Josef Hader: Nicht ganz lieb
Josef Hader ist Künstler, Kabarettist, Autor, Schauspieler und Regisseur. Aber er ist vor allem und immer Hader. Und fast könnte man schon sagen, es ist egal, was passiert, solange Hader passiert: Wenigen nimmt man so wie ihm den Grant und die Ruppigkeit als fast schon verzweifelte Gegenwehr einer sanftsensiblen Seele ab. Wenige verstehen es wie Hader, die komischen und tragischen Seiten des Lebens furios miteinander zu verknüpfen. Ob als zynischer Pathologe in Aufschneider, als planloser Ermittler Brenner in den Haas-Verfilmungen oder als resignierter Suizidkandidat in Arthur & Claire – mit leicht gebückter Haltung und Dackelblick stolpert Hader gezielt über die Fallstricke des Lebens, bezieht häufig Schläge, teilt sie mit resignierter Boshaftigkeit auch gerne selbst aus und spielt sich uns – nicht ganz lieb – mitten ins Herz. Das Filmpodium lädt anlässlich des Kinostarts von Haders zweiter Regiearbeit Andrea lässt sich scheiden zur grausam-heiteren Hommage.
Josef Hader, 1962 geboren und im Waldviertel, einer infrastrukturell lange Zeit benachteiligten ländlichen Region Österreichs, aufgewachsen, begann 1982 mit dem Kabarett. Schon seine ersten Soloprogramme fanden Beachtung, schlagartig berühmt wurde er aber durch sein gemeinsam mit Alfred Dorfer verfasstes Theaterstück «Indien» (1991), das wenig später von Paul Harather verfilmt wurde. Der Erfolg war so nachhaltig, dass Hader und Dorfer bis heute zu den führenden Kabarettisten des Landes zählen.
Brutal und sentimenal
In Indien verkörpern sie zwei beamtete Hygieneinspektoren, die ländliche Gasthäuser unsicher machen. Bösel (Hader) ist ein ausgesprochen unangenehmer, selbstbezogener Kleinbürger, der die Wirte terrorisiert, sich bestechen lässt und auch seinen Kollegen Fellner (Typ: sensibler, aber trotzdem nicht sehr sympathischer Softie) sehr ruppig behandelt. Doch wie es in einem Buddy-Movie eben sein muss, nähern sich die beiden allmählich an, bis zum bitteren Ende. Es ist ein Stoff, wie er «österreichischer» gar nicht sein könnte. Das umstandslose Kippen von Aggression in Sentimentalität und umgekehrt, das jede:r im Lande gut kennt, macht aus Indien geradezu ein Volksstück, erkennbar auch daran, dass bestimmte Gesten und Sätze aus dem Film («Danke, ganz lieb») in die Alltagssprache übergingen und bis heute zu hören sind.
Indien erreichte mehr als 200’000 Zuschauer:innen, eine für Österreich fast unerhörte Zahl, die nicht oft übertroffen wurde – und wenn, dann meistens von Josef Hader selbst. Allerdings dauerte es bis zum Jahr 2000, bis Hader wieder so eine grosse Filmrolle spielte. Warum, ist leicht erklärt. In den 1990er-Jahren tourte er als Kabarettist durch die Lande und war auch in Deutschland und in der Schweiz erfolgreich. Sein Programm «Privat» wurde mit über 500’000 Besucher:innen ein Meilenstein der österreichischen Kabarettgeschichte. Hader erzählt darin (vermeintlich) seine Lebensgeschichte mit einem gehörigen Schuss schwarzem Humor, viel Fantasie und einem abgründigen Witz, eine Kombination, die bis heute sein Markenzeichen ist. 2004 kam sein durchaus passend betiteltes Programm «Hader muss weg» heraus. Danach sollten 18 Jahre vergehen, ehe mit dem urkomischen, aber bitterbösen «Hader on Ice» ein weiteres Solokabarett folgte, 18 Jahre, die geprägt waren von Josef Haders wachsendem Erfolg als Filmschauspieler, Drehbuchautor und Regisseur.
Dauer-Brenner
In mittlerweile vier Filmen, allesamt von Wolfgang Murnberger, spielte Hader den abgehalfterten Ex-Polizisten und Ex-Privatdetektiv Simon Brenner, der aus den Romanen des ehemaligen Werbetexters und späteren Erfolgsautors Wolf Haas stammt. Dank einer eigenwilligen, zwischen Alltagsdeutsch und Fernseh-Kauderwelsch angesiedelten Sprache, einer souveränen Lakonie, knackigen Pointen und einem grimmigen Humor, der dem aus Haders Kabarett nicht unähnlich ist, wurden Haas’ Bücher, darunter mehrere Krimis, zu Bestsellern. Sein Antiheld Brenner ist ein zerknautschter, vom Schicksal gebeutelter Mann, der in seine Fälle eher hineinstolpert, als dass er sie annimmt, und der der Lösung eher entgegentaumelt, als dass sie seinen brillanten Recherchen zu verdanken wäre. Inspektor Columbo und Hauptkommissar Schimanski lassen grüssen, aber auch der legendäre österreichische (Anti-)Polizist Adolf Kottan. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Brenner auf der Leinwand auftauchen würde. 2000 kam Komm, süsser Tod in die Kinos, 2004 folgte Silentium, 2009 Der Knochenmann und 2015 Das ewige Leben. Gemeinsam schufen Murnberger, Haas und Hader, der auch massgeblich an den Drehbüchern mitarbeitete, aus kongenialen Vorlagen grosses Kino. Die Filme beziehen einen nicht unwesentlichen Reiz aus dem reichlich vorhandenen österreichischen Lokalkolorit, den grossartigen Dialogen und dem deftigen Humor, der Aussenstehenden auch durch Untertitel nur schwer zu vermitteln ist.
Kaum Fernsehen
Längst hat sich Josef Hader als einer der ausdrucksstärksten und eindringlichsten Filmschauspieler des Landes etabliert. Und längst überzeugt er nicht nur als Komödiant, sondern hat auch eine Anzahl ernsterer Rollen zu Buche stehen, so in Florian Flickers Der Überfall (2000), in dem er versehentlich in eine seltsame Geiselnahme verwickelt wird. Er überzeugte mit einer sehr zurückgenommenen Darstellung in Ann-Kristin Reyels’ Spielfilmerstling Jagdhunde (2007) und spielte eindringlich einen von Gewissensqualen zerfressenen Vergewaltiger in Nikolaus Leytners Ein halbes Leben (2009), eine Rolle, für die er mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde. Am verblüffendsten war vielleicht seine grosse, charismatische Darstellung des Literaten Stefan Zweig in Maria Schraders Biopic Vor der Morgenröte (2016), während er in der deutsch-österreichischniederländischen- Koproduktion Arthur & Claire (2017) von Miguel Alexandre, bei der er auch am Drehbuch mitschrieb, wieder das vertrautere Terrain einer schwarzen Komödie betrat: Arthur reist nach Amsterdam, um sich per Sterbehilfe aus dem Leben zu verabschieden, weil er Lungenkrebs hat. Bei seinem Abschiedsessen mit sich selbst wird er jedoch empfindlich gestört.
Ebenfalls 2017 erschien Haders Regiedebüt Wilde Maus, ein leicht melancholisches, nicht mehr wie früher ausschliesslich auf Pointen abzielendes Porträt eines alternden Mannes, das sogleich in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wurde. Auch seine zweite Regiearbeit, Andrea lässt sich scheiden, eine Art ländliches Gegenstück zur städtischen Wilden Maus, feierte kürzlich in Berlin Weltpremiere. Beide Regiearbeiten sind geprägt von einer Art komischer Verzweiflung, die die Hauptfiguren im Griff hat. Den Regisseur Hader zeichnet aus, dass er diese Menschen mit grossem Verständnis, ja fast schon mit Zärtlichkeit betrachtet, auch wenn oder gerade weil sie «fehlerhaft» sind.
Im Fernsehen macht sich Josef Hader bewusst rar («Ich muss nicht jeden Tag aus dem Kastl schauen»). Umso bedeutsamer ist es, dass eine seiner besten Arbeiten, der Zweiteiler Aufschneider (2010), den er gemeinsam mit Regisseur David Schalko schrieb, ein TV-Film ist. Hader spielt in der pechschwarzen Komödie einen griesgrämigen Pathologen in einem Wiener Krankenhaus, der ständig im Clinch ist mit Ex-Frau, Tochter, Kolleg:innen und Vorgesetzten. Aber egal, ob Kino, Fernsehen oder Kabarettbühne: Josef Hader ist ein so vielschichtiger, einfühlsamer und kreativer Künstler, dass ihm die Wanderungen zwischen den Genres und den Metiers mit scheinbar müheloser Leichtigkeit gelingen. Und obwohl Hader sich so gut wie nie (tages-) politisch äussert, erzählen seine Programme und seine Filme auch sehr viel von den (negativen) Veränderungen in der österreichischen Gesellschaft.
Andreas Ungerböck
Andreas Ungerböck, geboren 1960. Studium der Theaterwissenschaft und der Publizistik in Wien, Dissertation über Rainer Werner Fassbinder. Zahlreiche Publikationen im In- und
Ausland. Kurator von Retrospektiven zum asiatischen Kino, langjähriger Mitarbeiter des Filmfestivals Viennale, von 2005 bis 2022 Ko-Herausgeber des Filmmagazins «ray». Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a. «Josef Hader. Filme und mehr» (2017).