René Hubert: Kleider machen Stars
Was wären Filmstars ohne charakteristische Kostüme und prachtvolle Kleider? Vom schwarzweissen Stummfilm der 1920er-Jahre bis zum farbgesättigten Cinemascope der 1950er-Jahre gehörte der Schweizer René Hubert (1895–1976) zur Crème de la Crème der Filmkostümbildner. Seine Markenzeichen waren Glamour und Opulenz: Mit grossem Flair für Stoffe, Farben und Linien steigerte er den Marktwert der Stars, indem er sie auf der Leinwand umwerfend aussehen liess. So prägte er rund zweihundert Filme in Hollywood und Europa. Eine Filmreihe zur Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich.
Ausgebildet als Stickereizeichner in St. Gallen, ging der Frauenfelder René Huber nach Paris, um an der École des Beaux-Arts Malerei zu studieren. Schon bald begann er als René Hubert – das «t» hatte er zugunsten der französischen Aussprache seinem Namen hinzugefügt –, Kostüme für die dortigen Music-Halls zu entwerfen. Während eines Aufenthalts in New York 1924 entstanden erste Filmkostüme für Nebenrollen in Sidney Olcotts Monsieur Beaucaire mit Rudolph Valentino.
Zurück in Paris wurde er im gleichen Jahr als Hauptentwerfer für Léonce Perrets Madame Sans-Gêne engagiert, mit Gloria Swanson in der Titelrolle. Nach dem Ende der Dreharbeiten nahm sie ihn als Gestalter ihrer beruflichen Kostüme und privaten Garderobe mit nach Hollywood – und lancierte damit endgültig seine Karriere im Filmgeschäft. Für The Love of Sunya (Albert Parker, 1927) entwarf er für sie ein Abendkleid mit markanten Schlitzen am Saum, die in Hollywood als «Hubert Splits» zum festen Begriff wurden.
René Hubert war so intensiv auf beiden Seiten des Atlantiks präsent wie kaum jemand sonst in der Filmwelt. In Hollywood arbeitete er von 1925 bis 1935 für Fox, Metro Goldwyn Mayer oder Paramount. Zwischen diesen Engagements hielt er sich immer wieder ein bis zwei Jahre in Berlin und Paris auf. So entwarf er zwischen Herbst 1928 und Frühling 1930 für die Ufa Kostüme für Asphalt von Joe May, Die wunderbare Lüge der Nina Petrowna und Die Drei von der Tankstelle und für René Clairs Sous les toits de Paris.
Die zweite Hälfte der 1930er-Jahre verbrachte Hubert in London und stattete zahlreiche Musicals auf Bühnen im Westend aus, an seine Anfänge bei den Pariser Music-Halls anknüpfend. Parallel dazu arbeitete er für Alexander Kordas London Films.
Die antikisierenden Kostüme für William Cameron Menzies’ Science-Fiction-Epos Things to Come (1936) hatten markante, mit Hartgummi unterlegte Schultern sowie kurze Hosen und Röcke: Im Jahr 2036 würde konstant warmes Wetter herrschen. Dieser fortschrittsgläubige Film wurde stilbildend für das Genre. Anlässlich der ersten World Science Fiction Convention, die während der New Yorker Weltausstellung 1939 stattfand, wurden René Huberts Kostüme zudem zum Ausgangspunkt für die heutige popkulturelle Praxis des Cosplay.
Mode macht Kinokasse
Die Kleidung der Filmfiguren beeinflusst den Erfolg an der Kinokasse, und so bauten die Studios ihre Kostümateliers aus, organisierten sie arbeitsteilig und liessen Büsten aller Stars anfertigen, die unter Vertrag standen. Für jeden Film entstanden Dutzende Konzeptzeichnungen aller wichtigen Kostüme. Sie dienten für die visuelle und finanzielle Planung und als Grundlage für die Umsetzung im Atelier. René Hubert brachte als ausgebildeter Modezeichner und Maler seine Entwürfe selber zu Papier – Kostümbildnerinnen ohne entsprechendes Zeichentalent waren auf Illustratoren angewiesen.
In That Hamilton Woman verkörpern Vivien Leigh und Laurence Olivier die Liebe zwischen Lady Hamilton und Lord Nelson, dem Helden der Schlacht von Trafalgar 1805. In einer 40-sekündigen Sequenz eilt sie durch die schier endlosen Räume ihres neapolitanischen Palazzo, um Nelson um den Hals zu fallen – aber ebenso sehr, um den grandiosen Schauwert des Kostüms aus schimmernden Stoffen und transparentem Tüll vorzuführen.
Kriegsbedingt drehte Alexander Korda den Film 1940 in Hollywood. Dort traf René Hubert auf zwei weitere Emigrierte: In René Clairs turbulenter Komödie The Flame of New Orleans spielte Marlene Dietrich eine Hochstaplerin im New Orleans des 19. Jahrhunderts. Ihre Kostüme waren ebenfalls hochgestapelt: stilistisch mehr Gegenwart als Vergangenheit und ebenso überbordend wie die Titelheldin abenteuerlustig. Auch bei anderen historischen Werken aktualisierte René Hubert die Kostüme gerne mit zeitgenössischen Elementen.
1943 wurde er Kostümbildner bei Twentieth Century-Fox und stattete in den folgenden sieben Jahren über vierzig Filme aus. Für Lubitschs Heaven Can Wait, Broken Arrow von Delmer Daves und weitere Filme in Technicolor galt es, andere Textilfarbtöne zu wählen als für Schwarzweissfilme wie My Darling Clementine und Lifeboat. In Alfred Hitchcocks dokumentarfilmartigem Kammerspiel diente der Realismus der Kostüme der sozialen und politischen Einordnung der Filmfiguren.
Spätwerk in Cinemascope
Als Hollywood 1953 Cinemascope lancierte, um sich vom Fernsehformat abzugrenzen, erforderte das Breitbild oftmals mehr Figuren und somit mehr Kostüme. Etwa zeitgleich trat Eastmancolor an die Stelle von Technicolor und rief nach wiederum anderen Textilfarbtönen: Blau wirkte nun dominanter als zuvor, während Rottöne, die zuvor gedämpft wurden, nun aufgehellt werden mussten.
Im grossen Budget für Désirée (Henry Koster, 1954) waren drei Dutzend Kostüme für Jean Simmons enthalten: Als Napoleons Jugendliebe konnte sie alle drei bis vier Filmminuten in neuer Aufmachung erscheinen. René Hubert hatte einmal mehr aktuelle Abendkleider vor Augen und zugleich mit dem seit 1934 geltenden Hays Code zu kämpfen: «In Europa sind sie viel freier, wenn es um das Dekolleté geht. (…) Es ist seltsam, aber wahr: Wenn wir die tatsächliche Kleidung aus dem postrevolutionären Frankreich auf der Leinwand präsentierten, würde kein Zensor in Amerika sie genehmigen.» Für Marlon Brandos Selbstkrönung hingegen realisierte er eines seiner historisch korrektesten Kostüme.
1949 wurden Oscars für Kostümdesign eingeführt. Zur gleichen Zeit begannen die Repressionen der McCarthy-Ära, die René Hubert als homosexuellen Mann wohl darin bestärkten, sich nach 25 Jahren von Hollywood zu verabschieden. Désirée, für den er ein letztes Mal zurückgekehrt war, brachte ihm eine Oscarnomination ein. Auch Anatole Litvaks Anastasia (1956), Ingrid Bergmans Hollywood-Comeback, wurde in Europa gedreht, und so konnten die Anproben im Atelier Balenciaga in Paris stattfinden. Yul Brynner als Mastermind der Erbschleicherei trägt minimalistische, uniformartige Anzüge.
Cinemascope in Schwarzweiss prägte René Huberts letzten Film, die Dürrenmatt-Adaption The Visit (eben zu sehen in der Reihe «Dürrenmatt im Kino»), die Bernhard Wicki 1964 in Cinecittà drehte und die dem Kostümbildner ebenfalls eine Oscarnomination einbrachte. Ihren Besuch als zu Reichtum gekommene Rächerin beginnt Ingrid Bergman in Weiss, beim Tribunal am Ende trägt sie Schwarz. Dazwischen beobachtet sie elegant-distanziert die Eskalation im Dorf Güllen in markant gemusterten Kleidern, die die italienische Modemacherin Nina Ricci mitentworfen hatte.
Glamour für den Alltag
Mit zunehmendem Renommee kam René Hubert zu einem ersten Auftrag in der Heimat für das Modetheater an der Landesausstellung 1939. Die «Schweizer Film-Zeitung» berichtete in ihren ab 1942 erscheinenden Quartals-Sonderheften «Film-Mode» über die aktuelle Damengarderobe in Hollywood und wiederholt auch über René Hubert. Das dürfte weitere Modeaufträge für Bally, Grieder und Jelmoli begünstigt haben.
Den Abschied vom Kino erleichterte ihm auch das Engagement als Hausdesigner der aufstrebenden Swissair: Von 1950 bis 1966 entwarf er die Kabinen sämtlicher Propeller- und Düsenflugzeuge und die Uniformen der Stewardessen. So konnte ein Swissair-Slogan René Huberts vielseitige internationale Karriere auf den Schlusspunkt bringen: «The man who dresses filmstars and aircraft».
Andres Janser
Andres Janser, Film- und Designhistoriker, hat die Ausstellung «René Hubert: Kleider machen Stars» kuratiert, die im Museum für Gestaltung Zürich, Toni-Areal, bis zum 20. Juni 2021 läuft.