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Paul Schrader

Paul Schrader schrieb mit den Drehbüchern zu Martin Scorseses Werken Taxi Driver und Raging Bull Filmgeschichte. Auch seine eigenen Regiearbeiten wie American Gigolo und The Card Counter kreisen um einsame Antihelden auf der Suche nach Erlösung und sind mit religiösen Motiven durchwirkt, die auf die streng calvinistische Erziehung des Amerikaners verweisen. 2021 wurde Schrader vom Zurich Film Festival mit dem Lifetime Achievement Award ausgezeichnet; nun zeigt das Filmpodium die dazugehörige Retrospektive. Als Kind wollte Paul Schrader einmal wissen, wie es denn in der Hölle sei. Seine Mutter nahm eine Stricknadel, stach ihm in den Daumen und antwortete: «So schmerzhaft ist es die ganze Zeit, wenn man in der Hölle schmort.» Die Schraders gehörten einer streng calvinistischen Freikirche an, und mit dem Nadelstich wollte die Mutter ihren Sohn vor dem Abgleiten in ein sündiges Leben bewahren. Unterhaltung war des Teufels, Filme inexistent. Erst mit 17 Jahren war Schrader zum ersten Mal in einem Kino. Wenig später kehrte er, der am Calvin College in seiner Heimatstadt Grand Rapids Theologie studierte, seinem Milieu den Rücken und floh nach Kalifornien. Über den Gegensatz der beiden Welten – hier die Jugend im puritanischen Elternhaus im Midwest, dort das Eintauchen in den Sex-Drugs-&-Rock-ʼnʼ-Roll-Lifestyle der Hippies – drehte Schrader später den Spielfilm Hardcore (1979). Darin sucht ein Vater aus Grand Rapids in L.A. seine Tochter, die sich als Pornostarlet verdingt. Der Protagonist war Paul Schraders eigenem Vater nachempfunden.
In Los Angeles traf Schrader die einflussreiche Filmkritikerin Pauline Kael und diskutierte einen Abend lang mit ihr über die wenigen Filme, die er bis dato gesehen hatte. Am Ende war er so betrunken, dass er auf ihrem Sofa einschlief. Am nächsten Morgen bereitete ihm Kael ein Frühstück und sagte: «Du solltest nicht Pfarrer werden, sondern Filmkritiker.» Dank Kaels Empfehlung konnte Schrader für die tonangebenden Filmzeitschriften «Film Quarterly» und «Film Comment» schreiben. Besonders angetan hatten es ihm intellektuelle Autorenfilme mit religiösen Motiven, etwa von Carl Theodor Dreyer, Robert Bresson oder Yasujiro Ozu.

Archetypische Antihelden
Schrader war in den siebziger Jahren ein gequälter Mann, hin- und hergerissen zwischen den Prägungen seiner Herkunft und den Verlockungen der Gegenkultur. Um seine existenziellen Nöte zu therapieren, begann er, fiktionale Stoffe zu schreiben, etwa das Drehbuch zu Martin Scorseses Taxi Driver. Der von Robert De Niro verkörperte Taxifahrer mit Vietnam-Vergangenheit war einerseits ein Wiedergänger des Kindes in Bressons Pickpocket, dem Film, der Schrader Lust gemacht hatte, selbst Regisseur zu werden. Andererseits war er ein Alter Ego des Regisseurs: «Ich war schwer depressiv und redete mit niemandem», erklärte Paul Schrader am letzten Zurich Film Festival, wo er für seine Karriere geehrt wurde. «Ich schrieb die Figur, um nicht zu werden wie sie.» Mit Travis Bickle schuf Schrader einen Archetyp, der auch in vielen seiner Filme vorkommen sollte: der einsame Antiheld, der zwar einen bürgerlichen Beruf ausübt, der ihm als Fassade dient, der aber immer mehr in Teufels Küche gerät und sich nach Erlösung sehnt. Protagonisten dieser «man in a room»-Filme, wie Schrader sie selbst nennt, sind der von Richard Gere verkörperte Callboy in American Gigolo (1980) oder der von Willem Dafoe gespielte Drogendealer in Light Sleeper (1992) ebenso wie Nick Noltes geplagter Sheriff in Affliction (1999), Ethan Hawkes Pastor in First Reformed (2018) oder Oscar Isaacs Pokerspieler in The Card Counter (2021).
Dass dieser existenzialistische, in sich gekehrte Held in Schraders Spätwerk ein Comeback feiert, ist kein Zufall. Schrader hat sich nach Jahren der Glaubensabstinenz wieder einer Kirche angeschlossen und setzt sich erneut intensiv mit Fragen von Schuld und Sühne auseinander. Wie es dazu kam? «Mein Computer wurde nun mal so programmiert», erklärte er lachend nach der Award-Übergabe am ZFF, ehe er es dann mit Albert Camus etwas gehobener formulierte: «Ich glaube nicht, aber ich habe mich dazu entschieden zu glauben.»

Frühe und späte Höhepunkte
Auf dem Zenit seines Schaffens gelang Schrader ein Wurf, der bis heute nichts von seiner verstörenden Kraft eingebüsst hat: Cat People (1982). Mit diesem ersten Film nach einem fremden Drehbuch streifte er die Fesseln des Realismus ab und begab sich in das Reich der Mythen. Nastassja Kinski, mit der Schrader eine Affäre hatte, verkörpert eine Jungfrau, die durch sexuelles Verlangen in einen Leoparden verwandelt wird. Sie gerät an einen Zoodirektor, der Tiere mehr liebt als Menschen und die Katzenfrau durch seine Zuneigung zur Bestie macht. Es ist ein albtraumhafter Horrorfilm mit grandiosem, die Farbe Rot betonendem Set Design von Ferdinando Scarfiotti und einem sinistren New-Wave-Titelsong, den David Bowie in Montreux einspielte.
Danach ging Paul Schrader nach Japan, um sein Opus magnum Mishima, ein Porträt des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima, in Angriff zu nehmen. In vier Kapiteln schildert Schrader den letzten Tag des Autors, der 1970 durch rituellen Suizid aus dem Leben schied. In Rückblenden werden Schlüsselstationen seines Lebens gezeigt sowie Auszüge aus drei seiner Romane. Ein ebenso komplizierter wie ambitionierter Film, der schwierig zu bewerkstelligen war. Zwar brachte Warner Bros. dank der Produzenten Steven Spielberg und George Lucas die Hälfte des Budgets auf, doch Mishimas Witwe, die das literarische Erbe ihres Gatten verwaltete, zog ihre Einverständniserklärung zurück. Und rechtsradikale Nationalisten sprachen Drohungen gegen Schrader aus. Sie stiessen sich an der Darstellung von Mishimas Homophilie und daran, dass die Vita ihres Nationalhelden von einem Ausländer verfilmt wurde. Schliesslich war der Kunstfilm im Westen ein Flop und konnte in Japan nicht gezeigt werden. Schrader sagt, dieser Film sei sein «Einhorn», auf das er besonders stolz sei.
Als Schrader in die USA zurückkehrte, war das klassische Studiosystem am Ende. Und die Art Autorenkino, wie er es machte, musste unabhängig produziert werden. Schrader hielt sich vor allem als Drehbuchautor über Wasser. Nach einer langen Phase der künstlerischen Mediokrität wurde seine Karriere vor drei Jahren mit dem von der Kritik gefeierten Psychodrama First Reformed neu lanciert. Es erzählt von einem Provinzpfarrer, der eigentlich seinen Schäfchen Trost spenden sollte, aber selbst den Boden unter den Füssen verliert, als ihn eine schwangere Frau bittet, ihrem suizidgefährdeten Ehemann beizustehen. Der Film ist ein Meisterwerk der Form, in dem die streng geometrische Bildkomposition das moralische Korsett betont, in dem der Antiheld steckt. Und wie in seinem jüngsten Werk The Card Counter vereint Schrader darin die Qualitäten seiner prägenden Lebensabschnitte: die philosophische Tiefe und die formale Disziplin, die von seiner religiösen Jugend herrühren, und die Charakterzeichnung eines rebellischen Antihelden, der seine Vorbilder in der cineastischen Gegenkultur von New Hollywood hat.
Christian Jungen

Christian Jungen ist promovierter Filmwissenschaftler und Artistic Director des Zurich Film Festival.