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Marilyn Monroe Revisited

Sechzig Jahre nach Marilyn Monroes mysteriösem Tod 1962 hat Netflix im letzten August mit Blonde das Interesse an diesem einzigartigen Star wieder angefacht. Die Verfilmung des Romans von Joyce Carol Oates stellt Monroe aber sehr reduktiv dar. Elisabeth Bronfen, die schon in ihrem Buch «Diva» (2002) über Monroe reflektiert hat, wirft in ihrem Essay einen anderen Blick auf die Blondine, die keine war. Bei der Verwandlung von Norma Jeane Baker in die berühmteste Ikone weiblicher Verführungskraft des 20. Jahrhunderts spielt das Changieren zwischen den zwei Körpern des Stars eine wesentliche Rolle. Für den Psychothriller Niagara (1952) wurde ihr natürlicher Körper durch plastische Chirurgie zum Starkörper umgemodelt: Ihre Nase wurde geliftet, ihr Haaransatz korrigiert, die Zähne wurden begradigt und dem Kinn verlieh man markantere Züge. Doch obgleich man bei der Twentieth Century Fox Marilyn Monroe auf ihre aufreizenden Körperteile zu reduzieren suchte – «liebliches Gesicht», «praller Busen», «knackiger Po» –, ging von dieser Sexgöttin eine ganz eigene Strahlkraft aus. In das vorgesehene Schema wollte sie sich nicht pressen lassen, stattdessen hat sie es demontiert, indem sie ihren erotischen Charme bis zum Exzess zur Schau stellte. Wenn Marilyn Monroe in The Seven Year Itch (1955) über einem U-Bahn-Schacht steht, damit der Wind des vorbeifahrenden Zuges ihren Rock immer höher flattern lässt, bleibt sie ihrem Diktum treu: «In Wahrheit habe ich nie jemandem etwas vorgetäuscht. Ich habe nur Männern manchmal erlaubt, sich selbst etwas vorzumachen.»

Ausbeutung und Selbstbestimmung
Eine Oscarnominierung hat sie nie erhalten, denn die Widersprüche, die sie öffentlich zur Schau trug, machten Hollywood nervös. Einerseits war sie die sensible, verletzliche Träumerin, die, unfähig sich zu verteidigen, hilflos der Ausbeutung durch das Studiosystem ausgeliefert war. Andererseits sehnte sie sich nach Ruhm und setzte ihren ganzen Ehrgeiz daran, als Schauspielerin ernst genommen zu werden. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere hat sie ihre eigene Produktionsfirma gegründet, um in The Prince and the Showgirl (1957) mit intelligentem Charme das eigene Starimage zu entlarven: Elsie Marina weiss genau, dass der karpathische Aristokrat (gespielt von Laurence Olivier, der auch Regie führte) sie nur zu sich hat kommen lassen, um sie sexuell auszunutzen. Als sie ihn dann mit List und Tücke dazu bringt, sich in sie zu verlieben, ist sie diejenige, die ihm nach zwei stürmischen Nächten zu verstehen gibt: Es war doch nur eine kurze Affäre, aber eine, in der stets ich die Fäden in der Hand hatte.
Wenn wir also heute auf Marilyn Monroe blicken, dann um den Widerstreit zwischen dem Starimage der «dummen Blondine» und ihrem selbstbestimmten Umgang damit nochmals neu zu betrachten. Dabei rückt weiterhin ihr geheimnisvoller Tod am 4. August 1962 das Tragische in ihrem Leben in den Vordergrund: die Drogen- und Alkoholabhängigkeit, die Depressionen und die Schlaflosigkeit, die psychischen Zusammenbrüche, die Fehlgeburten, die gescheiterten Ehen mit Joe DiMaggio und Arthur Miller. Im Nachhinein lässt sich viel leichter erkennen, wie sehr ihrer unbekümmerten Fröhlichkeit ein grenzenloser Selbstzweifel und eine tiefe Einsamkeit innewohnten, wie sehr ihr strahlendes Lächeln oft in eine untröstliche Traurigkeit umzukippen drohte. Die besondere Strahlkraft, die von ihr ausgeht, begreifen wir heute als Anzeichen dafür, wie fragil diese Lichtgestalt war, die einen besonderen Puder benutze, um ihre Haut noch heller erscheinen zu lassen.
Die einseitige Sichtweise, die jüngst in Andrew Dominiks Netflix-Film Blonde dargeboten wurde, reduziert Marilyn Monroe einmal mehr auf einen Gegenstand, zwar nicht auf ein Sexsymbol, dafür aber auf das Symbol des weiblichen Opfers. Doch wer ihren Wunsch nach Celebrity vornehmlich als Kompensation für Ängste und Minderwertigkeitsgefühle deutet, übersieht das, was Monroes nachhaltigen Charme ausmacht: ihre Intelligenz, ihr Witz und ihr Talent.

Monroes Blick auf sich selbst
Unermüdlich hat Monroe in Interviews darauf hingewiesen, dass sie mehr sei als eine Projektionsfläche, derer andere sich uneingeschränkt bedienen dürfen. «Man landet immer im Unbewussten anderer Leute. Es ist zwar schön, in den Fantasien anderer Menschen vorzukommen, aber man möchte doch eigentlich gerne akzeptiert werden als das, was man selbst ist.» Heute nochmals auf Marilyn Monroe zu blicken, könnte heissen, sie nicht als Ware zu betrachten, mehr zu sehen als ihre Reduktion auf eine Chiffre. Die vielen Filmaufnahmen, die sie mit schwingenden Hüften von hinten zeigen, könnte man auch als Angebot verstehen, mit ihr zu blicken, statt sich auf ihren Po zu fixieren. Die eng anliegenden Kleider müssen nicht zwingend als Beispiel für jenen Exhibitionismus gesehen werden, der zum Starimage einer jeden Sexgöttin gehört. Wenn die Nähte ihrer Kleider zu platzen drohen, lässt sich das auch als Zeichen dafür lesen, dass sich ihre Sinnlichkeit nicht vom engen Korsett der Moralvorstellungen der 1950er-Jahre einschränken liess.
Marilyn Monroe nicht auf eine Chiffre zu reduzieren, kann auch heissen, unsere Aufmerksamkeit auf jene Selbstironie zu lenken, mit der sie das Klischee der «dummen Blondine» sowohl bediente als auch entlarvte – und dabei mit klugem Witz an ihrem Image zu schleifen wusste. Am Ende von Gentlemen Prefer Blondes (1953) findet ein treffendes Gespräch zwischen Lorelei Lee und dem Vater ihres Bräutigams statt. Erstaunt bemerkt der ältere Herr, der diese Heirat hartnäckig verhindern wollte, sie sei ja gar nicht dumm, wie man ihm berichtet habe. Schlagfertig erwidert sie, sie könne durchaus intelligent sein, wenn es darauf ankomme, nur würden die meisten Männer das nicht mögen. Ebenso ironisch ist die Selbstdemontage in der Schlussszene von Some Like It Hot (1959), in der Sugar Kane sich begeistert einem Liebhaber hingibt, von dem sie weiss, er wird sie enttäuschen. Die Geste bestrickt uns, weil wir wissen, dass sie dies sehenden Auges tut: Bei ihrem ersten Treffen mit dem als «Josephine» verkleideten Tony Curtis in der Toilette des Zuges erzählte sie von ihrer Schwäche für untreue Saxofonisten. Am Ende der Beichte deutete sie mit dem Zeigefinger auf ihre Schläfe und meinte strahlend von sich selbst: «Not very bright.» Das kann nur eine Schauspielerin so leichtfüssig darbieten, die tatsächlich sehr klug, sehr fordernd und sehr kritisch ist. Im Nachhinein fällt auf, was man damals nicht wahrnehmen wollte: Kein anderer Hollywoodstar wurde so oft wie sie als Lesende fotografiert, von Eve Arnold sogar mit Joyce’ «Ulysses» auf dem Schoss.
Schauen wir heute noch einmal auf Marilyn Monroe, dann nicht zuletzt wegen der einzigartigen Liebesbeziehung, die sie mit der Kamera hatte. Von den Beschränkungen durch ihre Filmrollen befreit, hat sie sich von Fotografen in ihrer nackten Menschlichkeit aufnehmen lassen. So bleibt neben den unnachahmlichen Gesten und dem einzigartigen Timbre ihrer Stimme der geheimnisvolle Reiz ihres Gesichts. So viel gibt ihr direkter Blick in die Kamera preis und behält doch so viel für sich. Eben weil Marilyn Monroe sich nie ganz, nie endgültig begreifen lässt, ergreift uns ihr Anblick auch weiterhin. Was Shakespeare in seiner Tragödie «Antony and Cleopatra» über die altägyptische Herrscherin sagen lässt, trifft auch für die Königin der Celebrity-Culture zu: «Sie macht hungrig, wo sie am meisten befriedigt hat.»
Elisabeth Bronfen

Elisabeth Bronfen ist Kulturwissenschaftlerin an der UZH und Autorin.