Nancy Savoca: Komödien gegen den Strich erzählt
Wenn Nancy Savoca mit ihrer Kamera in die Wohnungen der italienischstämmigen Gemeinschaft in New York blickt, dann geht es meist turbulent zu und her. Es wird gestritten und verziehen, geliebt und betrogen, wobei stets das Festharren an Traditionen auf die Wünsche der jungen Generation prallt. Es sind intime wie stets mit grosser Zuneigung gefilmte Geschichten, die nicht nur die klassischen Erzählungen des amerikanischen Kinos aufbrechen, sondern mit denen die Regisseurin zu Beginn der 1990er Jahre die Codes der romantischen Komödie neu konfigurierte. Im Zentrum stehen dabei immer die Sehnsüchte, Wünsche und Kämpfe von Frauen, mit denen sie sich im Alltag konfrontiert sehen. Nun wurde Savocas Frühwerk, das zugleich ein wichtiger Teil des Independent-Kinos der Neunziger darstellt, restauriert und kann neu entdeckt werden.
Es ist nie zu spät, Nein zu sagen. Selbst als Donna (Annabella Sciorra) schon auf dem Weg zur Kirche ist, beteuert ihr Vater der verunsicherten Braut, dass es ein Zurück gibt. Theoretisch zumindest. Im nächsten Moment steht die junge Italienerin in Weiss vor dem Altar, um Michael (Ron Eldard) das Ja-Wort zu geben. Auch dem Fiancé wurden in den Tagen vor der Hochzeit die Knie etwas weich. Denn so ist das mit der Amour fou, der einzig wahren Liebe, man weiss nie, wie es ausgeht. Nancy Savocas Komödie True Love über ein junges italoamerikanisches Paar in der Bronx, das sich auf die gemeinsame Zukunft vorbereitet, taucht mitten in den Alltag der beiden Verliebten ein. Familie und Freunde gehören ebenso dazu wie die Gäste des gut besuchten American Diners, in dem Michael arbeitet. Savoca zeigt bereits in ihrem Spielfilmdebüt ein grosses Gespür fürs präzise Beobachten und für die Genauigkeit in den Details. Zugleich ist ihr am Dokumentarischen orientierter Reportage-Stil durchzogen von einer Leidenschaft für das Drumherum: die Sprache, die Stadt und ihre kulturellen Eigenheiten. Beim renommierten Independent-Film- Festival Sundance (respektive dem US Film Festival, wie es damals noch hiess) erhielt sie dafür den Hauptpreis. Auch die Juror:innen hatten sich in den umwerfend ehrlichen wie lustigen Indie-Film verliebt. Das war 1989 – richtig, in dem Jahr, das die Filmgeschichte für Steven Soderbergh reserviert hatte. Alle Welt sprach damals nur von Sex, Lies, and Videotape. Es war der grosse Festival-Hit, mit dem Soderbergh in Sundance Premiere feierte und kurz darauf als jüngster Regisseur überhaupt in Cannes die Goldene Palme gewann. Harvey Weinsteins Produktions- und Verleihfirma Miramax, die sich die Filmrechte in einem erbitterten Bieterwettstreit sichern konnte, wusste in der Folge die Aufmerksamkeit im Rahmen einer ausgeklügelten Marketingstrategie für ihren Schützling zu nutzen. Savoca und ihr Ehemann Richard Guay, der die Regisseurin seit jeher in allen Bereichen ihrer Filmarbeit unterstützt, waren dagegen auf sich allein gestellt. Und so kam es, wie es kommen musste: Soderbergh wurde zum Indie-Star, Savoca blieb im Schatten und strahlte von dort aus ihr Können mit weiteren kleinen Indie-Juwelen in die Welt.
Späte Anerkennung
Die aufkommende Begeisterung für das unabhängige amerikanische Kino, für neue Geschichten und formale Ideen spielte auch den weniger bekannten Vertreter:innen der Szene in die Hände: Neben Savoca konnten Kolleginnen wie Susan Seidelman oder Allison Anders ihre Karrieren dadurch ins Rollen bringen. Leicht hatten sie es allerdings trotzdem nie. Dass vor allem Savocas überschaubares Werk in den letzten Jahren späte Anerkennung erfährt, hat etwas Treffendes: Ihre Figuren sind selbst ungeschliffene Diamanten, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. Man muss sich nur River Phoenix als Lance Corporal Eddie Birdlace in Dogfight (1991) anschauen, um zu erahnen, wie viel Potenzial sowohl in dem jungen Unteroffizier als auch in dem jungen Rebellen, der ihn hier spielt, steckt. An einem regnerischen Novemberabend im Jahr 1963 in Roses Café in San Francisco braucht er eine Weile, bis er die Kellnerin Rose Fenny (Lili Taylor) entdeckt, die im hinteren Teil des Restaurants leise zu der Melodie ihrer Gitarre singt. Nach einem langen Tag im Geschäft ihrer Mutter sieht sie müde und etwas zerzaust aus, ein Mauerblümchen im besten Sinn. Aber Eddie versucht es trotzdem bei ihr – oder besser: gerade deswegen. Mit ein paar anderen Marines hat er eine Wette um das «hässlichste Date» abgeschlossen, die er mit Rose im Schlepptau zu gewinnen hofft. Savocas Film lebt von Nuancen und Details, trotz der Wucht der Ereignisse, von denen er erzählt. Nicht ihr Blick auf San Francisco verändert sich dramatisch zwischen November 1963 und Eddies späterer Rückkehr in die Stadt, sondern Savoca zeigt, wie der Ort und die Menschen wie ausgewechselt wirken. Plötzlich ist ein Mann in Uniform nicht mehr das, was er vor dem Krieg war. Mit Dogfight drehte Savoca 1991 ihren ersten und einzigen Hollywoodfilm. Damals scheiterte die subtile Vietnam Dramedy, zu deren Cast neben Phoenix und Taylor auch der 1990er-Frauenschwarm und spätere Oscargewinner Brendan Fraser gehörte, an den Kinokassen. Heute schaut man mit Bewunderung auf Savocas bemerkenswertes Feingefühl für räumliche, gesellschaftliche und kulturelle Besonderheiten sowie für ihre Figuren, die nie genau da sind, wo sie sein wollen oder sollten. Und die trotzdem mitten im Leben stehen.
Gefangene des eigenen Lebens
Vielleicht war die Zeit stets gegen die 1959 in New York geborene Tochter sizilianischer und argentinischer Einwanderer. Savocas zweiter Kurzfilm mit dem passenden Titel Bad Timing (1982) steht indirekt repräsentativ für ihren eigenen Kampf, in der Filmindustrie Fuss zu fassen: Bei einer Open-Mic-Nacht in einer Bar in New Jersey berichtet ein Schauspieler-Paar (Marianne Leone und der zukünftige Hollywoodstar Chris Cooper) auf unterhaltsame Weise von den Mythen und Fallstricken seiner Zunft. Sowohl für Bad Timing als auch ihren ersten Studenten-Kurzfilm Renata (1982) erhielt die Absolventin der Filmschule der New York University den Haig P. Manoogian Award für herausragende Leistungen. Ihre ersten Berufserfahrungen sammelte sie ab Mitte der 1980er-Jahre unter Jonathan Demme und als Produktionsassistentin von John Sayles, der so begeistert vom Talent seiner jungen Mitarbeiterin war, dass er schliesslich ihren Debütfilm True Love produzierte. Aber trotz aller Hilfe und Achtung innerhalb der Branche gelang es Savoca nicht, sich in der stark patriarchalischen Filmindustrie einen Platz in vorderster Reihe einzurichten. Auch ihr dritter Spielfilm Household Saints (1993) ist eine zauberhafte filmische Entdeckung. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Francine Prose, verbindet die Geschichte auf faszinierende Weise Motive und Themen aus Savocas früheren Filmen in einem unterhaltsamen Dreigenerationenporträt, das raffiniert zwischen Humor, Tragik und Pathos balanciert. Wieder steht eine temperamentvolle italoamerikanische Familie im Zentrum, wieder geht es um Liebe und eine Hochzeit, auch wenn sie diesmal auf einer Wette beruht, die der Metzger Joseph (Vincent D’Onofrio) beim Binokel mit seinem Gegenspieler Lino Falconetti (Victor Argo) eingeht. Letzterer bringt seine Tochter Catherine (Tracey Ullman) zum Einsatz, Joseph gewinnt die Runde mit einem stolzen Blatt, das nur aus Herzen besteht. Gegen den Protest seiner Mutter (Judith Malina), die sich dem Geschäft mit Geistern verschrieben hat, wird daraus eine Ehe, die – Auftritt: Lili Taylor – eine Tochter namens Teresa hervorbringt. Im Geist ihrer Grossmutter beschliesst sie, Gott zu dienen, was unweigerlich zu amüsanten innerfamiliären Spannungen führt. Savoca jedoch nimmt Teresas religiöses Anliegen ernst, ebenso wie Taylor, die ihre Figur irgendwo zwischen hingebungsvoller Unschuld und Naivität positioniert. Ähnlich wie Rose in Dogfight ist auch Teresa eine willensstarke junge Frau; was sie vereint, ist ihr Schicksal: Beide sind gefangen in einem Leben, das ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Nancy Savoca hat sich derweil in einer Nische eingerichtet, die es ihr erlaubt hat, auch in den Folgejahren weiter in Film und Fernsehen zu arbeiten. Aber es sind diese frühen Werke, die vom Aufbruch und dem Hoffnungsglauben des US-Independent-Kinos ebenso erzählen wie von den emotionalen und multikulturellen Realitäten im Amerika der 1980er-und 1990er-Jahre, in denen Savocas eindringliche künstlerische Kraft und Entschlossenheit am fiebrigsten aufflammen und zum Leuchten kommen.
Pamela Jahn
Pamela Jahn ist freie Autorin und Journalistin u.a. für das ray Filmmagazin, die Neue Zürcher Zeitung und Filmbulletin. Sie lebt in London und ist dort auch als Übersetzerin und Filmkuratorin tätig.