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Remakes

Das Gleiche, aber anders

Remakes sind fast so alt wie das Kino selbst. Oft stehen rein kommerzielle Überlegungen dahinter. Spannender ist es, wenn der Wunsch spürbar wird, neue technische Möglichkeiten auszureizen, auf ein anderes gesellschaftliches oder politisches Umfeld zu reagieren, oder schlicht eine bekannte Geschichte anders zu erzählen. Unsere Sommerreihe vereinigt ein Dutzend Film-Paare, die dieses Spiel auf ganz unterschiedliche Art spielen und dabei nicht zuletzt das Vorurteil widerlegen, dass «Original» automatisch «besser» heisst. Remakes waren schon immer eine gängige Praxis in Hollywood, hat doch die Filmindustrie einen enormen Bedarf an Stoffen. Da bieten sich bewährte – seien es einheimische oder fremde – Filme für eine Neuadaptation geradezu an. Das heute sowohl bei der Kritik wie beim Publikum weit verbreitete Vorurteil, das «Original» sei der «Kopie» stets vorzuziehen, ist jedoch oft nicht stichhaltig. Alfred Hitchcocks Remake seines eigenen Films The Man Who Knew Too Much (USA 1956) wird bestimmt nicht geringer eingeschätzt als der gleichnamige britische Vorläufer von 1934, der zwar durch ein höheres Erzähltempo und humoristische Einlagen besticht, jedoch nicht an die schauspielerische und dramatische Intensität sowie die Schauwerte des späteren und deutlich längeren Films heranreicht. Es handelt sich hier um einen typischen Fall von «unfinished business»: Hitchcock war unter anderem mit dem Ende seines englischen Films nicht zufrieden, und es scheint, als sei es beim Remake darum gegangen, mehr «Fleisch am Knochen» als beim doch etwas skelettartigen Vorläufer zu haben. Ein Vergleich der beiden Höhepunktszenen in der Royal Albert Hall führt dies eindrücklich vor Augen.
Im klassischen Hollywood der 1930er und 40er Jahre wurde der Remake-Status eines Films publizistisch meist unterdrückt: Die Aufmerksamkeit sollte allein dem neuen Film gelten. Heute ist die Situation mit einem stark individualisierten, kenntnisreicheren Publikum sowie der veränderten Struktur der Unterhaltungsindustrie mit einer deutlich längeren Verwertungskette genau umgekehrt: Der Remake-Status samt Verweis auf das Original wird herausgestrichen, auf dass möglichst beide Versionen konsumiert (respektive gekauft) werden.
Grundlegende technologische Innovationen – wie der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm oder von Schwarzweiss im Academy-Format zum Technicolor-Breitwandfilm – waren und sind ein beliebter Anlass zu einer Neuauffrischung, neben wirtschaftlichen, kulturellen, gesellschaftlichen oder künstlerischen Motiven. Fast immer handelt es sich bei der Neuverfilmung um eine Übersetzung, und der Mehrwert der neuen Version soll durch eine Rekontextualisierung des älteren Films zustande kommen. Die Alien-Invasion-Erzählung Invasion of the Body Snatchers (Don Siegel, USA 1956) etwa stellt eine so starke Metapher für Fremdbestimmung zur Verfügung, dass sie im Wandel der Generationen förmlich nach periodischen Neuadaptationen verlangt: von der antikommunistischen Hysterie und dem Konsumismus der fünfziger Jahre zur gross angelegten Verschwörung und Klon-Medizin in den von Paranoia geprägten siebziger Jahren, wie in Philip Kaufmans Version von 1978. Jede Version thematisiert dann die jeweils aktuellen Formen von «mind control» und Gehirnwäsche. Indem diese Remakes die erzählten Storys vorantreiben, lassen sie sich auch nicht scharf von Sequels (Anschlussfilmen) unterscheiden. Sie begründen so ihren eigenen Zyklus oder, im Marketing-Jargon, eine Franchise.

Zum Beispiel À bout de souffle und Breathless
Bei Breathless (Jim McBride, USA 1983), einem Remake von Godards modernem Schwarzweiss-Klassiker À bout de souffle (F 1960), das die englische Version des Filmtitels beibehält und sich auch dadurch als Neuverfilmung kenntlich macht, handelt es sich um eine filmische Übersetzung vom französischen in den amerikanischen Kulturkontext, von Paris nach Los Angeles. Zugleich erweist Jim McBride als bekennender Fan Godards Schlüsselwerk der frühen Nouvelle Vague seine Reverenz. Durch die zeitliche Verschiebung der beiden Werke um eine Generation von Kinogängern haben wir es hier auch mit einer Aktualisierung zu tun, die sich unter anderem durch freizügigere sexuelle Darstellungen auszeichnet. Mit der Besetzung des Stars Richard Gere (vorher Jean-Paul Belmondo) und von Valérie Kaprisky (in der Jean-Seberg-Rolle) mit umgekehrten Vorzeichen – er ist Amerikaner, sie Französin – erhofften sich die Produzenten, ein grösseres Publikum zu erreichen, nicht zuletzt aufgrund der expliziteren Romanze zwischen den Hauptfiguren. Aus wirtschaftlicher Sicht ist schliesslich auf das sogenannte «pre-sold»-Phänomen zu verweisen. Die Bekanntheit des älteren Films, so die Produzentenlogik, beschert dem neuen Film ein zumindest potenziell bereits «abgeholtes» Publikum, das auf die Wiederholung in neuer Gestalt neugierig ist. Und die jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer, die den Vorläufer nicht kennen, können einen neuen Film sehen, der durchaus auf eigenen Beinen zu stehen vermag.

Was wird übernommen, was nicht?
Manchmal geraten Remakes in eine gewisse Nähe zur Travestie, weil sie lediglich Inhalt und Handlung der Vorlage, nicht aber Stil und spezifische Ästhetik adaptieren. Was Godards Film vor allem auszeichnete – seine frechen stilistischen Brüche mit den klassischen Hollywood-Konventionen in Form von Achsensprüngen, Jump Cuts, Ellipsen, asynchronem Dialog sowie einer Hauptfigur, die wir nur eingeschränkt sympathisch finden –, wird bei McBride nicht übernommen. Stattdessen setzt Breathless auf grelle Primärfarben, die sich einerseits an die Comic-Ästhetik von Marvels Silver-Surfer-Heften anlehnen, die der Protagonist Jesse Lujack verschlingt. Andererseits lässt der Film die amerikanischen fünfziger Jahre assoziieren, was auch durch Jesses Vorliebe für den Rock’n’Roll von Jerry Lee Lewis angezeigt wird. Bei Godard hingegen wird durch Michels Grimassen Bezug genommen auf Humphrey Bogart und dessen Detektiv- und Gangsterrollen der vierziger Jahre. Und während Michels Mord an einem Polizisten bei Godard ohne zwingende Erklärung oder Bewertung als einfache Tatsache präsentiert wird, die uns gegenüber dem Protagonisten eher distanziert, wird in Breathless die Tötung des Polizisten als unbeabsichtigter Unfall gezeigt, sodass ‒ der Heldenkonvention entsprechend ‒ Jesse keine moralische Schuld trifft.

Mittel der Sensibilisierung
Ein ganz besonderer Fall präsentiert sich mit Gus Van Sants «identischem» Remake von Hitchcocks Horrorklassiker Psycho (USA 1960 und 1998). Van Sants künstlerisch «suizidale» Entscheidung bestand darin, den älteren Film nicht bloss in den groben Zügen, sondern Einstellung für Einstellung neu zu drehen, in Farbe und mit anderen Darstellerinnen und Darstellern, aber so weit als möglich mit denselben Dialogen und an den identischen Schauplätzen, wie sie sich heute präsentieren. Hier spielt der Primäreffekt eine starke Rolle: Wenn man den älteren Film kennt, wird er wie ein gespenstisches Double immer durch den neuen Film hindurchscheinen und zu einem irritierenden Doppeltsehen führen. Für ein jüngeres Publikum, das Hitchcocks Version nicht kennt, spielt dies keine Rolle. Ansonsten erlaubt Van Sants Version eine enorme Sensibilisierung für die vielen kleinen Differenzen: Sein Film ist eine geradezu wissenschaftliche Analyse des Originals mit filmischen Mitteln.
Henry M. Taylor

Zusatzinformationen: Dr. Henry M. Taylor ist Film- und Medienwissenschaftler, Privatdozent an der Universität Konstanz sowie freier Publizist.