Das erste Jahrhundert des Films: 1944: Skrupellosigkeit und Humanität
In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist nach Jahrgängen gruppiert, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d.h. im Jahr 2014 sind Filme von 1914, 1924, 1934 usw. zu sehen, im Jahr 2015 dann Filme von 1915, 1925, 1935 usw.
Krieg total – 1944 war nicht nur Europa, sondern die ganze Welt vom Strudel der Kriegsereignisse erfasst und die USA, Grossbritannien und die Sowjetunion setzten alles daran, den nationalsozialistischen deutschen Staat zur Kapitulation zu zwingen. Auf der Leinwand zeigt Billy Wilder in diesem Jahr seinen archetypischen Film noir Double Indemnity, eine ausweglose Reise in die menschlichen Abgründe. Barbara Stanwyck spielt darin eine der fesselndsten aller Femmes fatales des Film-noir-Genres – sexy, zielstrebig, manipulativ und skrupellos. Als Gegenstück dazu erstrahlt Judy Garland in Meet Me in St. Louis: In brillanten Technicolor-Farben setzt Vincente Minnelli sie in Szene, doch finden sich in seinem Porträt eines bewusst idealisierten Amerika auch düstere Untertöne. In England gab derweil Laurence Olivier sein Regiedebüt: Sein farbenfroher Henry V war ein bahnbrechendes Kino-Theater-Spektakel und begeisterte ein Massenpublikum beidseits des Atlantiks. Einen Tyrannen von Shakespeare'scher Tragik zeigte indes Sergej M. Eisenstein in Iwan der Schreckliche – ein monumentales Werk, das selbst Stalin begeisterte. Direkt zur Aktualität Stellung nahm schliesslich die Schweiz, die mit Leopold Lindtbergs Marie-Louise erstmals die bis anhin tabuisierte Figur des Flüchtlings auf die Leinwand brachte. Marie-Louise lockte eine Million Zuschauer in die Schweizer Kinos und gewann den Oscar für das beste Drehbuch.
Tanja Hanhart