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Der Grosse Krieg auf Schweizer Leinwänden: Von Propaganda bis Pazifismus

Im Sommer 2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Aus diesem Anlass zeigt das Filmpodium vier Filmprogramme mit Raritäten und Restaurierungen zu unterschiedlichen kriegsbezogenen Themen. Fast alle Filme der Reihe – ein gutes Dutzend internationale Produktionen der Kriegszeit – waren damals auch in Schweizer Kinos zu sehen. Kulturgeschichtlich fallen der Beginn des Ersten Weltkriegs und die endgültige Etablierung des Kinos als bestimmendes visuelles Massenmedium des 20. Jahrhunderts zeitlich zusammen. 1913 war das Jahr gewesen, in dem sich der Langspielfilm als dominierendes Filmformat durchsetzte, das Starsystem zur vollen Entfaltung kam, riesige Kinopaläste wie Pilze aus dem Boden schossen und Menschen aller gesellschaftlicher Schichten in die Kinos strömten. Schon in den Jahren zuvor – seit den Anfängen des Films 1895 – waren Kriege ein beliebtes Sujet gewesen, sowohl des fiktionalen als auch des nichtfiktionalen Films. Doch erst jetzt, mit Ausbruch eines Kriegs von bislang unbekanntem Ausmass und mit einer weit entwickelten Filmindustrie, verbanden sich Kino und Krieg zu einer wirkmächtigen Einheit. Regelmässig und überall auf der Welt berichteten Aktualitätenfilme und Wochenschauen über Kriegsereignisse; praktisch ohne Unterlass wurden Spielfilme mit gegenwartsbezogenen Kriegssujets gedreht und in die Kinos gebracht. Zudem setzte man den Film erstmals in grossem Umfang auch zu Propagandazwecken ein. Die Krieg führenden Länder nutzten das neuartige Medium dazu, den kriegerischen Konflikt bei ihren eigenen Bevölkerungen und in den neutralen Staaten aus der jeweiligen Eigenperspektive zu rechtfertigen. Der «Grosse Krieg», wie man ihn damals bezeichnete, wurde zum ersten «Medienkrieg», d. h. zu einem Krieg, der sich im kollektiven Gedächtnis stark über die Bildwelten des neuen Mediums Film festsetzte. Die Schweiz war dabei weltweit eines der wenigen Länder, auf deren Leinwänden die Propagandaproduktionen aller verfeindeten Parteien aufeinandertrafen.
Heute, hundert Jahre später, sind nur noch wenige der damaligen Filmaufnahmen erhalten. Einige von ihnen konnten von den Filmarchiven neu restauriert und so wieder einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Sie vermitteln uns einen lebendigen Eindruck davon, welchen medial vermittelten Kriegsbildern die Menschen zwischen 1914 und 1918 ausgesetzt waren. Natürlich sprechen uns die Filme heute anders an als das damalige Publikum. Für uns sind sie nicht mehr Überbrückung einer primär räumlichen, sondern einer zeitlichen Distanz – eine Überbrückung, die so nur im Kino funktioniert, denn nur hier können die teils spektakulären, berührenden oder auch entsetzlichen Bilder eine Wirkung entfalten, die den historischen Aufführungsbedingungen nahekommt.
Adrian Gerber und Daniel Wiegand

Adrian Gerber und Daniel Wiegand sind Filmhistoriker am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Sie haben die vier Programme kuratiert und führen im Kino in die Filme ein.