La comédie
Die Komödie war in Frankreich während rund sieben Jahrzehnten reine Männersache. Erst 1969 fand sich in Nelly Kaplan und ihrem frechen Erstling La fiancée du pirate eine Erbin von Alice Guy-Blaché, die als Pionierin bereits um das Jahr 1900 Komödien gedreht hatte. Ab den 1980er-Jahren waren es dann vor allem Schauspielerinnen wie Josiane Balasko, Julie Delpy, Valérie Lemercier, Noémie Lvovsky oder Anne Le Ny, die sich dem Inszenieren von Komödien zuwandten, aber auch erfahrene Drehbuchautorinnen wie Agnès Jaoui und Danièle Thompson widmeten sich der «comédie au féminin».
Unter den zahlreichen Filmen über Zeitreisen findet sich nicht einmal eine Handvoll mit weiblichen Hauptfiguren. Weshalb zögert das Kino, Frauen auf derlei Expeditionen zu schicken? Unterstellt es ihnen einen Mangel an Neugierde, Fantasie, Tatkraft oder Verspieltheit? Noémie Lvovskys Camille redouble stellt da eine überfällige, beherzte Pioniertat dar. Die Regisseurin selbst spielt die Titelheldin, eine prekär beschäftigte, frisch geschiedene Schauspielerin Mitte 40, die in einer Silvesternacht zurück in ihre Teenagerzeit expediert wird.
Dieses hübsche Meisterwerk der Unternehmungslust nutzt das komische Potenzial der Ausgangsidee prächtig, ohne sich lange mit vorhersehbaren Verwicklungen aufzuhalten. Vielmehr schürft die Regisseurin vergnügt nach den emotionalen Schichten, die sich offenbaren, wenn man die Weichen der eigenen Biografie neu stellen kann. Als Erstes kommt Camille in der wiedergefundenen Jugend auf die Idee, die Stimme ihrer Mutter (Yolande Moreau) mit dem Kassettenrecorder aufzunehmen, deren Timbre von Geborgenheit und Zuversicht sie als Erwachsene so sehr vermisste. Die Schulfreundinnen beeindruckt Camille gewitzt mit ihrem Wissensvorsprung in Liebesdingen. Romantische Pläne verfolgt sie jedoch nicht, im Gegenteil: Um jeden Preis will sie die Anbahnung der Liebe zu ihrem späteren Mann verhindern.
Die beste Vergeltung
Familienbeziehungen, der Blick über den romantischen Tellerrand, «was wäre, wenn» und eine Schauspielerregisseurin – Lvovskys Komödie enthält zentrale Elemente der «comédie au féminin», und wie Camille redouble erzählt auch diese Filmreihe von einer Revision. Rund sieben Jahrzehnte lang galt die Komödie in Frankreich als Männersache; vor und hinter der Kamera. Darin folgte die Filmgeschichte jedoch keinem Naturgesetz. Das Werk von Alice Guy-Blaché führt vor Augen, wie anders es hätte kommen können. Sie war eine Pionierin, die nicht nur die Regeln des neuen Mediums mit entdeckte und erfand, sondern es auch verstand, die herrschenden Geschlechterverhältnisse im Konjunktiv zu denken. Bereits 1896 inszenierte sie ihre erste komische Pantomime, die einen Fortschritt zu dem berühmten L'arroseur arrosé der Brüder Lumière markiert, da sie nicht nur auf einem einzigen Gag beruht.
Zwar wird die französische Filmproduktion auch danach von Regisseurinnen mitgeprägt, aber Jacqueline Audry, Agnès Varda oder Marguerite Duras verfilmen eher dramatische Stoffe oder fungieren als Avantgarde eines experimentierfreudigen Kinos. Erst 1969 findet Guy-Blaché in Nelly Kaplan eine Erbin des Komödiantischen. La fiancée du pirate ist eine hinreissend rabiate Satire auf provinzielle Doppelmoral. Lustvoll seziert Kaplan die Korruption der Landbourgeoisie, gegen die Bernadette Lafont als wehrhafte, spöttische Aussenseiterin einen einfallsreichen Rachefeldzug führt. Die Filmreihe erzählt auch ein Stück Emanzipationsgeschichte von Künstlerinnen und Regisseurinnen. Von Diane Kurys stammt der Leitspruch, einen guten Film zu drehen sei die beste Vergeltung. Mit Diabolo menthe erobert sie sich ihre eigene Kindheit in den frühen 1960er-Jahren zurück. Vorwitzig trotzen die Schülerinnen den strengen Sitten und der ehernen Disziplin, die in ihrem Pariser Lycée herrschen. Sensibel erzählt Kurys von den Nöten der Pubertät, aber auch davon, wie nach Ende des Algerienkriegs sacht ein politisches Bewusstsein erwacht. Coline Serreaus 3 hommes et un couffin wiederum leistet auch kommerzielle Schrittmacherdienste für die «comédie au féminin». Die vergnügliche Läuterung dreier Schwerenöter zählt nach wie vor zu den zehn erfolgreichsten französischen Produktionen überhaupt. Weitere Meilensteine setzen Tonie Marshall, die für Vénus beauté (institut) als bisher einzige Regisseurin mit dem César ausgezeichnet worden ist, sowie Agnès Jaoui, die ein eigenes Genre begründet hat: die «depressive Komödie», die gesellschaftliche Konflikte mit melancholischem Witz im Alltäglichen verdichtet.
Komödiantischer Mehrwert
Coline Serreau fing als Zirkusakrobatin an und ist auch hinter der Kamera eine Equilibristin geblieben, die leichtfüssig Einsichten in die Widersprüche der modernen Gesellschaft gewährt. Die meisten Regisseurinnen jedoch gingen in eine andere Schule: Sie haben als Schauspielerinnen debütiert, als sensible, kluge und charismatische Komplizinnen. Das prägt ihre Regiearbeiten. Josiane Balasko, Julie Delpy, Valérie Lemercier, Anne Le Ny und ihre Kolleginnen besitzen ein präzises Gespür dafür, welchen Raum Darstellende brauchen, welche Dialoge zu ihnen passen und welches Tempo ihnen liegt. Yolande Moreau knüpft in Quand la mer monte ... an Erfahrungen an, die sie auf Tournee in der Provinz sammelte: eine träumerische Meditation über das Älterwerden, auch über die Schamhaftigkeit, die man wiederentdeckt, wenn man sich mit fünfzig noch einmal verliebt.
Ihre künstlerische Herkunft ist für diese Regisseurinnen eine Schule der Vielseitigkeit. Ihre Inszenierungen sind empfänglich für Wechsel im Erzählton. Ihre Komödien schlagen der Eindeutigkeit ein Schnippchen. Die französische Genrekategorie «comédie dramatique» besteht ja nicht auf dem Widerspruch, sondern der Durchdringung unterschiedlicher Elemente. Mon pire cauchemar von Anne Fontaine und Je vous trouve très beau von Isabelle Mergault spielen zwar die Dramaturgie des Kulturschocks, die Anziehung sozialer Gegensätze, mit boulevardesker Verve durch. Die schöne Kunst der Eskalation, die Julie Delpy in Lolo (gewissermassen ein Psychothriller zum Schenkelklopfen) praktiziert, speist sich aus den alltäglichen Katastrophen der Erziehung und des Erwachsenwerdens. Nie hat man das Gefühl, die Regisseurinnen stünden vor dem Dilemma, sich zwischen Charakternähe oder einer Pointe entscheiden zu müssen.
Die Filmemacherinnen streuen Sand ins Getriebe der Konventionen, verwandeln das Hergebrachte. Sie haben nicht nur Lust an den unwahrscheinlichen Begegnungen, aus denen sich komödiantische Funken schlagen lassen, sie haben auch Vertrauen in deren Tragfähigkeit. Sie beschreiten, wie Balasko in Gazon maudit, unverhoffte Wege. In Les sœurs fâchées von Alexandra Leclère treffen provinzielle Lebensfreude und Pariser Verdrossenheit aufeinander. Während des munteren Belagerungszustandes müssen sich die ungleichen Schwestern nicht rührselig annähern, vielmehr darf das Publikum sie allmählich in ihrer komplexen Gegensätzlichkeit entdecken – und sie sich selbst.
Serreaus Krisenkomödien geben sich nicht damit zufrieden, männliche Lebenslügen zu entlarven; bei ihr erteilt das Dasein den Figuren zuverlässig Lektionen in Toleranz und Verantwortung. Jaoui erweitert die Zuständigkeiten des Genres, indem sie Ausgrenzung, Ignoranz und archaische Machtverhältnisse geisselt; ihre Komödien sind Plädoyers für das Anderssein. Die komplizierte Dynamik ihrer Ensemblefilme findet ein vielfältiges Echo in den Arbeiten ihrer Kolleginnen. Der Schönheitssalon in Vénus beauté (institut) ist ein Mikrokosmos, ein märchenhafter Spielraum der Rituale und Begegnungen, der Vertraulichkeiten und Sehnsüchte. Im Mittelpunkt von Diabolo menthe mögen zwar zwei Schwestern stehen. Aber Kurys verleiht auch ihren Kameradinnen einfühlsam Kontur und begreift die Schulklasse als ein spannungsvolles Gemeinwesen. Die Vielstimmigkeit ist ein elementarer Wesenszug der «comédies au féminin». Das Publikum, das eigentlich eine Beziehungskomödie erwartet, findet sich oft genug in einem Familienfilm wieder. Verliebte sind für die Regisseurinnen selbstverständlich auch Töchter, Söhne, Geschwister, Freundinnen, Kolleginnen oder Mütter. Gewiss, sie setzen die Romantik in ihr Recht. Aber ihr Blick reicht weiter.
Gerhard Midding
Gerhard Midding arbeitet als freier Filmjournalist in Berlin.