Leo McCarey
Leo McCarey (1896–1969), Sohn eines irischen Box-Promoters, studierte Jura, ging aber zum Film. In der Stummfilmära zelebrierte er Slapstick, später drang sein Katholizismus durch und liess ihn Komik mit Besinnlichkeit unterlegen. Das 71. Locarno Festival widmet dem vielseitigen Filmemacher seine Retrospektive; das Filmpodium zeigt daraus einige Schlüsselwerke.
Leo McCarey zählt zu jenen Hollywood-Regisseuren, deren Namen nur noch wenigen ein Begriff sind, dabei war er einmal der bestverdienende Cineast der USA. Betrachtet man seine Filmografie, ist für fast jede und jeden ein Lieblingsfilm dabei: Sei es der wohl beste Kurzfilm mit Laurel und Hardy, Liberty (1929), der geniale Marx-Brothers-Klamauk Duck Soup (1933), die Culture-Clash-Komödie Ruggles of Red Gap (1935), die klassische Screwball Comedy The Awful Truth (1937) mit Cary Grant oder das zweimal gedrehte Melodram um eine fast unmögliche Liebe, Love Affair (1939) bzw. An Affair to Remember (1957) – McCareys Sinn für Komik und Timing machte selbst potenziell tranige Geschichten lebendig und erschloss ihnen ein breites Publikum. Er arbeitete mit den heute zu Unrecht vergessenen Stummfilm-Stars Charley Chase, Max Davidson, Marion Byron und Anita Garvin, drehte mit Mae West, als der Hays Code eingeführt wurde, half Eddie Cantor in The Kid from Spain (1932) und Harold Lloyd in The Milky Way (1936), als Tonfilmkomiker zu reüssieren, und setzte in Six of a Kind (1934) W. C. Fields ein Denkmal.
Märchen und Menschlichkeit
Zeitlebens sportlich, gutaussehend und distinguiert, machte McCarey in Hollywood schnell Karriere. Ab 1918 lernte er als «Script Girl» bei Tod Browning viel über das Kinohandwerk und die Macht des Autorenfilmers. 1923 heuerte er bei den Hal Roach Studios an und stieg dank guter Zusammenarbeit mit Charley Chase bald zum Drehbuchautor und Regisseur auf. Seine Idee, Stan Laurel und Oliver Hardy als Paar einzusetzen, bescherte allen dreien grossen Erfolg und ebnete McCarey den Weg zur Inszenierung von Spielfilmen.
Über sein Schaffen sagte McCarey: «Ich weiss nicht, worin meine Formel besteht. Ich weiss nur, dass ich es mag, wenn meine Figuren in den Wolken schweben. Mir gefällt ein Anflug von Märchen. Sollen andere die Hässlichkeit der Welt filmen. Ich will den Menschen keinen Kummer bereiten» (zitiert in Wes D. Gehring: Leo McCarey, Scarecrow Press 2005). Ähnlich wie sein Freund Frank Capra war McCarey also in erster Linie Unterhalter, befasste sich aber in vielen Filmen auf populistische Weise mit den Nöten des kleinen Mannes. Im Bing-Crosby-Hit Going My Way (1944), dessen Fortsetzung The Bells of St. Maryʼs (1945) und in Good Sam (1948) mit dem Capra-Star Gary Cooper liess McCarey christliche Nächstenliebe über amerikanisches Gewinnstreben siegen, ohne dabei den Humor aus den Augen zu verlieren: Crosby ist als katholischer Priester modern, schwärmt für Baseball und Jazz, greift Demimonde-Damen ungeniert unter die Arme und stellt Menschlichkeit auf Erden über den Lohn im Himmel. Cooper als guter Sam(ariter) wird ebenso oft absurd ausgenutzt wie dankbar belohnt. Hält er die andere Backe hin, kriegt er meist noch eine gescheuert, wie die glücklosen Helden in McCareys Stummfilmen.
Katholizismus gegen Kommunismus
Nur selten meinte es McCarey ganz ernst: Make Way for Tomorrow (1937) war eine wegweisende Studie über den Generationenkonflikt der Moderne, und der damals 39-jährige Cineast ergriff darin Partei für die überforderten Eltern vom Lande, die im Leben ihrer verstädterten Kinder keinen Platz mehr finden; Yasujiro Ozu liess sich davon zu Die Reise nach Tokio (1953) inspirieren. In My Son John (1952) spann der immer katholischer gewordene McCarey dieses Thema weiter, in einer Weise, die heute eher unangenehm berührt: Hier hat der erwachsene Sohn eines Provinzlerpaars nicht nur die Bibelgläubigkeit und den bornierten Patriotismus seines Vaters hinter sich gelassen, sondern ist zum Spion für die Sowjets geworden. Sicher steht für McCarey das Drama der Mutter im Dilemma zwischen dem unkritischen Konservatismus ihres Gatten und den kommunistischen Ansichten ihres Sohnes im Zentrum, aber My Son John ist klar vom McCarthyismus geprägt. McCarey trat denn auch freiwillig vor dem House Un-American Activities Committee auf, weigerte sich jedoch, jemanden zu denunzieren. Obschon er den Kommunismus verabscheute, wies er den Ausschuss 1947 zu Recht darauf hin, dass die kommunistische Partei der USA nicht verboten sei und ihr anzugehören deshalb auch kein Verbrechen sei – ein Beleg dafür, dass McCarey selbst dann noch Menschlichkeit über Ideologie stellte.
NB: McCareys Film Love Affair können wir im Rahmen dieser Retrospektive mangels geeigneten Materials nicht im Kino zeigen, nur online verfügbar machen. Näheres dazu im Text zum Remake, An Affair to Remember.
Michel Bodmer