The Lady with the Torch: Columbia Pictures 1934 – 1958
Die Frau mit der Fackel, das bis heute legendäre Studiosignet von Columbia Pictures, war das Emblem für Filme, die schnell produziert und noch schneller erzählt wurden. Die Films noirs, Screwball-Komödien oder Western, von denen viele heute zu den Klassikern der Filmgeschichte zählen, stehen für ein Studio, in dem neben kommerziellen Interessen stets eine erstaunliche künstlerische Freiheit herrschte. Die von Ehsan Khoshbakht kuratierte Retrospektive des Locarno Film Festival widmet sich dem goldenen Zeitalter Columbias unter der Ägide des Studiopräsidenten Harry Cohn. Wir präsentieren daraus eine Auswahl, die dem allgegenwärtigen Freiheitsversprechen der USA auch immer wieder die dunkleren Seiten der amerikanischen Geschichte kritisch gegenüberstellt.
Columbia Pictures, gegründet am 10. Januar 1924 von den Brüdern Harry und Jack Cohn sowie deren Geschäftspartner Joe Brandt, positionierte sich in dem sich herausbildenden Studiosystem unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen. Im Gegensatz etwa zu dem nur einige Monate später gegründeten MGM-Studio fehlte es ihnen zu Beginn an einem eigenen Studiogelände, an eigenen Kinos, die Einnahmen garantierten, an publikumswirksamen Stars sowie Financiers, die es ihnen erlaubt hätten, die Produktionsbudgets zu erhöhen. Und während MGM schnell zu dem Studio schlechthin reifte, dessen «production values» und Glamour bis heute sinnbildlich für das klassische Hollywoodkino stehen, entwickelte sich das noch junge Produktionshaus unter der Führung Harry Cohns zu einem Ort, an dem man mit knappen Budgets und in halsbrecherischem Tempo Filme aus dem Boden stampfte. Unter Cohn war Columbia Pictures ganz auf Effizienz getrimmt. Oder wie ein Columbia-Drehbuchautor es auf den Punkt brachte: «Art if possible, but business first.»
Künstlerische Freiheiten
Wie auch andere Filmstudios wurde Columbia als Familienunternehmen geführt: Während Jack Cohn sich von New York aus um die Finanzen kümmerte, beaufsichtigte Harry die Produktion vor Ort in Hollywood. Sein machohaftes, ungehobeltes Auftreten war in der ganzen Filmindustrie berüchtigt wie gefürchtet, und um seine Person ranken sich unzählige mal mehr, mal weniger schauerliche Anekdoten und Widersprüche. Sein Büro beispielsweise war dem Arbeitszimmer des von ihm bewunderten Mussolini nachempfunden – was ihn jedoch nicht daran hinderte, den Faschismus in einer ganzen Reihe von Filmen überaus deutlich zu verdammen. Und auch wenn Harry Cohn, wie die Filmhistorikerin Pamela Hutchinson schreibt, bestimmt kein Vorreiter der Gleichbehandlung von weiblichen Angestellten war, so entwickelte sich das Studio unter seiner Regentschaft trotz allem zu einem überraschend offenen Ort für Frauen. So war Virginia Van Upp 1945 die einzige Frau in Hollywood, die den prestigeträchtigen Titel einer «Ausführenden Produzentin» bekam und damit eine erhebliche Macht. Trotz seines rüpelhaften Auftretens hatte Harry Cohn aber ein feines Gespür für die Wünsche des Publikums, und er wusste, wo er seine Autorität ausüben konnte und wo er besser andere machen liess. Das machte Columbia – trotz der knappen Ressourcen – durchaus interessant für etablierte Regisseure, die dort ungewohnte künstlerische Freiheiten vorfanden. «Ich weiss genug, um nicht zu versuchen, dir in deine Arbeit reinzureden», soll Cohn Howard Hawks gesagt haben, der sich für dieses Vertrauen bedankte, indem er in den 1930er-Jahren drei seiner schönsten Filme für Columbia drehte. Neben den beiden stilbildenden Screwball-Komödien – der wilden Theater-Farce Twentieth Century (1934) sowie dem nicht minder rasanten His Girl Friday (1940) – sticht vor allem Only Angels Have Wings (1939) heraus, in dem Hawks vom Aufeinandertreffen eines abenteuerlustigen Frachtpiloten und eines Showgirls erzählt. Das Leben in dem abgelegenen Flughafen inszeniert Hawks als eine Mischung unterschiedlichster Genres, in der fliessend zwischen Abenteuerfilm, romantischer Komödie, Tragödie und sogar Musical-Elementen gewechselt wird.
Howard Hawks war nur einer von vielen Starregisseuren, die zeitweise für Cohn arbeiteten. Auch Fritz Lang oder Nicholas Ray schufen mit The Big Heat (1953) respektive In a Lonely Place (1950) zentrale Werke ihrer Œuvres unter dem Banner Columbia. Doch niemand war so eng mit dem Studio verbunden wie Frank Capra, der zwischen 1927 und 1939 26 Filme für das Studio drehte und mit It Happened One Night(1934) Columbia die erste Oscar-Auszeichnung für den besten Film einbrachte. Der Sprung vom ärmlichen Poverty-Row-Studio zum erfolgreichen Hollywood-Player war nicht zuletzt seinen Filmen zu verdanken. Anstand, Solidarität und der Glaube an die gerechte Sache waren Kernelemente von Capras Filmen, die bei einem Publikum, das immer noch unter den Folgen der Grossen Depression litt, eine enorme Resonanz entwickelten. In Mr. Deeds Goes to Town aus dem Jahr 1936 etwa erbt ein bescheiden lebender Mann (gespielt von Gary Cooper in einer seiner Paraderollen) ein grosses Vermögen. Nicht nur weigert er sich in der Folge, sein Leben zu verändern, sondern er entschliesst sich sogar, das Geld an Not leidende Farmer zu verteilen. Seine geldgierige Verwandtschaft versucht dies per Gerichtsprozess zu verhindern.
Mit seinem Wandel von der Komödie hin zum sozialkritischen Gerichtsfilm weist Mr. Deeds ein zentrales Merkmal diverser Columbia-Filme auf. Ein bestimmtes Genre wurde in diesen Produktionen oft als Ausgangspunkt einer Erzählung betrachtet, aber nicht zwingend auch als deren Endpunkt, sprich: Was als Film noir beginnt, muss nicht unbedingt als Film noir enden. Nicht nur die Filme von Frank Capra oder Hawks’ Only Angels Have Wingschangieren zwischen den Genres, das Gleiche gilt auch für so unterschiedliche Produktionen wie Orson Welles’ The Lady from Shanghai (1947) oder The Killer that Stalked New York (1950) von Earl McEvoy. In Letzterem wird die Geschichte eines tatsächlichen Pocken-Ausbruchs in der Metropole als Film noir und medizinischer Aufklärungsfilm nacherzählt. Die Figur der Femme fatale verwandelt sich in diesem exzentrischen wie wenig bekannten Werk in die Patientin null, die quer durch die Strassenschluchten der Stadt gejagt wird.
Kritische Blicke
Mit seinem Bezug zu tagesaktuellen Fragen steht The Killer that Stalked New Yorknicht alleine da im Columbia-Universum. Auch andere Films noirs kreisten immer wieder um politische und wirtschaftliche Ereignisse sowie um die dunklen Seiten der USA. Phil Karlsons Western Gunman’s Walk (1958) ist nicht nur eine tragische Familiengeschichte, in der ein Vater zwischen die Fronten seiner zwei Söhne gerät, sondern er zeigt eben auch, wie die Familie zwischen dem vermeintlich gültigen Recht des Stärkeren und dem damit einhergehenden Rassismus und dem progressiven Glauben an einen gesellschaftlichen Aufbruch samt gerechterer Justiz zerrieben wird. Und zuweilen projizieren die Produktionen sogar Ideen in die nahe Zukunft, wie etwa das Weltkriegsdrama None Shall Escape (1944): Zusammen mit dem später der Blacklist zum Opfer gefallenen Drehbuchautor Lester Cole machte sich Regisseur André de Toth in diesem Schlüsselwerk des linken Hollywood bereits 1943 Gedanken darüber, wie denn ein Prozess gegen die Nationalsozialisten aussehen könnte.
Columbia war ganz nach den Vorgaben des klassischen Studiosystems organisiert. Einer Produktionsweise also, die auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit ausgelegt war, in der jedoch die Kunst nie fehlen durfte, eines Systems, das seine Arbeitskräfte ausnutzte, in dem diese jedoch mit grossen Engagement arbeiteten. Eines Systems, in dem an den Rändern Filme wie Irving Lerners Murder by Contract (1958) entstanden, ein grimmiger und heute hochverehrter Low-Budget-Film über einen Killer, der den Auftrag bekommt, eine Frau zu ermorden, vom deutschen Filmkritiker Wolf-Eckart Bühler sehr treffend so charakterisiert: «Für keinen Markt hergestellt, aber den Gesetzen des Marktes unterworfen. ‹Second features›, eine Konvention der Zeit, Waffe gegen das aufkommende Fernsehen. Werbegeschenke, kostenlose Dreingaben. Wobei sie weniger für die eigentliche Attraktion, den Hauptfilm, zu werben hatten, sondern für eine Abstraktion, für das Kino an sich. Es hat sie keiner ernst genommen, es hat sie keiner sehen wollen, es hat keiner von ihnen einen Profit erwartet, es hat sie keiner rezensiert.»
Hannes Brühwiler