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Marlene Dietrich: Das unwiderstehliche Vielleicht

Ob als Schauspielerin oder Sängerin, im Berlin der Weimarer Republik oder in Hollywood, vor einem elektrisierten Kinopublikum oder vergnügungshunrigen amerikanischen Soldaten – Marlene Dietrich war ein Star, wie es ihn nur einmal gab. Ihre Filme sind erotisch, elegant und stets ein grosses Spektakel. Sie war schon eine Powerfrau, als es weder das Wort gab noch die Forderung, ihm gerecht zu werden. An ihrem androgynen Auftreten, ihrer spielerischen Verruchtheit und ihrem natürlichen Glamour biss sich selbst die strenge Zensur Hollywoods die Zähne aus. Sie war aber auch eine fleissige Filmarbeiterin, die weitgehend allürenbefreit mit ihren Regisseuren zusammenarbeitete und sich in den unterschiedlichsten Genres auszudrücken wusste, wie die 15 Filme der Retrospektive eindrücklich beweisen. Und für alle, die dem Star noch näher kommen wollen, bieten wir eine wahre Programmperle: Kristina Jaspers und Silke Ronneburg von der Deutschen Kinemathek stellen am 5. November von Marlene Dietrich selbst gefilmte 16-mm-Home-Movies vor. Tränen zu vergiessen, käme ihr nicht in den Sinn; nicht einmal angesichts des Erschiessungskommandos, vor dem sie jetzt steht. Vielmehr muss sie dem jungen Offizier, der es befehligt, ihr Taschentuch reichen. Als er sich gefasst hat, hält er seinen Säbel vor ihr hoch, damit dieser der entlarvten Spionin als Spiegel dient, während sie ein letztes Mal ihren Lippenstift aufträgt. Sich ins rechte Licht zu setzen, bis zum Ende die Kontrolle über das Bild zu bewahren, das die Welt sich von ihr macht, darin liegt der unbeirrbare Ehrgeiz der Figur, die Marlene Dietrich in Dishonored (1931) verkörpert. Noch im Untergang will sie die Würde des Glamours behaupten. Keiner anderen Schauspielerin würde man in einem solchen Moment Glauben schenken. Aber ihr Spiel erhebt sich über jede profane Realität und ist dem Klischee immer einen Schritt voraus. Zwar nimmt ihr Mentor Josef von Sternberg stets für sich in Anspruch, Marlene Dietrich erschaffen zu haben. Seine Inszenierung umfängt sie mit mysteriös gewobenem Licht und stellt sie in eine Welt, die er nach seinen Fieberträumen von Exotik dekoriert hat. Sie pflichtet ihm sogar bei, wenn er das behauptet. Und dennoch scheinen ihre Filme einzig um ihre Aura herum konstruiert und bersten vor Dialogen, denen nur sie den definitiven Klang geben kann.

Erotische Eloquenz

Dass sie die Kontrolle über ihr Image nie vollends aus der Hand gibt, demonstrieren schon die Probeaufnahmen, die von Sternberg mit ihr für Der blaue Engel (1930), ihren ersten Tonfilm, dreht. Sie ist energisch und offensiv, ohne gefallen zu wollen. Mitunter hat man das Gefühl, die Kamera müsse hier eine Prüfung bestehen. Sie ist keine unerfahrene Debütantin, ist bereits in fast 20 Filmen aufgetreten, als sie für die Rolle vorspricht, mit der sie ihren Durchbruch erlebt. Sie verkörpert die Femme fatale Lola, der ein unbescholtener Gymnasiallehrer verfällt, als eine Komödiantin der Verführung. Sie ist unbarmherzig sprunghaft, folgt jeder erdenklichen Laune und kann diabolisch schmollen. Noch bevor sich der Erfolg des Films abzeichnet, denkt Dietrich bereits unerbittlich an die Zukunft. Sie trägt die Libertinage der Weimarer Republik nach Hollywood, konfrontiert das US-Publikum mit einer Weltläufigkeit und einem Sündenstolz, die es bislang nicht kennt. Bei einem Auftritt in Morocco (1930) verkauft sie Äpfel – «the fruit that made Adam wise». Dass Frauen in Hose oder gar Frack auftreten, war im Berlin der 1920er-Jahre gang und gäbe, in Dietrichs neuer Heimat indes exotisch. Ihre Garderobe in Morocco signalisiert, dass sie offen ist für eine Vielzahl amouröser Zuständigkeiten. Die Kombination maskuliner und femininer Attribute steht zunächst noch unter dem Vorbehalt des Bühnengeschehens. Ihre Figuren lösen sich von den Geschlechterkonventionen bei Auftritten in Nachtclubs und Cabarets, schaffen sich Freiräume in Maske und Kostüm. Das frei schwebende erotische Angebot steht in Anführungszeichen: ein unwiderstehliches Vielleicht. Ihre Sängerinnen mischen sich unter das Publikum, sie nehmen den gesamten Raum in Besitz. Dort sind sie in ihrem Element. Wenn sie beiläufig einem Gast oder einem Chorgirl über die Schulter streifen, liegt darin eine anzügliche Geselligkeit. Die flüchtige Nähe, die Dietrich flanierend zum Publikum herstellt, entspricht der Dramaturgie der Liebesgeschichten, die sie in von Sternbergs Filmen erlebt. Sie streift mit amüsierter Abgeklärtheit und stählernem Desinteresse an Sentimentalität durchs Leben. Bei von Sternberg dominiert sie masochistische Männer. Aber sie braucht ebenbürtige Gegenspieler. Der Mangel an ihnen ist eine Quelle der Melancholie, die nie versiegt.

Ein fernes Zentrum

Dietrichs Akzent muss im Verlauf ihrer Karriere nie vollends getilgt werden. In ihm liegt der Bodensatz einer Ursprünglichkeit, der zum Unterpfand ihrer Leinwandautorität wird. Sie brilliert als die Fremde, die anstössige, verruchte Frau. Von The Devil Is a Woman (1935) an, dem Abschluss und endgültigen Kristallisationspunkt ihrer Arbeit mit von Sternberg, ist sie der Planet, um den die anderen Figuren als Satelliten kreisen. Die Filme nähern sich ihr dabei oft auf Umwegen, bewegen sich in Rückblenden auf sie zu. In Stage Fright (1950) legt die Rückblende raffiniert eine falsche Spur aus. In Fritz Langs Rancho Notorious (1952) gleicht die Suche nach ihr einer Schnitzeljagd, wo aus lauter Erzählungen ein Bild von ihr entstehen soll. In Langs Western ist sie eine Legende, bevor sie ein Charakter wird. Den Aspekt des Fremden, der existenzialistischen Ausnahme unterstreicht stets auch die Inszenierung. Von Angel (1937) an häufen sich Einstellungen, in denen die Kamera sie isoliert und sie zugleich die Einstellungen dominieren lässt. Sie kehrt ihren Leinwandpartnern den Rücken zu und spielt gleichsam nur für die Kamera. Dietrich adressiert sie als einen tiefen Spiegel, dem allein sie ihre Gefühle offenbart.

Vergebliche Domestizierung

Ihr und von Sternberg bleibt nur ein kurzes Zeitfenster, bevor 1934 der Production Code, die Selbstkontrolle der Filmbranche, in Kraft tritt und Hollywoodproduktionen sittenstrenger, konservativer werden. Dietrichs Amoral, so vergnüglich sie in Ernst Lubitschs Angel auch sein mag, lässt sie zum Kassengift werden. Nun muss sie ihr Image schleunigst amerikanisieren. In der Westernkomödie Destry Rides Again (1939) gelingt ihr das mit rustikalem Elan. Als Saloonsängerin und Gangsterbraut ist sie die heimliche Herrscherin der Stadt, stellt aber ihren bisherigen Rollentyp auf den Kopf. Die Hasenpfote im Strumpfband verrät eine gewisse Treuherzigkeit, und am Ende entdeckt sie, dass sie ein Herz aus Gold hat. Der vermeintlich unbedarfte James Stewart bietet ihr derweil wenig Angriffsfläche und zähmt sie nach allen Regeln des Slapstick. Als Findelmutter in The Lady Is Willing (1942) lässt sie sich drei Jahre später mit Verve auf die eminent amerikanischen Konventionen der Screwball Comedy ein und zieht dabei jedoch das Dialogtempo beträchtlich an. Die USA adoptieren sie auch abseits der Leinwand, als sie sich während des Zweiten Weltkriegs unermüdlich in der Truppenbetreuung engagiert. Sie reist durch das Land, um Kriegsanleihen zu verkaufen, und unterhält GIs in Fronttheatern an europäischen und nordafrikanischen Kriegsschauplätzen. Hier kommt eine andere Tugend ihrer Herkunftswelt zum Tragen: ihr preussisches Pflichtgefühl. Dieses zeigt sich bereits in ihrem Arbeitsethos der Unermüdlichkeit und der Geduld: Sie verzichtet in ihren Filmen auf ein Stand-in und fungiert als ihr eigenes Lichtdouble. Dem spielt nun die private Legende der loyalen Gefährtin zu, die sich fürsorglich um Freunde, Freundinnen und Geliebte kümmert; es wird später die heimliche Grundierung ihrer Rolle in Witness for the Prosecution (1957) werden. Das Mischungsverhältnis zwischen Illusion und Identität wird in ihrer ersten Zusammenarbeit mit Billy Wilder, A Foreign Affair (1948), neu austariert. Darin verkörpert sie eine Nachtclubsängerin, die im zerbombten Berlin auftritt und ins Fadenkreuz der amerikanischen Besatzungsmacht gerät, da sie einst Kontakte in hohe Nazikreise unterhielt. Eine Wochenschau zeigt, wie sie Hitler einen Witz erzählt. Die Lieder, die sie in den Ruinen singt, handeln von Überlebensstolz, freilich mit einem Sarkasmus, der zwölf Jahre lang aus Deutschland verbannt war. Sie stammen von ihrem alten Weggefährten Friedrich Holländer, den die Nazis ins Exil trieben. In diesem Spagat überspringt Dietrich die verheerenden Jahre nicht, die dazwischenlagen. Sie versöhnt das Publikum nicht mit ihnen. Für die Generation meiner Eltern war sie eine Verräterin. Sie erinnerte daran, dass es zuvor ein anderes Deutschland gegeben hatte. Von dem sang sie in ihrer zweiten Karriere, in der sie ihre One-Woman-Show um die ganze Welt führte. Auch diese bestritt sie mit preussischem Verantwortungsgefühl: Sie blieb unermüdlich jene Marlene, die sie dem Publikum schuldig war.
Gerhard Midding

Gerhard Midding ist freier Filmjournalist und Blogger.