Louise Brooks
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Mehr noch sternschnuppen- als kometenhaft wirkt die Karriere von Louise Brooks (1906–1985): Ihre wichtigsten Filme entstanden alle zwischen 1928 und 1930, und doch gelang es ihr, zum Sinnbild der Roaring Twenties zu werden. Ihr natürlicher Schauspielstil war der Zeit um Jahrzehnte voraus, ihr Appeal bleibt unvergänglich.
Kein Stummfilmstar verkörpert die 1920er-Jahre so nachhaltig wie Louise Brooks. Der lange, elegante Nacken, das makellos weisse Gesicht, die ausdrucksstarken dunklen Augen und der pechschwarze Bubikopf, der ihr Gesicht wie ein glatter Helm einrahmt, stehen bis heute exemplarisch für den «Flapper»: Sie ist der Inbegriff der jungenhaften, selbstbewussten und unbekümmerten Frau der Zwischenkriegsjahre, naiv, verspielt-frech und uneingeschränkt sinnlich. Sie verzauberte ihre Generation mit einer eigenwilligen Mischung aus Schönheit und Intelligenz, doch ihre Interpretation der Femme fatale ist von Widerspruch gezeichnet. Sosehr ihre erotische Ausstrahlung für die, die sich in sie verlieben, einen gefährlichen Ausgang nehmen kann, Brooks ist nie böse. Genussvoll überschreitet sie die Grenzen bürgerlicher Konventionen, ohne je sündhaft zu wirken. Die Intensität, die sie verkörpert, ist stets mit einem Hauch Unschuld versehen. Zudem lässt sie sich nie auf ein Sexualobjekt reduzieren. Vielmehr war die Devise dieser Filmikone, sich uneingeschränkt ihrem Begehren hinzugeben, koste es, was es wolle. So kommt in ihrer unberechenbaren Impulsivität auch ein Eigensinn zum Vorschein, der vor allem für sie – auf der Leinwand und im Leben – schwerwiegende Konsequenzen hatte.
Flucht aus Kansas – und Hollywood
Geboren ist Louise Brooks am 14. November 1906 in Cherryvale, Kansas. Wie Dorothy in «The Wizard of Oz» sehnt sie sich nach einer bunteren Welt und flieht deshalb im Alter von 15 Jahren nach New York. Dort wird sie als Showgirl in den Ziegfield Follies vom Produzenten Walter Wanger entdeckt. Paramount bietet ihr einen Fünfjahresvertrag an. Doch auch wenn sie dem Look der Zeit perfekt entspricht, ist sie ihrer Zeit voraus, zu rebellisch und zu analytisch, um sich erfolgreich an das Studiosystem Hollywoods anzupassen. Als G. W. Pabst sie in Howard Hawksʼ A Girl in Every Port (1928) entdeckt und ihr die Hauptrolle in Die Büchse der Pandora anbietet, ergreift sie am 14. Oktober 1928 erneut die Flucht. Sie setzt damit bewusst ihre amerikanische Karriere aufs Spiel, wird dafür aber ihren internationalen Durchbruch in jener Rolle erreichen, mit der sie seither gleichgesetzt wird. Von ihrer Darstellung der Lulu hat sie gerne behauptet, dass sie, da als Tänzerin und nicht als Schauspielerin ausgebildet, schlicht sich selber gespielt habe.
Nachträglich lässt sich erkennen, wie sehr die Geschichte der unwiderstehlichen Verführerin Lulu auch die ihre war. Die einzigartige körperliche Präsenz, die Louise Brooks auf der Leinwand entfaltet, hat zur Folge, dass sie in jeder Szene heraussticht. Doch diese Ausstrahlung hat auch etwas Vergängliches: Ihre Lulu ist der von ihr so intensiv erfahrenen Gegenwart völlig verhaftet. Die Geschichte nimmt ihren fatalen Lauf, als Lulu den Gatten, der sie in der Hochzeitsnacht zum Selbstmord zwingen will, aus Notwehr umbringt. Im Zeugenstand nutzt sie das Spiel mit ihrem durchsichtigen Witwenschleier, um die Richter zu betören. Die Nahaufnahme, die als Beweis ihrer Unschuld dienen soll, ist schicksalshaft. Das Porträt wird nach ihrer Flucht aus dem Gerichtssaal als Steckbrief eingesetzt und zieht einen Erpresser an, der ihre Schönheit auszubeuten hofft.
Diese Festschreibung auf ihr Gesicht lässt sich auch als Kommentar zu den unliebsamen Folgen des Ruhms der Filmikone verstehen. Sosehr Louise Brooks an ihrem Starimage mitgearbeitet hat, sosehr fühlte sie sich auch davon verfolgt. Der Umstand, dass ihre Lulu in der letzten Szene als verarmte Prostituierte in London Jack the Ripper explizit zu sich ruft, wirft ein weiteres kritisches Licht auf die Bedrängnis, in die ihr unvergleichlicher Charme sie brachte. Als sei sie des Spiels mit den Männern, die sie auf ihren Sex-Appeal reduzieren, überdrüssig, lässt Lulu sich auf den Mann ein, der ihr den Tod bringt. Louise Brooks selbst wird nach ihrer Rückkehr aus Berlin faktisch beruflichen Selbstmord begehen.
Ruhm, Ruin und Revival
Im Rückblick wirken beide Filme, die sie mit Pabst dreht – Tagebuch einer Verlorenen (1928) ebenso wie Die Büchse der Pandora –, prophetisch. In der fantastischen Kunstgestalt, zu der er sie erhöht, erfährt der Stummfilm ebenso wie sein Star eine Apotheose. Als Inbegriff der jungen Verführerin, die hartnäckig im Jetzt lebt, ohne sich um die Zukunft zu kümmern, gehört Louise Brooks ganz ihrer Zeit an. Und just als vollendete Vertreterin der sterbenden Kunstform, die ihr zum Ruhm verholfen hat, wird sie von der Veränderung im Filmgeschäft – dem Übergang zum Tonfilm – überholt.
Im Hollywood der 1930er-Jahre kann sie nicht wieder Fuss fassen. Sie selber erklärt, sie hätte sich zu sehr gelangweilt und deshalb das Spiel um ihre Schönheit nicht weiter mitspielen wollen. Doch lässt sich mutmassen: Auf den bestrickenden Charme ihres Gesichtsausdrucks festgelegt, passte sie nicht in die neue Kinolandschaft: weder als «fast talking dame» der dunklen Komödie noch als resolute Stepptänzerin im Musical noch als sich aufopfernde Mutter im Melodrama. Nach Overland Stage Raiders (1938) mit dem blutjungen John Wayne verschwindet Louise Brooks aus dem Blick der Öffentlichkeit.
Prophetisch wirkt nachträglich auch der Titel des ersten Tonfilms, den sie noch in Europa dreht: Prix de beauté (1930). Um die Verschmelzung von Rolle und Star zu unterstreichen, heisst Brooks auch hier Lulu. Sie gewinnt einen Schönheitswettbewerb und steht damit nicht nur in der Gunst des Publikums. Ein Mann mit Geld und Einfluss wird auf sie aufmerksam und ermöglicht ihr den Sprung ins Filmgeschäft. Lulu entschliesst sich, den Ehemann, der ihr diese Karriere verbieten will, zu verlassen. Er aber folgt ihr in den Vorführraum, in dem sie sich begeistert eine Gesangszene aus ihrem ersten Film ansieht. Dort erschiesst er sie. Der Film läuft weiter, während die Schauspielerin leblos auf die Rücklehne ihres Sitzes niedersinkt. Für einen kurzen Augenblick vereint der Bildausschnitt die Nahaufnahme der Toten mit ihrer Doppelgängerin auf der Leinwand. Dem Filmbild geopfert, überlebt Lulu als Wesen aus Zelluloid.
Louise Brooks selbst erfährt als Vergessene immerhin noch zu Lebzeiten ein Comeback. Henri Langlois’ Retrospektive an der Cinémathèque in Paris 1957 erlaubte cineastisch Interessierten, sie wiederzuentdecken. Die Liebe zum Filmbild und die Liebe zum Gesicht einer Frau treffen noch einmal in Jean-Luc Godards Vivre sa vie (1962) als explizite Hommage an Louise Brooks zusammen: Anna Karina passt den Brooks-Look dem Stil der Nouvelle Vague an. Es folgt eine Reihe von Nachahmungen, in denen das kulturelle Nachleben der Stummfilmikone eine Nachreife erfährt: Melanie Griffith in Something Wild (1986), Uma Thurman in Pulp Fiction (1994), Audrey Tautou in Le fabuleux destin d’Amélie Poulain (2001). Louise Brooks bleibt das Gesicht ihrer Zeit und hat dennoch – oder deshalb – ihre kinematische Ausstrahlung nie verloren. Durch die Linse der vielen Recyclings können wir sie heute einmal mehr – und zugleich ganz anders – geniessen.
Elisabeth Bronfen
Elisabeth Bronfen ist Kulturwissenschaftlerin an der UZH und Autorin.