Das erste Jahrhundert des Films: 1934: Glamour-Erotik und berührende Poesie
In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d.h. im Jahr 2014 sind Filme von 1914, 1924, 1934 usw. zu sehen, im Jahr 2015 dann Filme von 1915, 1925, 1935 usw.
Bevor Mitte 1934 in Hollywood die visuellen Tabus und die Selbstzensur mit der Durchsetzung des Hays Code an Bedeutung gewannen, gab es in den sogenannten Pre-Code-Filmen noch eine besondere Art von Glamour-Erotik. Dazu gehört das Kinobravourstück The Scarlet Empress von Joseph von Sternberg, in dem Marlene Dietrich, die Sternberg nach Hollywood begleitet hatte, unvergleichlich die Zarin von Russland gibt – der Film ist, so der Regisseur, ein kompromissloser Abstecher in die Domäne des Stils. Für Frank Capra hingegen war Stil etwas Funktionales, doch hatte er ein untrügliches Gespür für pointierte Dialoge und für genau gezeichnete Figuren. Ihm gelang mit It Happened One Night ein raketenhafter Aufstieg. Besetzt mit Clark Gable und Claudette Colbert, bietet dieses Meisterwerk eine Reise durch die Wirren der amerikanischen Depressionszeit: Der Film gewann alle wichtigen Oscars, machte seine Schauspieler zu Superstars, gilt als Inbegriff aller Screwball Comedies – und ist noch heute ein einziges Vergnügen. Der amerikanische Dokumentarfilmpionier Joseph Flaherty suchte unterdessen auf den kleinen irischen Aran-Islands eine ganz andere Geschichte: In Man of Aran zeigt er den alltäglichen Kampf der Inselbewohner gegen die übermächtige Natur mit höchst eindrucksvollen Bildern als Doku-Fiktion. Zwischen dokumentarischem Realismus und poetischer Überhöhung bewegt sich in Frankreich derweil Jean Vigo mit seinem virtuosen L'Atalante – ein berührendes Werk, das nichts von seiner Kraft verloren hat und von führenden Filmkritikern immer wieder zu den zehn besten Filmen überhaupt gezählt wird.
Tanja Hanhart