Der Frankenstein-Komplex
«It's alive!» schreit Colin Clive als Titelheld in James Whales Frankenstein von 1931. Quicklebendig und faktisch unzerstörbar ist auch der Mythos Frankenstein selbst. Das Geschöpf, das Mary Shelleys arroganter Antiheld aus Leichen gebastelt hat, ist schon tausend Filmtode gestorben, um immer wieder in neuer Form zu erstehen. Auch die Figur des ehrgeizigen Forschers, der die Folgen seines Tuns nicht bedenkt, bis es zu spät ist, hat sich in den 200 Jahren seit der Veröffentlichung des Romans immer wieder an die Aktualität anpassen und umdeuten lassen.
Schon der Zauberlehrling, ersonnen vom griechischen Satiriker Lukian und besungen von Goethe, ward die Geister, die er rief, nicht mehr los. Doch Victor Frankenstein, die Titelfigur von Mary Wollstonecraft Shelleys Roman «Frankenstein; or, The Modern Prometheus» (1818) ist keine Märchenfigur, sondern einer der ersten Protagonisten des Genres der «Science»-fiction: Sein Schöpfungsakt beruht nicht auf Zauberei, sondern auf Wissenschaft (auch wenn er im Roman nicht näher beschrieben wird). Dieser wesentliche Unterschied verlegt sowohl die Macht der Schöpfung als auch die damit verbundene Verantwortung in die Hände des Menschen. Gott und Magie haben hier nichts mehr verloren, der rationale Verstand ist das Mass aller Dinge – und erweist sich in dieser Fabel als unzulänglich.
Unlängst hat eine Ausstellung im Museum Strauhof eine Verbindung vom prometheischen Schöpfer von Menschen zu den heutigen Designern künstlicher Intelligenz geschlagen. Roboter und Computer als elektronische Nachfahren des zum Leben erweckten, aber ungebildeten, ungeliebten und unkontrollierbaren Geschöpfs bei Shelley haben schon jahrzehntelang die Science-Fiction bevölkert, von 2001: A Space Odyssey (1968) und Colossus: The Forbin Project (1970) über WarGames (1983) und die «Terminator»-Filme (ab 1984) bis zu I, Robot (2004) und Ex Machina (2014).
Victor Frankenstein ist der Prototyp nicht nur des «mad scientist» der Unterhaltungsliteratur und trashiger Filme, sondern auch des skrupel- bzw. rücksichtslosen Forschers in der Realität. Der Diskurs um Fortschritt und dessen ethische Konsequenzen nimmt immer wieder auf Shelleys Mahnmal Bezug und warnt vor den nicht absehbaren (heute oft globalen) Folgen wissenschaftlicher Neuerungen, ob diese nun die Gentechnik im Ackerbau und bei der Manipulation menschlichen Erbguts betreffen oder technische Erfindungen, deren Folgen zur Veränderung des Klimas und zur Verschmutzung der Umwelt führen.
Die klassischen Adaptionen
Die Verfilmung des Romans wurde erstmals 1910 von J. Searle Dawley angepackt, der sich selbst gerne als ersten Filmregisseur der Geschichte bezeichnete. Dawley verdichtete die Geschichte auf gut 15 Minuten und legte damit den Grundstein für weitere Adaptionen, die sich meist grosszügig um die philosophischen Auseinandersetzungen in Shelleys Vorlage foutierten; Spektakel war Trumpf, das Geschöpf zumeist ein undifferenziertes sprachloses Monster, das das Publikum eher zum Gruseln als zum Nachdenken bringen sollte. Umso erstaunlicher ist es, dass in James Whales Frankenstein (1931) Boris Karloff in der unübertrefflichen Maske von Jack Pierce dennoch Verständnis für das missverstandene und verstossene Geschöpf zu wecken vermochte. Whales eigene Fortsetzung Bride of Frankenstein (1934) mit ihren schrillen Protagonisten und ihrem schrägen Humor, erst recht aber die eher einfältigen späteren Leinwand-Inkarnationen des Monsters regten bald zur Parodie an, und der Mythos gerann zum Witz, in Gruselkomödien wie Abbott and Costello Meet Frankenstein (1948).
Als Terence Fisher 1957 in Grossbritannien The Curse of Frankenstein drehte, nahm er den Stoff ernst, legte das Schwergewicht jedoch auf die Figur des Arztes, der seinem Ehrgeiz jegliche menschliche Regung opfert; das Monster, wiewohl verkörpert von Christopher Lee unter einer mässig überzeugenden Maske, bleibt eine bedauernswerte Nebenfigur. Farbe und teils drastische Schockeffekte verschoben die Wirkung des Films vom eher abstrakten Schauder, den der klassische Gruselfilm erzeugte, in Richtung Ekel vor dem sinnlichen Horror in Form von Blut und abgetrennten Körperteilen; die Filme der Hammer Studios waren Wegbereiter des modernen Splatterfilms. Zahlreiche Fortsetzungen und Verballhornungen durch Fisher selbst und andere Hammer-Regisseure (von allerlei Abwandlungen in anderen Ländern ganz abgesehen) führten das Frankenstein-Motiv erneut ad absurdum, sodass in den 70er-Jahren die Zeit reif war für neue Parodien: Mel Brooks verbindet in Young Frankenstein (1974) witzige und vulgäre Gags mit einer äusserlich liebevoll gestalteten Hommage an Whales Filme (er verwendete sogar das Original-Dekor des Labors); The Rocky Horror Picture Show (1975), Jim Sharmans Filmfassung des Londoner Bühnenerfolgs von Richard OʼBrien, drehte den Frankenstein-Mythos samt allen Abklatschfilmen, Teeniedramen und Space Operas der 50er-Jahre durch den Wolf. Die Umdeutung des von Hybris geplagten Wissenschaftlers zum genderfluiden Hedonisten, der sich einen braungebrannten, blonden Muskelmann als Lustobjekt erschafft, entfesselte endgültig die Sexualität, die in all diesen verklemmten Erzeugnissen der amerikanischen Populärkultur schlummerte.
Moderne Wiederbelebungen
Francis Ford Coppola, der 1992 versucht hatte, mit der Grossproduktion Bram Stokerʼs Dracula dem Vampirfilm wieder zu Ernst und Ansehen zu verhelfen, produzierte 1994 Kenneth Branaghs Versuch, mit Mary Shelley's Frankenstein dasselbe für diesen klassischen Gruselstoff zu tun. Die Kritik würdigte Robert De Niros Darstellung des Geschöpfs als adäquate Interpretation der Figur, wie sie die Autorin ersonnen hatte: als zunächst unschuldiges Wesen, das von seinem Schöpfer verstossen und im Stich gelassen wird, das ohne sein Zutun von der menschlichen Gemeinschaft angefeindet und misshandelt wird und sich schliesslich für all den Missbrauch rächt. Weniger gnädig behandelte die Kritik Branaghs Inszenierung und seine eigene Verkörperung des arroganten Frankenstein als halbnackter Demiurg aus dem Bodybuilding-Studio; der vielgepriesene Olivier-Erbe wurde prompt selbst der Überheblichkeit bezichtigt.
Die Entstehung des Romans und die Produktion der Filme wurden ihrerseits zum Filmstoff. Sowohl Ken Russell (Gothic, 1986) als auch Ivan Passer (Haunted Summer, 1988) widmeten sich den sagenumwobenen Umständen, unter denen die 18-jährige Mary Godwin in der dubiosen Gesellschaft Shelleys und Byrons ihre Geschichte ersann; mit der saudi-arabischen Filmemacherin Haifaa Al-Mansour, die in Wadjda (2012) eine heutige Emanzipationsgeschichte aus ihrer Heimat erzählt hatte, packte erstmals eine Frau die Biografie der Autorin und ihrer literarischen Schöpfung an. Mary Shelley, geschrieben von Emma Jensen, weist zwar einige unzeitgemäss moderne Dialoge auf und leitet die Frankenstein-Fabel etwas allzu linear aus Marys Biografie her; die Hauptdarstellerin Elle Fanning macht jedoch das schwierige Dasein der angehenden Schriftstellerin und Feministin in einer von Männern dominierten Gesellschaft einfühlbar. In Gods and Monsters (1998) wiederum verquickt Bill Condon die Vita des einsamen alternden Schwulen James Whale mit den Motiven seiner Frankenstein-Filme, was nicht nur Whales künstlerisches Schaffen würdigt, sondern auch durchaus zu bewegen vermag.
Michel Bodmer
Am 29.1., nach Bride of Frankenstein, sprechen Elisabeth Bronfen und Johannes Binotto über den Stoff und seine Verfilmungen.
«Frankenstein» wird auch im Schauspielhaus aufgeführt. Autor Dietmar Dath und Regisseur Stefan Pucher nähern sich dem Stoff bildgewaltig, vor dem Hintergrund unserer heutigen Entwicklung von künstlichem Leben.
Das Theater am Hechtplatz wiederum bringt ab dem 27. April «Young Frankenstein» als Musical auf die Bühne.