Jiří Menzel revisited
Vom Ernst der Leichtigkeit
2014 zeigte das Filmpodium im Rahmen der Reihe «Kino ČSSR» Perlen auf dem Meeresgrund, eine Kompilation von Kurzfilmen nach Geschichten von Bohumil Hrabal, inszeniert von Jan Němec, Evald Schorm, Jaromil Jireš, Věra Chytilová und Jiří Menzel. Menzels Spielfilme standen aber nicht auf dem Programm. Nun sind drei seiner Meisterwerke – Scharf beobachtete Züge, Ein launischer Sommer und Lerchen am Faden – in restaurierter Form wiederzusehen, ergänzt mit Robert Kolinskys Porträt des Regisseurs, To Make a Comedy Is No Fun.
«Das Benehmen dieses Sommers scheint mir gar unglückselig …» Der letzte Satz aus Jiří Menzels Ein launischer Sommer (Rozmarné léto) ist in der Tschechoslowakei zum Bonmot geworden. Dass sich das Leben meistens nicht so verhält, wie man es sich vorgestellt hat, geht den Figuren des Films spät auf. Der mittlerweile 78-jährige tschechische Regisseur hat dies offenbar bereits früh in seinem Leben erkannt, und er strahlt diese Einsicht mit grosszügiger Bescheidenheit aus. Wenn er etwa in To Make a Comedy Is No Fun, dem Porträt von Robert Kolinsky, erzählt, wie ihn Alfred Hitchcock empfing, nachdem Scharf beobachtete Züge (Ostře sledované vlaky) 1966 einen Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film erhalten hatte. Während sich Hitchcock über Menzels Werk anerkennend und ausführlich äusserte, konnte der Tscheche nichts Vergleichbares erwidern; im Ostblock hatte er bis dahin bloss einen einzigen Film des Master of Suspense gesehen.
Menzel mag den Erfolg seines ersten Langspielfilms als Zufallstreffer bezeichnen, doch der Film, der Ende des Zweiten Weltkriegs spielt und ein schweres Thema aufgreift, verbindet gekonnt Humor und Ironie mit fantasievoller Sinnlichkeit und zeigt liebevoll die Banalitäten des Lebens. Dahinter aber blitzt immer wieder der bittere Ernst auf. Scharf beobachtete Züge ist das Ergebnis der «Vermählung» zweier verwandter Geister: Menzel hat sich dafür mit der Galionsfigur der tschechischen Gegenwartsliteratur, Bohumil Hrabal zusammengetan. Der lakonische Witz und die Ironie des volksnah schreibenden Hrabal, sein «spontaner Surrealismus», vereinen sich mit Menzels Gespür für Bilder, die zwischen dokumentarischer Unmittelbarkeit und beiläufiger Magie oszillieren.
Regisseur und Zauberkünstler
Obwohl Menzel bereits vor seinem ersten grossen Erfolg Hrabals Texte in mehreren Kurzfilmen adaptiert hatte, wurde er ihm mit dem nächsten Projekt untreu: Vladislav Vančura, dessen Romanepos «Marketa Lazarová» František Vláčil zu einem der wichtigsten Werke des sogenannten tschechoslowakischen Filmwunders der sechziger Jahre verfilmte, lieferte Menzel eine interessante Vorlage für Ein launischer Sommer. Vančuras eigenartig barock anmutende Dialoge – ganz ohne das Saloppe Hrabals – besitzen einen eigenen Charme. Menzel gelingt es, diesem Manierismus bezaubernde Bilder zur Seite zu stellen. Er selbst schlüpft denn auch in die Rolle des Zauberkünstlers Arnoštek, der zusammen mit seiner verführerischen Assistentin Anna in einem lauschigen Badeort das beschauliche Leben von drei Freunden durcheinanderbringt. Der Regisseur-Zauberer zeichnet ein atmosphärisch dichtes Sittenbild einer untergehenden Gesellschaft. Vančura nahm damit die gesellschaftlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs vorweg, Menzel sollte Jahrzehnte später mit seinem Film das Ende von Dubčeks «Sozialismus mit menschlichem Antlitz» antizipieren.
Dass es in der kommunistischen Tschechoslowakei vor 1968 möglich war, solche herausragenden und kritischen Filme zu machen, die auch unter den Werken der Neuen Welle der ČSSR hervorstechen, lag in erster Linie an der Lockerung der politischen Zustände Mitte der sechziger Jahre. Dazu beigetragen hat sicher auch die Prager Filmschule FAMU, an der nicht nur erfahrene Mentoren lehrten, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den Schülern einen hohen Stellenwert genoss. Man lernte miteinander und voneinander.
In dieser Aufbruchsstimmung wagte sich Menzel an Hrabals Kurzgeschichtensammlung «Verkaufe Haus, in dem ich nicht mehr wohnen will», aus der er Motive zu seinem 1968 fertiggestellten Lerchen am Faden (Skřivánci na niti) zusammenstellte. Der episodisch gestrickte Film erzählt überraschend leicht und humorvoll von der dunkelsten Zeit des kommunistischen Terrors. Die zu Zwangsarbeit verurteilten Intellektuellen, Kapitalisten und Konterrevolutionäre werden als liebenswerte Figuren gezeigt. Das Verbrechen der ebenfalls auf dem Schrottplatz schuftenden weiblichen Gefangenen scheint einzig ihre Schönheit und ihre Verführungskraft zu sein.
Und warum nicht Hollywood?
Lerchen am Faden wurde zu spät fertiggestellt, denn die russischen Panzer hatten bereits der vorsichtigen Öffnung ein jähes Ende bereitet. Der Film wurde verboten und erst 1990 nach der Wende uraufgeführt. Warum emigrierte Menzel damals nicht wie Miloš Forman nach Hollywood, noch dazu mit einem Oscar im Gepäck? Dieser komplexen Frage geht Robert Kolinskys Dokumentarfilm nach: In To Make a Comedy Is No Fun, der an den Solothurner Filmtagen 2016 seine Premiere feierte, erzählt Kolinsky ein Stück Filmgeschichte. Dass er Menzels Werk nicht nur durch die Augen vieler Weggefährten und Mitarbeitenden sowie Regie-Kollegen zeigt, sondern gleichzeitig zu ihm eine grosse Nähe aufbaut, gehört zum Reiz dieses liebevollen Porträts.
Die zweite grosse Frage des Films dreht sich, wie der Titel schon sagt, um die Kunst der Komödie. István Szabó gibt neidlos zu, Menzels Filme seien zwar ernst wie seine, aber dank des tschechischen Humors von einer bewundernswerten Leichtigkeit. Wie Menzel als Arnoštek konzentriert übers gespannte Seil balanciert, so scheint er in seinen Filmen auch immer das perfekte Gleichgewicht zwischen Poesie, Ironie und Menschlichkeit zu finden. Humor ist eben eine ernste Sache.
Tereza Fischer
Zusatzinformationen:
Tereza Fischer ist Filmwissenschaftlerin und -kritikerin. Seit 2014 leitet sie die Zeitschrift Filmbulletin.