3rd Arab Film Festival Zurich
Alles beim Alten? Von wegen!
Was ist aus dem Arabischen Frühling geworden? Wie reagieren Filmschaffende auf die politischen und gewaltsamen Umwälzungen in ihrer Heimat? Die arabische Welt und ihre filmische Darstellung sind weit vielfältiger als ihre Wahrnehmung im Westen, wie das 3rd Arab Film Festival Zurich beweist. Vom 16. bis 20. November 2016 berichten arabische Filmschaffende im Filmpodium von ihrer Arbeit.
Krieg, staatlicher Terror, paramilitärische Gewalt, sinkende Flüchtlingsboote. Solche Bilder haben die fröhlich-erregte Stimmung abgelöst, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo und in anderen arabischen Städten nach dem Aufstand in Tunesien im Dezember 2010 herrschte. Alles scheint wieder beim Alten – oder noch viel schlimmer. Die Aussichten auf eine Verbesserung der sozialen und politischen Zustände in der arabischen Welt sind in weite Ferne gerückt. Auch bei den Kulturschaffenden.
Und doch: Nichts ist wirklich beim Alten geblieben. Schon gar nicht im Kino. Der IS tobt in Kurdistan, aber im nordirakischen Erbil entstehen Multiplex-Kinos; syrische Filmschaffende ergreifen die Flucht, doch ihre Werke zeigen eine nie dagewesene Vitalität und Experimentierfreude. Und das ägyptische Mainstream-Kino muss zur Kenntnis nehmen, dass der unabhängige Film eine Bresche in die Filmkultur des Landes schlägt.
Dazu feierte mehr als ein bemerkenswerter arabischer Spielfilm an internationalen A-Festivals seine Premiere, etwa der ägyptische Coming Forth by Day (2013) von Hala Lotfy oder Theeb (2014) von Naji Abu Nowar. Ersterer, von einer Kooperative hergestellt, signalisiert mit seinem undramatischen, langsam-beobachtenden Erzählstil eine radikale Abkehr vom landesüblichen Melodrama. Der Historienfilm Theeb aus dem Filmneuland Jordanien bedient sich ganz ähnlicher stilistischer Mittel und sorgte damit auch in seiner Heimat für Furore. Die tunesische Liebesgeschichte Hedi von Mohamed Ben Attia lief 2016 im Wettbewerb der Berlinale, und der saudische Wadjda (2013) von Haifaa al-Mansour, in Venedig preisgekrönt, ist schon allein deswegen beeindruckend, weil er in einem kinofeindlichen Land von einer Frau gedreht wurde. Interessant ist, dass es sich durchwegs um Erstlingswerke handelt. Doch auch etablierte Filmschaffende machten von sich reden, so der Marokkaner Hicham Lasri (They Are the Dogs, 2013), der mit seinem hybriden, an der Popkultur orientierten Stil seit Jahren auf internationalen Festivals präsent ist, oder Ghassan Salhab, der nach Al-jabal – The Mountain (2010) und Al-wadi – The Valley (2014) am letzten Teil seiner Libanon-Trilogie arbeitet.
Neue Strukturen, neue Stile
Nicht alles Neue im Film ist der Rebellion zuzuschreiben, die sich zudem in jedem arabischen Land anders manifestierte, bzw. in einigen, etwa Palästina, Libanon, Algerien und Marokko, gar nicht erst zum Zuge kam. Den politischen Begleitumständen gingen wichtige strukturelle Veränderungen voraus, allen voran die digitale Wende Mitte der 1990er Jahre, die mit Satelliten-TV und Internet neue Medien eröffnete sowie handliche und günstigere Produktionsmittel bescherte. Gleichzeitig wuchs das Interesse ausländischer Festivals, Fernsehsender und Förderanstalten, vor allem in Europa und den arabischen Golfstaaten, an der arabischen Filmkultur. Nach dem 9/11-Anschlag in New York priesen zudem politische Stiftungen und NGOs im Westen Videokunst und Film als Bollwerk gegen religiösen Fanatismus und Autoritarismus. Die zu Reichtum gekommenen Golfstaaten, zuvorderst die Arabischen Emirate, versuchten zeitgleich mit der Einführung des transnationalen Satellitenfernsehens, sich als Medien-Hub zu etablieren. Sie waren bis 2014 eine der wichtigsten finanziellen Stützen des arabischen Independentfilms, was der Kreativität insbesondere im Dokumentarfilm zusätzlichen Auftrieb gab.
Neue Stil- und Erzählrichtungen entstanden: knallhartes Direct Cinema wie die tunesischen Dokumentarfilme Babylon (2012) vom Trio Chebbi, Ismaël und Slim, It Was Better Tomorrow (2012) von Hinde Boujemaa und El Gort (2013) von Hamza Ouni oder der ägyptische Um ghayeb – Mother of the Unborn (2014) von Nadine Salib; subjektive Ich-Erzählungen wie The Immortal Sergeant (Syrien, 2014) von Ziad Kalthoum oder Waves (Ägypten, 2013) von Ahmed Nour; aber auch poetische Werke wie My Love Awaits Me by the Sea (2014) der Palästinenserin Mais Darwazah und performative Filme wie Out in the Street (2015) von Philip Rizk und Yasmina Metwaly; und nicht zuletzt sogenannte Mockumentaries wie Le Challat de Tunis (2014) von Kaouther Ben Hania und die Werke Hicham Lasris.
«Guerilla»-Filme für eine Gegenöffentlichkeit
Persönliche Kriegschroniken schufen vor allem syrische Filmschaffende, etwa Talal Derki mit Return to Homs (2013), Mohammed Ali Atassi mit Our Terrible Country (2015) oder Rafat Alzakout mit Home (2015).
Darüber hinaus entstand in Syrien eine Flut von Kurzfilmen, häufig von jungen Amateuren gedreht, u. a. von der Hilfsorganisation Bidayyat produziert und online verbreitet. Viele dieser Filme lehnen sich an die Ästhetik von Plattformen wie Skype und Youtube an. Ein Paradebeispiel ist der abendfüllende Silvered Water: Syria Self-Portrait (2014): Der Film ist angelegt als Online-Gespräch zwischen dem arrivierten alawitischen Regisseur Ossama Mohammed im Pariser Exil und der jungen Kurdin Wiam Simav Bedirxan, deren Alltag im belagerten Homs filmisch mitverfolgt wird. Versetzt ist das Ganze mit einer Chronik des syrischen Aufstandes, wie er sich im Netz präsentiert, sowie grundsätzlichen Überlegungen Mohammeds zu den Gestaltungsmöglichkeiten des Mediums Film.
Die Fragen nach der formalen Relevanz und Wirkung der vielen offen im Netz zugänglichen Filme sind in der Tat von zentraler Bedeutung, will man die Veränderungen in der arabischen Filmlandschaft ermessen. Dabei geht es um die Möglichkeiten einer demokratischeren, unkontrollierten Verbreitung: Neben der Piraterie, die dem Mainstream wirtschaftlich schadet, bemühen sich manche Sparten des unabhängigen Kunstfilms und des politisch motivierten «Guerilla»-Films, produziert u. a. von Kooperativen wie dem ägyptischen Mosireen oder dem syrischen Abounaddara, um die Schaffung von Gegenöffentlichkeit. Damit weichen sie die historische Polarisierung auf zwischen den geförderten Arthouse-Filmen, die oft nur im Ausland laufen, und dem ägyptischen, marokkanischen, indischen oder amerikanischen Mainstream, der in den arabischen Ländern nach wie vor am meisten konsumiert wird.
Daneben gibt es auch jene Filme, die in diesem Text unerwähnt blieben, die vor allem vom Alltag berichten und kleine Geschichten am Rande des Aufruhrs erzählen und deswegen oft abseits des Medien- und Festivalrummels stehen. Es sind nicht zuletzt auch diese nicht weniger wichtigen Werke, denen das 3rd Arab Film Festival Zurich seine Aufmerksamkeit schenkt.