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Monica Vitti: Coole Komödiantin

Wenn Monica Vitti ins Bild tritt, dann gehört es ihr. Mit ihrem eigenwillig schönen Gesicht, ihrer totalen physischen Präsenz, der rauen Stimme und diesem betörenden Blick, halb verschleiert, halb fordernd, weiss sie das Publikum in jeder Einstellung an sich zu fesseln. Die römische Ausnahmeschauspielerin erfand mit Michelangelo Antonioni in dessen grossen Entfremdungsparabeln das italienische Kino neu und gab die moderne Frau zwischen Coolness und Verlorenheit. Nach der privaten und beruflichen Trennung von Antonioni startete Vitti noch einmal durch und überzeugte als kraftvolle Komödiantin, oft in der Rolle von Frauen, die dem Leben den ihnen zustehenden Teil abzutrotzen wissen. Ein Wiederbegegnung zwischen Lachen und Melancholie, ein Jahr nach Vittis Tod. Als Monica Vitti am 2. Februar 2022 im Alter von 91 Jahren starb, erinnerten sich viele an sie, obwohl sie sich 20 Jahre lang nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt hatte. Die Nachrufe auf die Schauspielerin waren allerdings stets gleich aufgebaut: fünf Abschnitte über ihre Filme mit Michelangelo Antonioni, ein einziger über ihre zweite – überaus erfolgreiche – Karriere als Komödiantin. Lachen zählt bis heute weniger als Einsamkeit.
Klar, wir alle haben uns verliebt in diese Antonioni-Vitti: wie sie langsam das Zepter übernimmt in L’avventura (1960), dem ersten Film mit ihrem Mentor und zeitweiligen Lebensgefährten. Wie sie flirtet mit Marcello Mastroianni in La notte (1961), wie sie Alain Delon abblitzen lässt in L’eclisse (1962). Wie sie – Gipfel dieser Zusammenarbeit – zerbricht in einer industrialisierten Welt in Il deserto rosso (1964). Und darin Sätze sagt wie: «Mi fanno male i capelli.» – Die Haare tun mir weh.
Die Haare. Schlüssel zu Monica Vitti und ihrer Coolness bei Antonioni: Sie lässt sie flattern im Wind als Zeichen ihrer Unabhängigkeit. Und zerzaust sie als Sinnbild ihrer Depression. Aber es geht eben auch anders. In La ragazza con la pistola (1968) trägt sie einen unglaublichen Zopf, der bis zu ihrem Gesäss reicht. Oft steckt sie ihn auf, aber manchmal lässt sie in fallen, zum Beispiel an einer Party – wo er prompt im Glas eines Mannes landet. Der schaut ziemlich verwundert. Doch sie lässt sich nichts anmerken.
So gibt sie sich im ganzen Film. Mit stoischen Gesichtszügen – Buster Keaton lässt grüssen – bewegt sich Monica Vitti durch die verschiedenen Schauplätze in Schottland und England. Sie spielt eine Sizilianerin, die Rache nehmen will an einem Mann, der sie nach einem alten Brauch entführt, danach aber nicht geheiratet hat und auf die britische Insel geflüchtet ist. Und weil sie keine männlichen Verwandten hat, nimmt sie die Rache (also die Pistole) selbst in die Hand und verfolgt ihn.

Fürs Lachen zieht sie sich in ein Zimmer zurück
Nichts kann sie von ihrem Ziel abhalten, nichts kann sie erschüttern. Und als sie einmal doch einen Lachanfall bekommt, wegen eines Mannes im Schottenrock notabene, zieht sie sich in ein Zimmer zurück. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen, aber alle hören, wie sie sich kugelt. Erst als es vorbei ist, tritt sie wieder unter die Leute. Ohne eine Miene zu verziehen.
Mit La ragazza con la pistola von Mario Monicelli, Italiens Meister der Commedia all’italiana, wurde Monica Vitti bei einem breiten Publikum zum Komödienstar, verleugnete aber ihre Vergangenheit nicht: Wie bei Antonioni ist sie auch hier eine Frau, die den Männern weit voraus ist. Alle versuchen, mit ihr zu spielen, sie zu verführen, sie zu hintergehen – aber am Ende ist sie es, die genau das tut, was sie will. Und den Männern das Staunen lässt.
Monica Vitti kam am 3. November 1931 als Maria Luisa Ceciarelli zur Welt, ihr Bühnenname war der ledige Name ihrer Mutter. Früh spielte sie Theater, wo ihr die Lehrpersonen ein grosses komödiantisches Talent bescheinigten. Das konnte sie viel später als Mädchen mit der Pistole so richtig ausleben. Mit dieser Rolle gewann sie ihren ersten David di Donatello – den italienischen Oscar – als beste Darstellerin, vier weitere sollten in den 1970er-Jahren folgen.
Als einzige Frau arbeitete sie sich in dieser Zeit in die Riege der grossen italienischen Komödienstars hoch, konnte auch verdienstmässig mit Persönlichkeiten wie Vittorio Gassman und Ugo Tognazzi mithalten. Schön, zum Beispiel, wie sie in Ettore Scolas Dramma della gelosia (1970) mit keinen Geringeren als Marcello Mastroianni und Giancarlo Giannini Katz und Maus spielt. Und am Ende auf ihre Art gewinnt.
Selbstverständlich wurde sie damals auch gefragt, weshalb sie plötzlich auf Komödien setze. «Weil es mir ein Vergnügen ist», war ihre Antwort. Und: «Weil es mindestens so anspruchsvolle Kunst ist, die Leute zum Lachen zu bringen.»
Interessanterweise war Monica Vitti vor ihrem grossen Durchbruch als Komödiantin in Italien bereits in lustig gemeinten internationalen Filmen zu sehen. Roger Vadim drehte mit ihr in Frankreich Château en Suède (1963). Und Joseph Losey gab ihr in der englischen Comicverfilmung Modesty Blaise (1966) die Hauptrolle – eine Komödie, die den Kritiker der «New York Times» zu folgenden Sätzen verleitete: «Mr. Losey hat einen armseligen Job gemacht … Miss Vitti ist einfach nur steif und posiert so, als hätte sie bei ihrem ersten Versuch einer englischen Komödie keine Ahnung von Humor.»
Die Agentenparodie fiel damals durch, nicht zuletzt, weil Monica Vitti ihre grosse Stärke – die Aussprache und die Intonation – nicht ausspielen konnte. Aber die Komödie ist tatsächlich auch ziemlich konfus gedreht und geschnitten. Heute geniesst sie gerade deswegen Kultstatus, da ist vieles so bizarr und schräg, dass es grosse Freude macht. Monica Vitti präsentiert diverse Perücken – die Haare! – und betrügt als Doppel- und Tripelspionin Freund und Feind. Natürlich mit Happy End für sie.

Leichtigkeit und totale physische Präsenz
So manches in den italienischen Komödien bleibt der Zeit verhaftet, aber in allen gibt es etwas Besonderes zu entdecken. Es ist wunderbar, zu sehen, wie Monica Vitti in Io so che tu sai che io so (1982) dem lauten und dominierenden Komödienstar Alberto Sordi mit Subtilität – ein Zwinkern da, ein Augenverdrehen dort – die Stange hält. Und wie sie sich in Teresa la ladra (1973) mit Leichtigkeit und totaler physischer Präsenz handfest durch die schweren Zeiten des Zweiten Weltkriegs schlägt. Dieser Film wurde übrigens von einem weiteren Lebensgefährten von ihr gedreht: Carlo Di Palma, dem Kameramann aus Il deserto rosso.
Ist das Leben eine Komödie? Monica Vitti schien das mit ihren späteren Filmen beweisen zu wollen. Und als im wirklichen Leben die französische Zeitung «Le Monde» ihr 1988 arg mitspielte und fälschlicherweise ihren Suizid vermeldete, blieb sie cool: Eine vorzeitige Todesmeldung bedeute in Italien, dass man ein langes Leben haben werde, liess sie vermelden. Und bedankte sich bei der Zeitung.
Ein Jahr später drehte Monica Vitti noch Scandalo Segreto (1989), ihren einzigen Film als Regisseurin. Sie hatte auch das Drehbuch dafür geschrieben und den amerikanischen Star Elliott Gould engagiert, aber der Film blieb erfolglos. Sie zog sich dann langsam zurück, trat nur noch ab und zu im Fernsehen und auf Theaterbühnen auf. Und ab 2002 war sie, zunehmend dement, nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sehen. Ihre Abwesenheit machte sie noch mehr zum Mythos, wobei – auf alle Fälle ausserhalb Italiens – die Antonioni-Filme ihren Kultstatus nährten. Und die Komödien vergessen gingen.
Allerdings: Der erste Film überhaupt, in dem Monica Vitti mitspielte, heisst Ridere! Ridere! Ridere!. Ein Programm, das sie viele Jahre später perfekt umsetzte. Hinschauen!
Matthias Lerf

Matthias Lerf war viele Jahre lang Filmredaktor der «SonntagsZeitung» und des «Tages-Anzeigers». Ab dem 1. Februar 2023 arbeitet er als freier Journalist.