Treffpunkt Kaufhaus: Eine städtische Institution in Gefahr?
Mit der Jelmoli-Schliessung verliert Zürich nur wenige Jahre nach dem Aus von Manor an der Bahnhofstrasse ein zweites Traditionswarenhaus. Ist die Zeit der grossen Kaufhäuser vorbei? Übernehmen nun der Onlinehandel oder Shoppingcenter am Stadtrand ihre Funktion? Und was bedeutet das für unsere Innenstädte? Das Filmpodium setzt sich mit der wandelnden und vielfältigen Bedeutung dieser städtischen Institution auseinander, die je nach Blickwinkel als Feind des Einzelhandels, als Inbegriff des Kapitalismus und Tempel des Verschwendungswahnsinns, dann wieder als moderner Markplatz, Treffpunkt der Jugend oder Ort weiblicher Emanzipation gelesen wird. Eine prominent besetzte Podiumsdiskussion und die Weltpremiere von Sabine Gisigers Film Jelmoli – Biografie eines Warenhauses begleiten das Programm.
Draussen lärmt und dröhnt die Stadt. Zwischen Verkehr, Unruhe und Monotonie stehen Passant:innen und blicken fragend in die Welt. Drinnen spielt Musik, eine sorgfältig gestaltete Atmosphäre umgibt die Besucher:innen. Alles Störende ist herausgefiltert. Inmitten schöner Dinge und glänzender Oberflächen wirkt die Welt überschaubar, aufgeräumt und geordnet. Die Menschen lächeln, jeder Handgriff sitzt. Trotz der perfekten Inszenierung und der scheinbar sorgenfreien Szenerie bleibt eine Tatsache allgegenwärtig: Alles hat einen Preis. Nichts ist kostenfrei. Die Anfangsszene von Frederick Wisemans The Store zeigt beispielhaft die Rolle des Kaufhauses im städtischen Gefüge. Hier soll vor allem eines geschehen: Verkäufe. Und solange gekauft wird, ist die Welt in Ordnung.
Heute aber scheinen die Tage der grossen Kaufhäuser gezählt. Seit Jahren kämpft die Branche mit sinkenden Umsatzzahlen. Ende des Jahres schliesst das Traditionskaufhaus Jelmoli in Zürich. Dies markiert nicht nur das Ende einer Ära, sondern steht sinnbildlich für den tiefgreifenden Wandel im Konsumverhalten und die Transformation städtischer Einkaufsgewohnheiten.
Orte der Vereinfachung
Kaufhäuser sind eigentümliche Orte. Hochgradig designt wirken sie wie Gegenwelten zum chaotischen Alltag der Stadt. Hierhin fliehen die Städter:innen, um Zerstreuung zu suchen. Allerlei Ablenkungen beruhigen den rastlosen Geist. Es ist die Welt der Aufzüge und Rolltreppen und damit jene der kuratierten Blickachsen. Überall gibt es etwas zu sehen. Spiegel und Glasscheiben reflektieren und offenbaren zugleich. Die vielen Schaufenster an der Fassade versprechen Waren aus aller Herren Länder. Von Kleidung über elektronische Geräte bis hin zu Lebensmitteln ist hier alles zu haben. Mit ihrer Produktauswahl brachten sie einstmals die Welt in die Stadt. «Länderaktionen» und «Verkaufsausstellungen» von Kaufhäusern wie Globus befeuerten im grauen Alltag Mitte des 20. Jahrhunderts das Fernweh nach Japan, Indien, Mexiko oder den USA. Sie beförderten einen exotisierenden Blick auf das Fremde und stellten ferne Länder als verheissungsvolle Genusslandschaften dar. Dabei diente das Unbekannte vor allem als Projektionsfläche für die eigenen Wünsche und Sehnsüchte.
Und während im Kaufhaus nahezu alles zur Schau gestellt wird, bleibt die eigentliche Aussenwelt verborgen. Fenster fehlen ebenso wie jene Facetten der Realität, die nicht ins Konsumnarrativ passen. Hier lässt sich vergessen, dass die Welt brennt.
Kaufhäuser sind Orte der Vereinfachung, aber gleichzeitig auch der Auswahl und des Überflusses. Sie stehen für die Pluralisierung von Wahlmöglichkeiten im Konsumverhalten. Und doch verheissen sie Ordnung und Kontrolle in einer oft chaotischen urbanen Landschaft. Dieses Bild aufrechtzuerhalten, bringt viel Aufwand mit sich: Besucher:innen werden vermessen, beobachtet und manipuliert, die Augen durch Verkaufspsychologie geführt und alles auf «Traffic» ausgerichtet. Unter der Oberfläche übertriebenen Pomps und schnellen Genusses wird das Kaufhaus zum absurden Raum der Kontrolle, dessen Zielsetzung sich in der formalen Idee des Maximierens von Verkäufen erschöpft. Übrig bleibt eine Leere, die ihre Klimax im zwanghaften Konsumieren und in planlosem Herumhängen Jugendlicher in Shoppingmalls findet.
Sinnbilder der Moderne
Ende des 19. Jahrhunderts kommt der Typus des Kaufhauses in der Schweiz an. 1899 wird das Warenhaus Jelmoli in Zürich eröffnet. Es verkörpert die Revolution des Einkaufserlebnisses – weg vom Feilschen hin zu Fixpreisen – und den Anfang der modernen Konsumkultur. Gleichzeitig ist es eines der ersten Gebäude seiner Art in der Schweiz, eigens für die Nutzung als Kaufhaus konzipiert. Mit ihm wurde das Einkaufen neu gedacht und zum kuratierten Erlebnis. Davon blieben auch die Städte nicht unberührt: Seit dem späten 19. Jahrhundert prägen Kaufhäuser die urbane Landschaft. Als architektonische Perlen charakterisieren sie bis heute die Innenstädte – wie der Jelmoli-Bau in Zürich oder der Globus-Komplex am Marktplatz in Basel. Hier sollte nicht nur das Angebot, sondern vor allem auch die Szenerie beeindrucken. Mit den Kaufhäusern kamen die Schaufenster in die Städte, und Wohnstrassen wurden zu Einkaufsboulevards. «Die grossen Kaufhäuser verwandelten mit ihren verglasten Sockeln den öffentlichen Raum in eine Sequenz verführerischer Transparenzen» (Lampugnani 2019, S.137). Monumentale Bauten, kathedralenartige Architektur und imposante Lichthöfe setzten Wegmarken in die Stadtlandschaft, die bis heute faszinieren.
Kaufhäuser haben eine Typologie, die bei Besucher:innen ein Gefühl der Vertrautheit weckt. «Ob in der Galerie Lafayette in Paris, im Harrods in London oder im KaDeWe in Berlin – im Kaufhaus verläuft man sich nicht, der Lageplan gleicht sich hier wie in der Fremde» (Raymann 2023). Schon beim Betreten der Kosmetikabteilung mit ihren parfümierten Düften im Erdgeschoss weiss man sofort, wo man ist. Solche Empfindungen sind für das Funktionieren öffentlicher Räume entscheidend. Wo wir uns vertraut fühlen und unsere Präsenz als legitim wahrnehmen, verweilen wir gerne. Im Kaufhaus macht es uns die Rolle des potenziellen Käufers leicht, da zu sein. Und doch bleibt die Bewegung durch diese Konsumlandschaft anonym und unverbindlich, ganz im Unterschied zu vielen Einzelhandelsgeschäften. Aber einmal drin, schnappt die Falle zu, und Konsum wird zum
identitätsstiftenden Moment.
Neue Einkaufsparadiese
Ab den 1960er-Jahren folgte auf das oft hochpreisige Kaufhaus in der Innenstadt das Shoppingcenter «für alle» in der Peripherie. Hier beginnt das Flanieren nicht mehr auf der Einkaufsstrasse, sondern in der Tiefgarage. Herausgelöst aus sozialen Zusammenhängen stehen die Shoppingcenter der Agglomeration für den entbetteten Markt. Sie können überall und nirgendwo sein – meist ist das irgendwo an der Autobahn, wo man rasch hinkommt und von wo man ebenso schnell wieder nach Hause gelangt. Der Bau des ersten Schweizer Shoppingcenters in Spreitenbach 1970, als «Einkaufsparadies» nach amerikanischem Vorbild beworben, markierte den Beginn einer neuen Phase des Konsumkapitalismus in der Schweiz.
Shoppingmalls wurden zu kulturellen Phänomenen, die den Konsum als Freizeitvergnügen inszenierten und die Massenmotorisierung als Triebfeder dieser Entwicklung nutzten. Orte wie das Shoppingcenter in Regensdorf, das 1973 entstand, übernahmen dabei soziale Funktionen, die einst Kaufhäuser und innerstädtische Marktplätze erfüllt hatten: Sie wurden Treffpunkte für den sozialen Austausch.
Dieser Übergang von der städtischen Konsumwelt des Kaufhauses hin zu den peripher gelegenen Shoppingmalls zeigt nicht nur eine geografische Verlagerung, sondern auch eine Verschiebung in der sozialen Funktion dieser Orte. Während Kaufhäuser wie Jelmoli fest in die urbanen Netzwerke eingebunden waren und soziale sowie kulturelle Ankerpunkte der Innenstadt bildeten, entwickelten sich Shoppingmalls in der Peripherie zu abgeschlossenen Welten des Konsums.
Am Wendepunkt
Trotzdem hatten die klassischen Kaufhäuser lange Zeit Bestand. Sie verkörperten ein anderes Konsumerlebnis – eines, das weniger mit der Profanität der Shoppingcenter und mehr mit der Ästhetik und der Inszenierung von Luxus und Exklusivität zu tun hatte. Der Kontrast zeigt, wie unterschiedlich Orte des Konsums das soziale und räumliche Gefüge von Städten prägen. Treffen sich heute im Globus das gut betuchte Bürgertum und die Cüpli-Linken, so läuft in Shoppingcentern die Jugend auf, während erschöpfte Familien im Reizüberfluss Entspannung suchen.
Heute stehen Kaufhäuser an einem Wendepunkt. Die Verlagerung des Konsums ins Internet stellt ihre Zukunft infrage. Als materielle Orte faszinieren sie ungebrochen. Sie sind Schauplatz romantischer Vorstellungen, verzweifelter Existenzen wie auch verhangener Jugend. Ihre Ästhetik zwischen aufgesetztem Glamour und oberflächlichem Amerika übt weiterhin Faszination aus. Doch als künstliche Nichtorte brechen sie mit den Idealen von gelungenen städtischen Zentren und von Funktionsoffenheit jenseits des Konsums. Gleichzeitig werden sie als Symbol kapitalistischer Logiken immer wieder zum Schauplatz von dystopischen Szenarien und von Gesellschaftskritik in Film und Literatur. Sie sind Heterotopien, sinnträchtige Orte, die Gesellschaft gebrochen widerspiegeln und in vielen Aspekten in sich tragen.
Insofern sind Kaufhäuser auch Sinnbilder gesellschaftlichen Wandels. Ihre Verlagerung von den Innenstädten in die Peripherie und zunehmend ins Internet zeugt nicht nur von der Transformation des Warentausches, sondern reflektiert auch den veränderten Umgang einer Gesellschaft mit Konsum. Doch welche Rolle werden Innenstädte in einer Welt spielen, in der Konsum zunehmend vom physischen Raum entkoppelt ist? Wie lassen sich künftig ökonomisches Handeln und sozialer Austausch in urbanen Zentren sinnhaft zusammendenken? Vor dem Hintergrund dieser Fragen ist der Niedergang der grossen Kaufhäuser nicht zwangsläufig als Verlust zu sehen. Vielmehr eröffnet er die Chance, städtische Räume neu zu denken – nicht nur als Orte schnellen Konsums und flüchtiger Begegnungen, sondern als Schauplatz gemeinschaftlichen Erlebens und bedeutsamen Zusammenkommens.
Niklaus Reichle
Niklaus Reichle ist Soziologe und Kulturschaffender. Er forscht und lehrt an der Universität St. Gallen und der Fachhochschule Ost. In seiner Forschungsarbeit und als Co-Leiter des Forschungskollektivs Unexplored Realities beschäftigt er sich unter anderem mit Stadtentwicklung, Architektursoziologie und dem gesellschaftlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen.