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Das erste Jahrhundert des Films: 1947


Bereits 1946 konstatierte Wolfgang Staudte: Die Mörder sind unter uns. Sprach jener erste Trümmerfilm noch direkt die Kriegsverbrechen an, spiegelt sich ein Jahr später die jüngere Vergangenheit verstärkt in Kriminalhandlungen aus Mord und Betrug. So lotet Orson Welles’ The Lady from Shanghai die Abgründe menschlichen Seins zwischen Lust, Habgier und Verrat aus, bis am Ende im Spiegelkabinett die Fassaden der Hauptfiguren sprichwörtlich zerbrechen. Nicht allein in den USA machen sich die Erinnerungen an die Schrecken des Krieges und seine Folgen in den Schattenwelten des Film noir breit: Carol Reeds Odd Man Out und Henri-Georges Clouzots Quai des Orfèvres spielen in den Strassen von Belfast und Paris und zeichnen sich nebst der expressiven Schwarzweissfotografie durch einen Nachkriegsrealismus aus, wie ihn Paul Schrader als charakteristisch für den Film noir jener Zeit ansieht. Auch in der Schweiz greift das Verbrechen um sich: Nach seinem international erfolgreichen Flüchtlingsdrama Die letzte Chance wagt sich Leopold Lindtberg mit Matto regiert an einen Kriminalfilm und lässt im Stil der amerikanischen Vorbilder Glausers Wachtmeister Studer im Reich der Geisteskranken ermitteln. In der Rolle des Monsieur Verdoux wird selbst Charles Chaplin zum Mörder und verabschiedet sich damit endgültig von der Figur des Tramps. Da sie die Starre und Unsicherheit der damaligen Zeit aufnahmen, wurden die Filme von Welles, Chaplin und Lindtberg vom Publikum abgelehnt – ganz im Gegensatz zu Michael Powells und Emeric Pressburgers Black Narcissus, der jedoch bei allem artifiziellen Technicolor-Prunk nicht weniger tief in die zerrissenen Herzen seiner weiss gewandeten Nonnen blickt.
Marius Kuhn

Vor einzelnen Filmen der Jahre 1947, 1957 und 1967 werden wie bereits in den vergangenen Jahren Beiträge der Schweizer Filmwochenschau aus dem jeweiligen Jahr gezeigt (Daten s. Programmübersicht). Die Auswahl besorgt Severin Rüegg, der im Mai/Juni-Programm auch ein Referat zum Thema halten wird.