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Cary Grant

Nur Archibald Leach war Cary Grant

Mit Cary Grant hielt die Lebenslust Einzug in Hollywood. Er verstand es, die Ausgelassenheit zu einer kultivierten, vielschichtigen Charaktereigenschaft zu erheben. Seine besten Komödien sind Lektionen in Vitalität; ihre aufmunternde Botschaft ist die Mühelosigkeit, mit der sich Charme, Esprit und Stil erwerben lassen. Cary Grants Witz braucht ein aufgewecktes Publikum. Man sieht Grant an, dass er nachdenkt, bevor er spricht und handelt. Sein Lächeln verrät eine amüsierte, aber niemals engherzige Skepsis angesichts der menschlichen Natur. Die absurde Einrichtung der Welt bringt ihn selten in ernsthafte Verlegenheit. Das Wesen seiner Leinwandpersona liegt in einer Wette mit der eigenen Unerschütterlichkeit. Die Strategie seiner besten Komödienregisseure – darunter George Cukor, Leo McCarey und Stanley Donen – besteht darin, ihn peinlichen, ja demütigenden Situationen auszusetzen und abzuwarten, wann er die Fassung verliert. Howard Hawks, dessen Farcen vom Unbehagen an den traditionellen Geschlechterrollen handeln, steckt ihn gern auch mal in Frauenkleider. Er ist der einzige Protagonist der romantischen Screwball Comedies der 30er-Jahre, der seine Rolle auch in der Nachkriegszeit glaubwürdig weiterspielen kann.
Als Archibald Alexander Leach wird er am 18. Januar 1904 in Bristol in arme Verhältnisse geboren. Die Ehe der Eltern ist zerrüttet, seine Kindheit kurz (auf der Leinwand wird er sie verlängern) und unglücklich. Als Halbwüchsiger schliesst er sich einer Artistentruppe an und entscheidet nach einem Gastspiel in den USA, dort zu bleiben. Er arbeitet als Ausrufer in Vergnügungsparks und tritt im Vaudeville auf, bis ihn Paramount Anfang der 30er-Jahre unter Vertrag nimmt und seinen Namen zu Cary Grant ändert. Es braucht zwei Dutzend Filme, bis er endgültig zum Star wird. Aber schon in diesen Lehrjahren wirkt er ausgereift. Er ist neben Mae West der einzige wirklich entspannte Darsteller in She Done Him Wrong.
Mit den Jahren wird Grants Alterslosigkeit zur eigentlichen Attraktion seiner Filme. Er muss nie auf der Leinwand sterben. Erst in Charade (1963), dessen vielfache Rollenspiele fast eine Anthologie seiner Leinwandauftritte darstellen, sieht man zum ersten Mal seine echten grauen Haare. Wie souverän er den Parcours vom Star zur Institution und schliesslich zur Legende bewältigt, führt seine Rolle in An Affair to Remember vor Augen. Leo McCareys Film von 1957 ist ein Remake seiner eigenen Tragikomödie, in der Charles Boyer 18 Jahre zuvor die männliche Hauptrolle gespielt hatte. Boyer legte die Figur als gefallenen Idealisten an, Grant bereichert sie um eine Dimension verführerischer Komplizenschaft. Der Vergleich markiert den Unterschied zwischen einem grossartigen Schauspieler und einem Mythos.

Frauen- und Männerfantasie
Grants blendendes Aussehen, der raue, verbindliche Klang seiner Baritonstimme (die nie ganz die britische Herkunft verhehlen mochte) und die Eleganz seiner Erscheinung entsprechen nicht nur weiblichen Wunschvorstellungen von männlicher Anmut: John F. Kennedy und Cole Porter wünschten sich gleichermassen, dass Grant sie auf der Leinwand verkörperte. Raymond Chandler hätte es gern gesehen, wenn er dessen Philip Marlowe gespielt hätte. Er ist die erste Wahl der Produzenten, als Ian Flemings James Bond das Licht der Leinwand erblicken soll.
In seine Zweifel über den Gleichklang von privatem und öffentlichem Image weiht er das Publikum nur zaghaft ein. Offenkundig kostet es ihn wenig Mühe – es gibt kaum ein Foto von ihm ohne strahlendes Lächeln –, den Eindruck zu wahren, sie stimmten überein: Die meisten Leute, die ihm begegneten, waren erstaunt, wie sehr er auch im Leben «Cary Grant» war.
Sein Publikum liess er glauben, dass er immer nur sich selbst spielt. Das ist eine lässliche Lüge, denn tatsächlich ist sein Facettenreichtum immens. Ihm, dessen Genre eigentlich der muntere Widerstand gegen die Konventionen ist, gelingt in The Talk of the Town das Kunststück, glaubhaft einen Anarchisten zu spielen. Seine dunkle, verschlossene Seite zeigt sich in der grimmigen Zerrissenheit des Geheimagenten in Notorious, dem einzigen Film, in dem er weder lächelt noch lacht.
Allerdings gehört zu seiner Legende jene Mühelosigkeit, die auf der vollendeten Beherrschung des Handwerks basiert. Das Geheimnis der grossen Komödiendarsteller liegt ja darin, dass sie zu reagieren verstehen. Grant besitzt die Gabe, sein Gegenüber gewähren zu lassen und gerade dadurch zu stimulieren. Kaum je ist er allein auf den Bildern, die man aus seinen Filmen in Erinnerung behält. Seine Präsenz ist in einer Halbtotale weit besser aufgehoben als in einer isolierenden Grossaufnahme. Er lenkt den Blick des Zuschauers: gerade so, als sei er ein Stellvertreter des Regisseurs. Als Schauspieler führt er zu einem tieferen Verständnis dessen, was der Film erzählen will. In Only Angels Have Wings bildet er das moralische Zentrum in einer der grossen Initiationsszenen von Hawks’ Kino. Die in einer südamerikanischen Luftpoststation gestrandete Sängerin wird brüsk mit dem Ethos der Flieger konfrontiert, als Grant das Steak eines eben verunglückten Piloten isst. Sie ist erschüttert von der Gefühllosigkeit, der Unfähigkeit zu trauern. Grant jedoch zeigt ihr, wie überlebenswichtig dieser Kodex stoischer Hinnahme ist.

Romantik mit Vorbehalten
Die Unabhängigkeit, mit der Grant über seine Karriere bestimmt – nachdem sein Vertrag mit Paramount 1937 ausgelaufen ist, bindet er sich nie mehr länger an ein Studio, sondern wählt seine Rollen selbst aus –, prägt auch seine romantischen Leinwandfiguren. Mae West irrt sich, wenn sie über Grant sagt: «You can be had.» Er scheint gefeit gegen die Verrücktheiten der Liebe. Selbst Katharine Hepburn hat in Bringing Up Baby kein leichtes Spiel mit ihm. Zwar ist er ein dankbarer Partner in Liebesszenen, denn er bringt eine ermutigende Leichtigkeit ins Spiel. Selten scheint er das Liebesspiel ganz ernst zu nehmen. Vielmehr lässt er seine Partnerinnen teilhaben am Spass, den ihm das Leben bereitet. Ohnehin besteht seine Verführungskunst in der Umkehrung der Konvention: Die Frauen müssen die Initiative ergreifen. Sie akzeptieren die Nonchalance und Beiläufigkeit, die er der Anbahnung der Liebe verleiht; nicht als Mangel an Gefühl, sondern als Teil seines Temperaments.
Das Privileg der uneingeschränkten Aufmerksamkeit gewährt er seinen Partnerinnen indes nur befristet, seine Hingabe steht unter Vorbehalt. Die legendären Kuss-Szenen in Notorious und North by Northwest schöpfen daraus eine amüsante, aber auch beunruhigende Zweideutigkeit: Sie werden laufend unterbrochen, stets scheint er noch einen anderen Gedanken im Hinterkopf zu haben. Letztlich bleibt er für seine Partnerinnen wie für das Publikum unerreichbar. In Notorious offenbart Hitchcock, wie zuvor Hawks in Only Angels Have Wings, einen Zug kalten Misstrauens an ihm, der auf eine tiefe Verletzung schliessen lässt. Grants Kunst liegt in der Balance der widerstrebenden Elemente. Die leichten und die düsteren Seiten seiner Persona ergänzen einander: Egal, welche in einer Szene die Oberhand gewinnen, er lässt die anderen nie vergessen.
Gerhard Midding

Gerhard Midding arbeitet als freier Filmjournalist in Berlin.