Frauen filmen Freiheit #1: Iranische Regisseurinnen im Widerstand
«Frau, Leben, Freiheit» – mit diesem kurdischen Slogan setzen sich mutige Protestierende im Iran gegen ein brutales Regime zur Wehr. Unsere Solidaritätsretrospektive lässt iranische Filmgeschichte als Frauenrevolutionsgeschichte (neu) entdecken. Ausgesuchte, zum Teil selten gezeigte Spiel-, Dokumentar- und Essayfilme iranischer Regisseurinnen verschiedener Generationen ergeben ein schillerndes Kaleidoskop an Filmformen des Widerstandes gegen den Belagerungszustand der Frau in der iranischen Gesellschaft. Zahlreiche Filmschaffende werden anwesend sein. Im Rahmen eines prominent besetzten Panels wird es zudem um Fragen feministischer Gegenöffentlichkeit im Iran an der Schnittstelle von Geschlechterpolitik, Körper und Kunst gehen.
«Ohne Freiheit der Frau ist eine freie Gesellschaft nicht denkbar», so lautet eine kurdische Überzeugung, die in dem Slogan «Frau, Leben, Freiheit» («Jin, Jiyan, Azadi») zum Ausdruck kommt. Ein Zusammenklang von drei Worten wurde zum Leitspruch der feministischen Bewegung im Iran, die nach dem gewaltsamen Tod der kurdischen Iranerin Jina (Mahsa) Amini im September 2022 entstand – und anhält. Der Kampf der Frauen gegen die Kolonisierung ihrer Körper wurde zum Kampf der gesamten Bevölkerung für Grundrechte. Die Solidaritätsretrospektive nimmt die aktuellen Proteste zum Anlass, um iranische Filmgeschichte als generationenübergreifende Geschichte widerständiger Frauen hinter wie vor der Kamera zu erzählen, die sich jeweils auf ihre eigene Art frei filmten.
Widerstand gegen Klischees
Das iranische Kino entlang von Frauenwiderstandsgeschichte neu zu entdecken, bedeutet zunächst einmal, von Klischees und Trademarks wegzukommen, auf die das «neue iranische Kino» nach der islamischen Revolution (1979) und vor allem nach dem Iran-Irak-Krieg (1980–88) von internationalen Distributions- und Festivalpolitiken festgeschrieben war: einfache, gleichnishafte Geschichten über das Landleben, die dazu führten, dass in Europa der Eindruck entstand, «dass es im gesamten Iran keine Stromversorgung und kein Telefon gibt», wie Regisseur Mohammad Farokhmanesh einmal sarkastisch bemerkte.
Der Widerstand der iranischen Regisseurinnen ist somit auch an dieser Front – derjenigen der Festivalpolitiken – anzusiedeln. Während etwa Abbas Kiarostami in den 1990er-Jahren das iranische Kino zum wichtigsten Exportgut nebst «Pistazien, Teppichen und Öl» zählte und wusste, dass seine eigenen Filme einen wesentlichen Beitrag dazu leisteten, benötigten die nicht weniger bedeutsamen Filme von Rakhshan Banietemad, die diese Klischees nicht bedienten, Jahrzehnte länger, um in Europa wahrgenommen zu werden. Die Sozialgeschichte Teherans, die Banietemad in ihren quasineorealistischen Spielfilmen erzählt, entsprach eben nicht den exotisierenden Sehnsüchten Europas nach Bildern eines vormodernen Dorflebens im Iran, sondern zeigte eine vom Klassenkampf zerrüttete Grossstadtgesellschaft. Als Schlüsselfilm kann Under the Skin of the City gesehen werden, Banietemads im armen Süden Teherans angesiedelte Geschichte des Überlebenskampfs einer mutigen «Mamma Tehrani».
Filmen an vielen Fronten
«Statistiken besagen, dass der Iran tatsächlich einen höheren Prozentsatz an Filmemacherinnen hat als Amerika», meinte Banietemad einmal in einem Interview. Auch wenn es nach der Islamischen Revolution zunächst darum ging, Frauen aus den Filmen visuell wie akustisch zu vertreiben, war das unerwartete Ergebnis dieser «Reinigungsphase» eine vorher nie da gewesene Öffnung der Filmindustrie für Frauen. Zwar mussten sie sich vor wie hinter der Kamera an die strengen Regeln der Verschleierung halten – doch erkannten die Kulturfunktionäre immerhin ab 1985, dass sie in eine neue Generation auch junger Filmemacherinnen investieren mussten, um die geschwächte Filmindustrie anzukurbeln. Womit sie nicht rechneten: Allmählich schmiedeten die Regisseurinnen aus der Filmtechnik eine mächtige Waffe der Befreiung und der Sozialkritik. Ihre Filme feierten Erfolge an der Kinokasse und erreichten mit ihrer Botschaft ein breites Publikum. Neben Banietemads populärem Under the Skin of the City ist hier sicher Manijeh Hekmats epischer Box-Office-Erfolg und Frauengefängnis-Spielfilm Women’s Prison (2002) zu nennen, der akribische Milieustudien virtuos mit wuchtigen Genremotiven verwebt. Um die Achse eines erbitterten Konfliktes zwischen der aufsässigen Insassin Mitra und der Gefängniswärterin Tahereh erzählt der Film Geschichten von Macht, Sexualität und Gewalt, aber auch von Widerstand durch Frauensolidarität.
Nicht um das Gefängnis, sondern um eine Damentoilette als Resonanzraum der Gesellschaft geht es in Mahnaz Afzalis – an Cinéma-vérité-Traditionen angelehntem – Dokumentarfilm The Ladies Room (2003). Die Toilette in einem Park Teherans wird zum einzigen Ort, an dem Prostituierte, Heroinsüchtige und «runaway daugthers» öffentlich über ihre Gewalterfahrungen reden können. Im Unterschied zu Banietemad, die den Kampf mit der Zensur offiziell austrägt, ist Afzali in den filmischen Untergrund gegangen – und beantragt für ihre Filme kaum mehr Drehgenehmigungen. Trotzdem lebt sie immer noch im Iran, um in Kontakt mit den Entrechteten zu bleiben.
Ein weiterer Film von Afzali, die in Europa noch viel zu wenig bekannt ist, bietet vielschichtige Einblicke in das misogyne Justizsystem der iranischen Gesellschaft. The Red Card (2006) verhandelt den Schauprozess gegen Shahla Jahed (1969–2010), die zum Tode verurteilt wurde, weil man ihr als Geliebten des ehemaligen Nationalstürmers Nasser Mohammadkhani den Mord an dessen Frau angelastet hatte. Der Film ist das erschütternde Dokument einer Frau, die bestraft wird, weil sie eine Liebesbezieung so zu leben versucht, wie sie das für richtig hält. Eine Chance, den Prozess zu gewinnen, hatte sie nie – ihr Hals steckte von Anfang an in einem gesellschaftlich schon vorbereiteten Strick. Dass gegenwärtig die iranischen Frauen an vorderster Front sind, wenn es um autobiografische Essayfilme geht, zeigt Profession: Documentarist (2014), ein Omnibusfilm, der aus sieben Episoden von jungen Regisseurinnen besteht, die sensationell eigenwillige Formen gefunden haben, um Traumata, Zweifel und Ängste durchzuarbeiten, aber dennoch offen für die Zukunft bleiben. Die Filmemacherinnen leben zum Teil im Iran, zum Teil in der Diaspora, sie üben von vielen Orten Druck auf die sichtbaren und unsichtbaren Gefängniswände der iranischen Gesellschaft aus.
Wer jedoch der nostalgischen Ansicht ist, dass Frauen vor der iranischen Revolution unter dem Schah frei waren, wird Gelegenheit finden, die Facetten der Unterdrückung von Frauenkörpern auch aus der Zeit vor 1979 kennenzulernen: Sei es anhand von How Dare You Have Such a Rubbish Wish? (2022), dem jüngsten Found-Footage-Film von Künstlerin Mania Akbari über sexualisierende Männerblicke auf den weiblichen Körper im populären, vorrevolutionären Unterhaltungskino (filmfarsi), das die Frauen in keusche und unkeusche «Puppen» sortierte. Sei es anhand einer Perle des feministischen Films aus der vorrevolutionären Zeit selbst: The Sealed Soil (1977) von Marva Nabili ist das seltene Beispiel eines Spielfilms vor 1979, bei dem eine Frau Regie führte. Der Film, heimlich gedreht mit Laiendarsteller:innen in einem Dorf im Südwesten Irans, thematisiert die verzweifelten Versuche der 18-jährigen Rooey-Bekheir, aus dem Korsett der traditionellen Dorfgemeinschaft auszubrechen. Ihre Sehnsucht nach Freiheit wird in jenem Moment ganz besonders eindrücklich, in dem sich die Protagonistin des Kopftuchs entledigt, um den strömenden Regen endlich am eigenen Körper spüren zu dürfen.
Spätestens hier wird deutlich, dass der Befreiungskampf der Frauen wie das «Ticken eines Uhrwerks» (W. Benjamin) die gesamte iranische Filmgeschichte durchzieht – und dass sich dieses Ticken nun zum «Stundenschlag» einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung verdichtet hat. Wenn «der Zweck der Revolution (…) die Abschaffung der Angst» ist (Adorno, 1936), dann lässt sich schreiben: Angst machen lassen sich die Frauen des Iran nicht mehr. Angst hat vielmehr das System vor Veränderung. «Frauen filmen Freiheit»!
Matthias Wittmann
Matthias Wittmann ist Kurator, Schriftsteller und Filmwissenschaftler.
Zusatzinformationen:
Matthias Wittmann hat dieses Programm in Zusammenarbeit mit iranischen Filmemacherinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen kuratiert.