Stephanie Rothman: The Female Gaze in Exploitation Cinema
Leichtfüssig, fröhlich und sprühend vor Ideen kommen sie daher, die Exploitation-Filme, die Stephanie Rothman zwischen 1966 und 1974 als Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin erst für Roger Corman und dann für die eigene Firma New Dimension Pictures realisiert hat. Rothman gelang das Kunststück, die Grundingredienzien des Genres – viel nackte Haut und Gewalt – auf selbstverständliche und glaubwürdige Weise aus einer feministischen Grundhaltung heraus zu präsentieren und sie mit den drängenden politischen und sozialen Themen der Zeit – Vietnamkrieg, Migration, Rassismus, Patriarchat – zu verbinden. Es mögen dieser eigenwillige Cocktail und Rothmans formale Meisterschaft sein, die ihr Kino bis heute so zeitlos machen. Anders als ihren männlichen Kollegen Scorsese, Bogdanovich oder Coppola, die alle auch die Talentschmiede Corman durchlaufen hatten, blieb ihr der ersehnte Wechsel ins Hollywood-Mainstreamkino aber verwehrt. Ihr schmales Werk ist bis heute ein Geheimtipp. Nun aber erhält Stephanie Rothman endlich die verdiente Ehrung: Ihre Filme wurden aufwendig vom MoMA restauriert und werden in Venedig, Bologna, New York – und Zürich präsentiert. Im Filmpodium in Anwesenheit der Filmemacherin! Mitgebracht hat uns Rothman auch Filme, die sie inspiriert haben oder die sie gerne selbst gemacht hätte.
«Leave my ass out of this!», weist Chris (Aimée Eccles) ihren Langzeitfreund Sander (Solomon Sturges) am Anfang von Group Marriage zurecht. Sander hatte ihr zuvor befohlen, ihren «ass» schleunigst in sein Auto zu bewegen. Zu lang hatte er schon auf sie gewartet. Doch Chris hat andere Pläne – für ihren Hintern genauso wie für ihr Leben. Beim Trampen auf dem Weg zu Sander, der auch ein Weg durch das Los Angeles des Jahres 1972 ist, hat sie einen Mann kennengelernt. Der soll nach ihrem Willen nun mit auf die ursprünglich nur für das Pärchen geplante Spritztour kommen. Doch Sanders Auto ist kaputt. Um nach der Ursache zu forschen, öffnet die gelernte Automechanikerin Chris die Motorhaube und beugt sich derartig weit vorneüber, dass ihr ohnehin knapper Minirock noch weiter hochrutscht. So wird ihr Hintern doch wieder Teil des Geschehens. Nur eben nicht zu den Bedingungen von Sander, sondern zu denen von Regisseurin und Co-Autorin Stephanie Rothman.
Whose ass is in? Whose ass is out? Müsste man sich auf eine Dynamik beschränken, um das aussergewöhnliche Kino von Rothman zu beschreiben, dann böte sich diese an: zu schauen, wessen Hintern eingeschlossen und wessen Hintern ausgeschlossen wird. (Nur dass es um Hintern gehen muss, ist nicht verhandelbar – schliesslich dreht es sich bei Rothmans Filmen um Exploitation-Kino, bei dem das Zurschaustellen von «T & A», von «tits and ass», von vornherein eingepreist ist.)
Dem Zeitgeist einen ungehetzten Schritt voraus
Am offenkundigsten ist das Prinzip des Einund Ausschlusses in der Sexkomödie Group Marriage, Rothmans fünfter Regiearbeit. Hier wird die heterosexuelle Pärchenkonstellation beherzt, aber nicht rücksichtlos über den Haufen geworfen: Erst machen Chris und Sander in ihrer Beziehung Platz für Dennis (Jeff Pomerantz), den Mann, den Chris beim Trampen kennengelernt hat. Einmal mit der Erweiterung angefangen, können sie nicht aufhören: In schneller Folge stossen noch ein Mann und eine Frau zur polyamourösen Konstellation hinzu. Für einen weiteren Platz in der Beziehung schaltet die Gruppe schliesslich sogar eine Anzeige im Lokalblatt. Die Bewerber werden dabei allerdings streng aussortiert: Für Kink und für Pansexualität ist kein Platz. «We’re straight!», betont die Gruppe. Und auch gegenüber der Presse, die die ungewöhnliche Anzeige anzieht, pocht sie auf ihre Art von Anstand: Gruppensex habe man auf keinen Fall. Am Ende wird zu sechst geheiratet – eben eine «group marriage» eingegangen.
Rothmans behutsam erweiterte Sexualmoral, die dem Zeitgeist stets einen ungehetzten Schritt voraus ist, spiegelt sich in der Bildpolitik des Films, besonders in einer Szene am Strand. Dort löst sich die jüngst aufgenommene Jan (Victoria Vetri) für einen Spaziergang von der Gruppe und trifft dabei auf den durchtrainierten Rettungsschwimmer Phil (Zack Taylor). Ein kurzes Gespräch reicht, dann ziehen sie bereits weiter in die nächste Bucht, um sich dort privat zu vergnügen. Während sie der Kamera den Rücken zuwenden und sich von ihr wegbewegen, zeigt sich in der Totale, was zuvor nicht eindeutig zu erkennen war: Jan trägt einen Bikini, Phil jedoch ist nackt, und im Kontrast zu seinem restlichen, sonnengebräunten Körper leuchtet sein Po wie von einem Scheinwerfer ausgeleuchtet weiss auf. His ass is in the picture – und Phil zugleich neuester Teil der angehenden Gruppenehe.
Begierden über Kreuz
Drei Jahre bevor die britische Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey in ihrem massgeblichen Aufsatz «Visual Pleasure and Narrative Cinema» den Zusammenhang von männlicher Regieposition und männlichem Blick («male gaze») im narrativen Kino benannte, nahm Rothman in Szenen wie der beschriebenen aus Group Marriage einen wichtigen Kritikstrang an Mulveys Analyse vorweg: Klar heteronormativ geordnete Blickregimes, wie Mulvey sie konstatierte, sind abseits des klassischen Erzählkinos viel seltener anzutreffen. Besonders im Exploitation-Genre können die Begierden über Kreuz gehen und die Übergänge von der Überaffirmation zur Subversion fliessend sein: Wenn schon die Hosen runtergelassen werden, kann sich unter die Vielzahl der weiblichen T & A umstandslos auch ein männlicher «A» mischen.
Welchen Unterschied zudem eine Frau auf der Regieposition (und als Co-Autorin) machen kann, bewies Rothman schon in The Velvet Vampire von 1971, einem erotischen Schocker, der ihr ohnehin unberechenbares inszenatorisches Spektrum auch noch um Gothic Horror erweiterte. In The Velvet Vampire lernt das junge Paar Susan und Lee (Sherry E. DeBoer und Michael Blodgett) auf einer Vernissage die mysteriöse Diane (Celeste Yarnall) kennen und wird von ihr sofort auf ihr Anwesen in der kalifornischen Wüste eingeladen. Dort angekommen, weist die Gastgeberin dem Paar ein Schlafzimmer zu, das mit einem grossen Spiegel an der Wand gegenüber dem Bett ausgestattet ist. Es handelt sich dabei um einen Einwegspiegel, der von der anderen Seite durchsichtig ist.
Auf dieser Seite nimmt Diane nach dem Abendessen Platz und beobachtet, wie sich die nackten Susan und Lee küssen und streicheln. Die Kamera wechselt dabei beständig zwischen Dianes Perspektive und derjenigen auf sie. Als das Vorspiel des Paares an Fahrt aufnimmt, fokussiert die Kamera immer stärker auf Susans Augen. Sie liegt auf dem Rücken, und während sich Lee aus dem Bild zurückzieht – mutmasslich, um Susan oral zu befriedigen –, wandert deren Blick zum Spiegel. Susan scheint zu ahnen, was Diane von dort aus sieht, und hinter dem Spiegel scheint Diane zu ahnen, was Susan fühlt. Noch bevor sich Susans Mund dank Lees Stimulationen zu einem lustvollen Lächeln verzieht, ist es Diane, die von sanfter Ekstase ergriffen zu lächeln beginnt. Sehen und gesehen werden verschmelzen in diesem Moment zu einem einzigen homoerotisch aufgeladenen Begehren, das in der Folge immer wieder dann aufblitzt, wenn sich die Blicke von Diane und Susan treffen. Müsste man neben einer Dynamik auch noch eine Figur auswählen, die für Rothmans Kino steht, dann wäre es wohl Diane. Wie sie sich ihr Besucherpärchen vor dem Einwegspiegel arrangiert, ähnelt stark den Inszenierungen, die eine Regisseurin vor ihrer Linse vornimmt. Und der Spass, den Diane angesichts des von ihr arrangierten Spektakels empfindet, dürfte auch ganz der von Rothman in diesen Momenten gewesen sein.
Anerkennung verweigert
Sieben Spielfilme hat Stephanie Rothman in ihrer aktiven Zeit als Regisseurin von 1966 bis 1974 fertiggestellt. Von den ersten zwei Arbeiten – Blood Bath und It’s a Bikini World – hat sie sich später distanziert: Sie gelten ihr als niedere Fingerübungen, mit denen sie sich trotz ihres Filmstudiums an der University of Southern California und als erste Stipendiatin der Director’s Guild of America erst noch in der männlich dominierten Filmbranchebeweisen musste. Doch auch nach Box-Office-Erfolgen wie beispielsweise The Student Nurses, der nicht nur Roger Cormans neue Produktionsfirma New World Pictures konsolidierte, sondern gleich auch noch eine ganze Serie von Schwesternschülerinnen-Filmen ins Leben rief, musste Rothman um Anerkennung ringen. Als Assistentin des legendären Exploitation-Produzenten hatte sie zwar schnell Zugang zu dessen Kontakten und Ressourcen. Im Kontrast zu männlichen Protegés von Corman wie Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola blieb ihr der erhoffte Wechsel vom B-Movie zum Autorenfilm aber verwehrt. Frustriert sattelte Rothman schliesslich auf Immobilienhandel um. Sie, die in ihren Filmen stets mehr Hintern ein- als ausgeschlossen hatte, war es am Ende selbst, die aus der Branche gedrängt wurde. Höchste Zeit also, den «ass» von Stephanie Rothman wieder in die Kinoprogramme zu holen.
Hannah Pilarczyk
Hannah Pilarczyk arbeitet als Filmkritikerin bei «Der Spiegel».