupino) zu werden.
Zum sachlichen Eindruck trägt oft eine – bereits vom italienischen Neorealismus beeinflusste – dokumentarisch geprägte Darstellung bei, etwa in der Schilderung der Rehabilitations-Physiotherapie für die gelähmte Frau oder des Tennismatchs und, immer wieder, durch den Einbezug der Aussenwelt, sei es die Stadtarchitektur oder die unberührte Landschaft. Vor allem aber wird die Situation der weiblichen Hauptfiguren mit einem Einfühlungsvermögen gezeigt, das uns die Frau hinter der Kamera spüren lässt.
Als durchgehendes Motiv lässt sich in Lupinos Filmen das Spannungsverhältnis zwischen (oft erzwungener) Passivität und dem Anspruch auf eigene, aktive Lebensgestaltung erkennen, zwischen dem zeitweiligen Erdulden und der letztendlichen Notwendigkeit des Sich-Wehrens. In der Polarität von Anpassung und Widerstand spiegelt sich Lupinos Auseinandersetzung mit der traditionellen Frauenrolle, aus der sie spätestens mit dem Schritt zur Regie herausgetreten ist.
Noch in ihrem letzten und unpersönlichsten Kinofilm, der Komödie The Trouble with Angels (1966), entsteht der Konflikt daraus, dass sowohl die Leiterin der Klosterschule als auch die junge Rebellin den aktiven Part spielen wollen. Umgekehrt sehen wir in The Hitch-Hiker, einem reinen Männerfilm, wie die beiden Automobilisten, die ahnungslos einen Kriminellen mitgenommen haben, von diesem terrorisiert und zu (vorübergehender) Passivität verurteilt werden.
Kritikerinnen haben Ida Lupino später, ohne die Zeitumstände zu berücksichtigen, vorgeworfen, ihre Filme seien nicht feministisch. Es sind gleichwohl unverkennbar Filme, in denen die Welt aus dem Blickwinkel einer Frau gezeigt wird, die Welt der Frauen und der Männer – und vor allem, wie die einen mit den andern umgehen.
Martin Girod
Martin Girod (meg), freier Filmjournalist und Programmkurator, war von 1993 bis 2005 Co-Leiter des Filmpodiums.