Edward G. Robinson
Edward G. Robinson (1893–1973) war kein klassischer «leading man» des Hollywoodkinos. Seine Erscheinung – knapp eins sechzig gross und mit einem Knautschgesicht gesegnet – prädestinierte ihn eher für unansehnliche Bösewichte und Charakterrollen. Neben unzähligen zigarrenbewehrten Gangstern verlieh er auch differenzierten und gar heldenhaften Figuren seine enorme Präsenz und mauserte sich schon früh zum Anti-Star. Das Filmpodium zeigt fünfzehn seiner wichtigsten Filme. Double Indemnity wird im Sommer im Rahmen einer Billy-Wilder-Retrospektive zu sehen sein.
Welch unerhörte Erfahrung im Leben eines armen rumänischen Einwanderers! Er kann es nicht fassen, als er seinen Namen in meterhoher Leuchtschrift über den Strassen von Manhattan sieht: Edward G. Robinson. Zwar heisst er nicht wirklich so, aber seit ein Gangster namens Little Caesar ihn da hinauf zu den Sternen von Hollywood katapultiert hat, wird die Welt ihn nur mehr als Edward G. Robinson alias EGR kennen.
Wo er sich doch in Wirklichkeit noch immer hier unten zu Hause fühlt, in den Gassen der Bronx, und Emanuel Goldenberg heisst. Einer von fünf Söhnen jüdischer Immigranten aus Bukarest, die aus Geldnot gestaffelt nach Amerika kamen. Dass der zweitjüngste Schauspieler werden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Schon gar nicht der Ruhm, die Ehre und der damit verbundene Reichtum (diesen wird der leidenschaftliche Kunstliebhaber, der sich als Kind Ansichtskarten vom Mund absparte, in einer hochkarätigen Gemäldesammlung anlegen).
Aber nun steht er da, der kleine Manny, über Nacht zum Star geworden. Dabei hält er nichts vom Kino und alles von der Bühne. Ausserdem ist er schon fast vierzig, erst wenige Jahre zuvor von zu Hause ausgezogen, und «after forty plays and a couple of movies» habe er noch immer in New York herumlaufen können, ohne je von irgendjemandem erkannt zu werden. Doch nun: «Face it, Manny – you are a movie star!» Das Staunen ist immer noch spürbar, wenn EGR vier Jahrzehnte später – und kurz vor seinem Tod – in seiner Autobiografie «All My Yesterdays» (1973, zusammen mit Drehbuchautor und Freund Leonard Spigelgass, Hawthorn Books) zurückblickt auf dieses Jahr 1931. Er wird nach seinem Tod sogar auf die Liste der 25 Superstars des klassischen Hollywood gelangen. Noch so etwas Unerhörtes, denn dahin passt er wie ein Frosch unter lauter Prinzen, unter diese attraktivsten Mannsbilder des Kinos wie Cary Grant, Gary Cooper, Clark Gable, Gregory Peck, Henry Fonda und James Stewart.
Kein schöner Prinz, aber ein starker Frosch
Er war wohl der hässlichste Stern an Hollywoods Firmament, erst recht seit Mervyn LeRoy in Little Caesar sein unvorteilhaftes Aussehen mit der Fratze der sadistischen Gangster-Hybris überlagert hatte: eine gedrungene, aufgedunsene Gestalt, ein vierschrötiger Kopf, ein breiter Mund, ein Froschgesicht eben, vom Klischee her viel zu weich für einen Gangster. Die feucht glänzenden Lippen zeugten von einer weinerlichen Triebhaftigkeit, einer hemmungslosen Gier, die riesige Zigarre dazwischen von verzweifelter Grossspurigkeit. Als Frau hätte er unter diesen Bedingungen nicht den Hauch einer Chance gehabt, als Mann legte er sich den Spruch zu: «No face value, but when it comes to stage value I will deliver.» Nichts zum Anschauen, tatsächlich, aber bringen tat er es – schon auf der Bühne auch zu einigem Erfolg. Erst recht vor der Kamera, die den Frosch wachküsste. Nicht zu einem Prinzen, aber zu einem Psychopathen, der die Pervertierung des American Dream im Gangsterfilm der 30er-Jahre verkörperte wie kein Zweiter (vielleicht noch James Cagney, ein Bruder im Geiste der filmischen Mafioso-Feiern, der seinerseits 1931 mit The Public Enemy berühmt wurde und mit dem er im selben Jahr in Smart Money auftrat). Er war das männliche Pendant zu Aschenbrödel, mit dem pubertären Traum vom Aufstieg aus der Masse der Anonymen: der tumbe Kleinkriminelle, der nach Höherem strebt, der kleine Gangster, der die Welt beherrschen will, auch wenn es nur die Gosse ist.
Als er sich um die Rolle von Little Caesar bewarb, schien ihm das Repräsentative der Figur durchaus bewusst: Der clevere, belesene Robinson sah in der Romanvorlage von William R. Burnett eine griechische Tragödie vom Aufstieg und Fall des kleinen Mannes, der durchaus Gemeinsamkeiten mit seinem eigenen Ehrgeiz als Schauspieler aus einem bildungsfernen Milieu aufwies. Trotzdem ist es wohl eine Ironie des Schicksals, dass er mit seiner beängstigenden Darstellung pathologischer Männlichkeit dann jahrelang widerwillig auf mehr oder weniger kranke Gangsterrollen im dominierenden Film noir oder im freundlichsten Fall auf komische Verbrecher in Gangsterkomödien abonniert war: von Two Seconds (1932) bis zu The Last Gangster (1937). Und viel später, als er längst in anderen Genres den Reichtum seines Könnens bewiesen hatte, noch einmal, fast wie eine Referenz auf sich selbst, als Vater aller obszönen Unterweltsfiguren, in John Hustons Klassiker Key Largo (1948) an der Seite von Humphrey Bogart (mit dem er schon verschiedentlich gespielt hatte).
Jenseits des Gangster-Klischees
Dieses Typecasting als Bösewicht schien nämlich unvereinbar mit dem Menschen dahinter, einem Schauspieler, den seine Zeitgenossen als Ausbund von Anstand charakterisierten, als einen «Aristokraten unter uns». In zwei späteren Kultfilmen, The Woman in the Window (1944) und Scarlet Street (1945), entlockte Fritz Lang ihm diese sanfte Seite seines Könnens besonders eindrücklich: Die Verkörperung zivilisierter, (selbst-)zufriedener Bürgerlichkeit, vor der sich eines Tages plötzlich ein Abgrund auftut, gelang Robinson so meisterhaft wie das kriminelle Gegenstück.
Zu diesem Zeitpunkt hatte EGR sich bereits weitgehend vom einengenden Image freigekämpft, oft unter den aufsteigenden und renommierten Regisseuren seiner Epoche. In John Fords Komödie The Whole Town’s Talking (1935) konnte er in einer Doppelrolle als braver Angestellter, der einem Bankräuber zum Verwechseln ähnlich sieht, gleich beide Seiten der Medaille zeigen. Oder in Billy Wilders Noir-Klassiker Double Indemnity (1944) als schlauer Versicherungsagent, der sich von einem Kollegen an der Nase herumführen lässt. Ebenso in Anatole Litvaks Confessions of a Nazi Spy (1939) als FBI-Agent, der mit dem Gusto echten Engagements gegen Hitlers fünfte Kolonne in den USA ermittelt.
Robinson, ein politischer Kopf und aktiv engagiert in diversen Anti-Nazi-Organisationen (die er auch mit beträchtlichen Geldsummen unterstützte), geriet Ende der 40er-Jahre in den Fokus der Kommunistenjäger. Vor deren schwarzer Liste mit Berufsverbot rettete er sich schliesslich, indem er 1952 den Linken in einem Artikel vorwarf, sie hätten ihn getäuscht («How the Reds Made a Sucker out of Me»), und einige Namen von Kommunisten nannte. Die Rollenangebote blieben trotzdem aus, tröpfelten auch später nur spärlich. Seine grosse Zeit war vorbei, obschon er auf attraktive Weise alterte und noch jeder seiner späteren Auftritte ein sicherer Gewinn war: Sei es im Kostümschinken The Ten Commandments (1956), im Spieler-Drama The Cincinnati Kid (1965) oder in seiner bewegenden letzten Rolle kurz vor seinem Tod in der Science-Fiction-Dystopie Soylent Green (1973).
Einen Oscar erhielt er – man mag es kaum glauben – nie, einen Ehren-Oscar erst postum. Wie schrieb doch ein Fan? «Tom Hanks won two Oscars, and this man none – that’s why Hollywood sucks!»
Pia Horlacher
Auch Gerhard Midding hat einen schönen Text über Edward G. Robinson veröffentlicht, im epd Film.