Judi Dench & Helen Mirren: Royal Ladies
Beide kommen vom Theater und haben sich relativ spät einen festen Platz als Filmschauspielerinnen erobert, beide haben mehrfach als englische Königinnen geglänzt und wurden dafür ausgezeichnet: Helen Mirren und Judi Dench beweisen auf souveräne Weise, dass Persönlichkeit und Ausstrahlung mit den Jahren zunehmen.
Das Alter von Frauen im Allgemeinen und Schauspielerinnen im Besonderen direkt anzusprechen, gilt als heikel. Bestimmte Regeln wollen eingehalten werden. Das Unbedenklichste scheint oft, man sagt einfach, man sehe es ihnen nicht an. Doch im Fall von Judi Dench und Helen Mirren hätte man damit glatt das Thema verfehlt. Denn für beide spielt das Alter in ihrer Karriere eine ganz entscheidende Rolle. Und eben nicht in dem Sinne, dass sie es durch vorbildliche Lebensführung, strenge Fitnessprogramme oder plastische Chirurgie hätten unsichtbar werden lassen, sondern ganz im Gegenteil: Beide waren über sechzig, als sie ihren ersten Oscar in Empfang nahmen und beide verkörperten in ihren preisgekrönten Rollen Frauen, denen man ihr Alter ansieht. Dass es sich ausserdem in beiden Fällen um Königinnen handelte, geht über das Anekdotische hinaus.
Judi Dench stahl als Elizabeth I. in John Maddens Shakespeare in Love ihren anderen Nebendarstellern die Schau, obwohl sie im ganzen Film nur etwa acht Minuten zu sehen war. Helen Mirren zeigte in Stephen Frears' The Queen die sperrige Persönlichkeit von Elizabeth II. mit so präzisem Augenmass, dass ihr sowohl Anhänger als auch Gegner der Monarchie zujubelten. Frauen auf dem Thron, Frauen auf dem Höhepunkt von Macht und Ansehen – um sie glaubhaft zu verkörpern, braucht es Schauspielerinnen mit Ausstrahlung und Persönlichkeit, Qualitäten also, die erst mit reifem – und sichtbarem! – Alter an Tiefe gewinnen.
Wandlungsfähigkeit als Startkapital
Natürlich wollen «Dame Judi» und «Dame Helen» nicht in einen Topf geworfen werden, trotzdem weisen ihre Karrieren interessante strukturelle Ähnlichkeiten auf: Beide haben eine klassische Schauspielausbildung genossen und beide sind zunächst als Theaterschauspielerinnen gross geworden, mithin vor einem Publikum, dem die äusserliche Attraktivität seiner Stars sehr viel weniger wichtig ist als deren Bühnenpräsenz und Wandlungsfähigkeit. Sowohl Dench als auch Mirren haben sich früh in ihren Karrieren in Film und Fernsehen versucht, mit wechselhaftem Erfolg. Genau das aber erwies sich für beide langfristig als Segen, verhinderte es doch eine Festlegung und Verengung auf ein bestimmtes Rollenbild. Und nicht zuletzt sind beide «British», was in diesem Kontext weniger als nationale Bestimmung eine Rolle spielt als vielmehr auf eine Tradition hinweist, in der Bühne, Fernsehen und Film noch anders miteinander kooperieren als in Hollywood.
Judi Dench, 1934 in York geboren, ist in ihrer Heimat eine Legende. Eine jüngst erstellte Umfrage ermittelte sie als Nummer eins unter den in Grossbritannien geborenen Schauspielerinnen – weit vor Elizabeth Taylor, Maggie Smith oder Vanessa Redgrave. Unter Theatergängern schwärmt man raunend von ihren Auftritten. Ihren ersten BAFTA-Award – die britische Entsprechung der Oscars – als «most promising newcomer» erhielt sie bereits 1965 für ihre Darstellung einer jungen Ehefrau in Anthony Simmons' heute vergessenem Four in the Morning. Zu ihrer wahren Form auf der Kinoleinwand aber fand sie eher zögerlich. Schon in den achtziger Jahren liess sie in Filmen wie Wetherby und A Room with a View erahnen, wie einmalig sie eine prekäre Verbindung aus Rauheit und Verletzlichkeit, aus scharfem Verstand und Bodenständigkeit darstellen konnte. Als Königin Viktoria vereinigte sie in Mrs. Brown 1997 schliesslich herrische Ungeschliffenheit und weibliche Sensibilität auf eine Weise, die mit einer ersten Oscar-Nominierung belohnt wurde. Da war Judi Dench bereits 62. Und ihre Karriere nahm immer noch Fahrt auf.
1995 übernahm sie erstmals die Rolle als «M» in einem James-Bond-Film. Und ganz gegen die Erwartung, die das als blosses Zugeständnis an eine längst fällige Emanzipation wertete, durfte Dench in ihren Kurzauftritten dem populären Helden 007 nicht wie ihre Vorgänger mit bürokratischer Kleinlichkeit, sondern mit spöttischer Überlegenheit entgegentreten und Bond gar als «Relikt des Kalten Kriegs» bezeichnen. Die interessanteren Rollen aber kamen im neuen Jahrtausend mit Filmen wie Iris und Notes on a Scandal, in denen sie in gebotener Uneitelkeit dunkle Frauenpersönlichkeiten porträtierte. Wie wenig Dench sich auf ein Fach festlegen will – und wie majestätisch sie selbst über ihre Rollenwahl gebietet –, bewies sie im Weiteren mit Auftritten in Genrefilmen wie dem Vin-Diesel-Vehikel The Chronicles of Riddick.
«Nicht hinreissend» – aber grossartig!
Auch Helen Mirren, elf Jahre jünger als «Dame Judi», hat sich inzwischen ein Image aufgebaut, das auch durch stereotype Auftritte in Genrefilmen nicht zu beschädigen ist. Das war nicht immer so. Mirrens Bereitschaft zur Freizügigkeit, die sich von ihren ersten Filmrollen wie Age of Consent (1969) über eher abenteuerliche Unternehmen wie Caligula bis hin zu Autorenfilmen wie Cal (1984) zeigte, trug ihr die längste Zeit den Ruf ein, ihre Sinnlichkeit allzu pragmatisch einzusetzen. Als Mirren 2003 mit Calendar Girls ein weiteres Mal in einer «Ausziehrolle» zu sehen war, feierten das die Zeitungen jedoch mit feiner Ironie. Es hatte sich inzwischen erwiesen, dass Mirrens Schauspielkarriere auf ein sehr viel solideres Fundament als blossen Sex baut.
Als Lieblingsbeschreibung ihrer selbst gibt die als llynea Lydia Mironoff 1945 in London geborene Nachfahrin russischen Exiladels denn auch an: «Being famous for being cool about not being gorgeous.» Denn zu ihrer Bereitschaft, viel nackte Haut zu zeigen, kam stets noch etwas anderes hinzu: Das Gefühl der Freiheit, der Selbstbestimmtheit – und der Intelligenz. Zwar spielte sie gerne auch mal schlichte böse Mädchen, aber nie ein blosses Pin-up-Girl. So ist es auch die gleichzeitig aufblitzende Schärfe ihres Verstandes, die ihrer plakativ erotischen Aufmachung in Peter Greenaways The Cook, The Thief, His Wife and Her Lover den eigentlichen Kick verleiht.
Mit ihren mehrfachen Oscar-Nominierungen und Auszeichnungen, auch für ihre desillusionierte Polizistin in der TV-Krimiserie Prime Suspect, schien ihre Karriere schon glanzvoll genug. Dann aber kam die Saison 2006/2007. In Tom Hoopers Fernsehzweiteiler Elizabeth I. und in Stephen Frears’ The Queen spielte sie jeweils die Titelrollen und wurde mit Preisen auf geradezu hysterische Weise überhäuft. Aus einem Star wurde ein Superstar. Da war sie gerade 61 geworden.
Mirren spielt die beiden so unterschiedlichen Königinnen nicht als klassische weibliche Heroinnen, eben nicht als Diven der Macht, sondern als ausgeprägte Charakterköpfe. Als Frauen mit Ambivalenzen, die vor allem eines auszeichnet: Sie kämpfen nicht darum, geliebt zu werden, sie wollen nicht «gefallen»; sie wissen, dass man sie um ihrer Macht willen liebt. Was sie mit Resignation und ein klein wenig Verbitterung akzeptiert haben. «Was die Menschen heutzutage wollen, sind Glamour und Tränen, den ganz grossen Auftritt», sagt sie als Queen zu Tony Blair in Frears’ Film. Sie selbst aber demonstriert das Gegenteil: das feine, zurückhaltende, nuancierte Porträt, das auf lange Sicht umso mehr bewegt.
Auf das Alter angesprochen meinte Mirren einmal, dass die schwierigste Periode die zwischen 44 und 58 sei, wenn man keine gut aussehende, reife Frau mehr sei und noch keine alte Schachtel; danach aber werde alles gut. Wenn es doch nur mehr Rollen für sie gäbe!
Barbara Schweizerhof
Barbara Schweizerhof ist Redaktorin der Zeitschrift «epd Film» und schreibt über das aktuelle Kino, osteuropäische Filmgeschichte und das Genre der Komödie.