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A Bigger Splash: Ein Sommer am Swimmingpool

Sommerhitze, tiefblaues Wasser, eine Luftmatratze und ein Drink am Beckenrand. Das Filmpodium verbringt die heissen Tage des Jahres am Pool. Als ein Ort des Luxus und Hedonismus, aber auch des Unheimlichen und Abgründigen spielt der Swimmingpool im Kino eine besondere Rolle. Sei es in The Graduate, La ciénaga oder The Party: Im mal verführerisch glitzernden, mal undurchsichtig trüben oder auch wild schäumenden Wasser der unterschiedlichen Pools kristallisieren sich Bilder heraus, die sich in unser Kinogedächtnis eingebrannt haben – und in denen sich das kollektive Glücksversprechen und der Fortschrittsglaube des 20. Jahrhunderts geradezu paradigmatisch spiegeln. Wir zeigen einige der prägenden Swimmingpool-Filme, die sich lustvoll einem vermeintlich besseren Leben widmen und in denen Verführung und Schrecken oft nah beieinanderliegen. Ein Swimmingpool ist blau. So, als hätte man den Himmel und den Ozean eingefangen und domestiziert. Dieses Blau nun ist reine Kunst und erklärt der undeutlichen Natur den Krieg der Reinheit. So zeigt der Pool im doppelten Sinne, was man geschafft hat. Reichtum und Zivilisation. Im Privaten als Symbol des Status, in Hotels als Ort der mondän-riskanten Begegnungen (wo zum Beispiel Goldfinger lauert) und im öffentlichen Schwimmbad assoziiert mit Familienlärm, Sporthose und Kindheitstraum, ein Ort des Erwachens und der Erfahrung wie bei den Halbstarken von einst. Damals, im Jahr 1956, stritten und liebten die Teenager am Beckenrand noch in Schwarzweiss. Ohne das Blau ist auch der Swimmingpool unrein, wenn auch nicht so, wie er gewöhnlich verunreinigt wird, durch eine Leiche, durch Blut oder durch geraubtes Geld.
Swimmingpools sind mythische Bilder in einer Fortschrittsgeschichte und ebenso Bilder ihrer Dekadenz und ihres Verfalls. Ein Pool hat etwas Unheimliches, weil er, wenn er nicht benutzt wird, von gespenstischer Ruhe ist, eine sonnenglitzernde oder nächtlich funkelnde Oberfläche, eine Totendecke, die nur durch einen «Bigger Splash» wieder lebendig wird. In wie vielen Thrillern oder Serienkrimis beginnt oder endet das Drama mit der Leiche im Pool, von bizarrer Schönheit! In den meisten Filmen ist der Swimmingpool dabei freilich nur eine Kulisse unter anderen, bedeutsam für einen Plotpoint, gewiss, oder für die Charakterisierung eines sozialen Milieus oder auch als Objekt für einen erotisch-tragischen Moment wie, sagen wir, albtraumhaft, in Dario Argentos Suspiria (1977): Tod und Wiedergeburt, Schuld und Reinigung, Eros und Thanatos. Einen Swimmingpool auf dem Boden eines Native-Americans-Friedhofes zu errichten wie in Poltergeist (1982), ist jedenfalls eine ganz schlechte Idee. Und sogar wenn man ausdrücken will, dass jemand sich hat korrumpieren lassen, dass jemand sein Leben vergeudet hat oder sich ganz einfach langweilt (so wie sich eben nur reiche Leute langweilen können), dann ist der Pool ein passend symbolischer Hintergrund. Der Pool ist die Schnittstelle von Aneignung und Entfremdung; kein Wunder, dass schöne Frauen und reiche Männer hier nur ermordet werden können und Gangsterbosse hier gern ihre Befehle geben, Zigarre im Mund, Pistole im Hosenbund. Wenn man in einer Komödie einen Pool sieht, muss früher oder später irgendjemand hineinfallen. Falsch angezogen, versteht sich.

Dekadente Sinnlichkeit

Aber es gibt auch Filme, in denen der Pool zugleich bestimmender Handlungsort und zentrale Metapher ist. Man kann Pool-Filme nicht gerade als eigenes Genre betrachten, aber vielleicht ähneln sie einander in einer besonderen Form leicht dekadenter Sinnlichkeit. Ganz direkt entsteht in Footlight Parade (1933) aus einem Wasserballett, wie es nur Busby Berkeley choreografieren konnte, eine Kaskade von (weiblichen) Körpern, und in Billy Wilders Sunset Boulevard (1950) wird ein ganzer Film «erzählt» von einem Mann, den wir am Anfang tot im Swimmingpool der Ex-Diva gesehen haben. Der eine Film erzählt von der Entstehung des Lebens aus dem Wasser und der andere von seinem Ende. Aber beide erzählen auch von der Traumfabrik selber, vom optimistischen Beginn und vom melancholischen Abschied. Als wäre das Kino hier selbst aus dem Wasser gekommen – wie das Leben, nur eben aus dem Kunstwasser des Pools – und müsste auch dorthin zurück.
In Soy Cuba (1964) schliesslich beginnt alles mit einem Sprung in den Pool (auf dem Dach eines Hochhauses), der zugleich ein Sprung in die Geschichte und die Subgeschichte des Landes ist und ein visuelles Leitmotiv des Flüssigen, das sich förmlich auch auf die Kamera von Sergej Urussewski überträgt. Der Splash bedeutet auch in Soy Cuba die Überschreitung einer Grenze, immer wieder und in unterschiedlichsten Filmen: zwischen Leben und Tod, zwischen Alltag und Traum, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Bewusstsein und Unbewusstem: abtauchen, eintauchen, auftauchen, schwimmen und irgendwann herausklettern. So macht es Burt Lancaster in The Swimmer (1968). Seine verrückte äussere Idee: über die Swimmingpools der Nachbarschaft zurück in sein eigenes Haus zu gelangen. In Wirklichkeit geht es um das Durchqueren des eigenen Lebens, das von Pool zu Pool mit mehr Enttäuschung, mehr Abkehr und mehr Kälte aufwartet. Und wie verhält es sich mit dem Swimmingpool als Tatort eines Eifersuchtsmordes in La piscine (1969)? Am Ende scheint es, als könne man ihn gar nicht mehr verlassen. Für eine Lebensweise ist der Pool so zentral, dass er mit dem Luxus zugleich zum Gefängnis wird.

Glitzerndes Wasser

Überhaupt scheinen die sechziger Jahre eine gute Zeit für Pool-Filme gewesen zu sein, lange bevor die Gärten der Einfamilienhäuser mit Pool-Parodien aus Plastik und Gestänge gefüllt wurden, lange bevor man aus der Perspektive von Google Earth die Swimmingpools als klima- und landschaftszerstörende Monstren erkennen musste. Die Pool-Szene in The Graduate (1967) ist noch einmal eine Legende innerhalb eines ohnehin legendären Films: das Wasser des Pools, das Licht, das Gesicht von Dustin Hoffman und die «Sounds of Silence»; an einem Punkt verschwindet Hoffmans Gesicht, und das Wasser glitzert für sich allein, dann ist er wieder da, auf seiner Luftmatratze, mit Sonnenbrille und Drink in der Hand, verschwindet wieder und so weiter. Wie The Graduate handelt auch Deep End (1970) vom Erwachsenwerden. Nur dass der Film nicht in der trostlosen Demontage eines Happy Ends, sondern mit einer letzten Umarmung im Tod unter den Wassern des Pools aufhört. Wenn in The Graduate das Wasser im Pool glänzt, dann gurgelt es in Deep End, und was hier eine flüssige Vergiftung ist, ist dort ein Sog in den Abgrund. So einer tut sich in Blake Edwards’ The Party (1968) glücklicherweise nur in Form der anarchischen Komik auf: Diese (Hollywood-) Gesellschaft, die sich da um den Pool und dann in ihm versammelt, ist wahrlich nicht zu retten. Am Ende versinkt sie in einem grandiosen Schaumbad.

Erinnerungsorte

Die Erzählung vom Swimmingpool als Symbol der Beziehung von Fortschritt, Luxus und Sinnlichkeit aus den fünfziger und sechziger Jahren hat sich also gewandelt; der Swimmingpool ist nun hauptsächlich als Ort der Katastrophe geblieben. In Nanni Morettis Palombella rossa (1989) sehen wir, wie ein öffentliches Schwimmbad für einen Mann, der bei einem Autounfall das Gedächtnis verloren hat und sich nur seiner Fähigkeit zum Wasserballspielen entsinnt, zum Ort einer bangen Erinnerungsfrage wird: wie und warum zum Teufel er eigentlich Kommunist geworden ist. Ein Erinnerungsort jedenfalls ist der Pool allemal, und am schlimmsten ist es, ihn ausgetrocknet, verschlammt und seines strahlenden Blaus verlustig zu sehen. Um Erinnerung und Enttäuschung geht es auch in The Swimming Pool (1977), einem Beziehungsdreieck, das zugleich eine Darstellung bulgarischer Geschichte ist, als wäre da das Becken das Leben selbst, mit dem sich Körper und Träume verbinden. Und dann, vielleicht, bleibt nur noch die Kunst, die Pool-Bilder, die David Hockney malte, zugleich hyperrealistisch und abstrakt, die Essenz von Momenten, in denen sich Sinnlichkeit und Spiritualität in einem Splash begegnen, genauer gesagt in einem «Bigger Splash», wie es der gleichnamige Film aus dem Jahr 1973 andeutet.
Konstant in der Entwicklung des Motivs scheint nur der Mord zu sein, der in seiner Ästhetik immer an eine Art Opferritual erinnert: Im Pool stirbt man für die Sünden des Luxus und des Lasters. Als Mordort mit hohem Symbolwert jedenfalls fungiert das Schwimmbassin von den französischen Filmen der schwarzen Serie wie etwa der Boileau- Narcejac-Verfilmung Les diaboliques (1955) bis zum Wilsberg-Serienkrimi, in dem ein Klassentreffen seinen tristen Höhepunkt mit einer Leiche im Pool findet. Nach dem Splash verwandelt sich der Pool wieder in den Rahmen eines Bildes von Stillstand und Vergänglichkeit. Und was gerade noch soziale Geschäftigkeit war, drückt nun auf grandiose Weise nur noch eines aus: Einsamkeit.
Georg Seesslen

Georg Seesslen schreibt über Film und anderes.