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Sam Peckinpah

Verlorene Männer

Die Studiobosse verteufelten ihn als versoffenen Querulanten, die zeitgenössische Kritik warf ihm Gewaltfetischismus vor. Sam Peckinpahs Werk entpuppt sich heute beim genaueren Hinsehen als differenziert und zeitlos sowie als wichtige Brücke zwischen dem klassischen Hollywoodkino und der Postmoderne. Männer unter Hüten, Männer, von denen oft nicht mehr als ihre Posen bleiben, Standbilder im Gegenlicht, Blickwechsel. Sie wissen, wo sie stehen. Deshalb lachen wir sie nicht aus. So ist das bei Peckinpah. Aber das ist nicht alles.
Peckinpahs Filme lassen sich nur in Gesellschaft aushalten. Im Kino. Weil die Erschütterungen, die sie bereiten, allein nicht zu ertragen wären. Weil man, um nicht völlig zu verzweifeln, spüren muss, wie bei den anderen Menschen vor derselben Leinwand im selben Augenblick das Herz einen Schlag aussetzt, weil auch für sie unglaublich ist, was sie da sehen. Dass ein Mann mit einem steifen Arm aus Versehen ein Kind erschiesst. Wie ein stiller Wissenschaftler mit steigender Gewaltlust seine Frau vor einer Horde Handwerker verteidigt. Dass ein Gangster ein Ehepaar kidnappt, und die Frau, während er an ihren Brüsten herumdrückt, kaum aufhören kann zu giggeln, während ihr Mann gefesselt vor dem Bett sitzt. Dass Kinder fasziniert dem Töten zuschauen, statt sich zu verstecken und der Gewalt auszuweichen. Dass ein Hauptmann befiehlt, aus dem Schützengraben heraus die eigenen Leute abzuknallen. Dass fast jeder Akt des Tötens eine Unzahl unbeteiligter Toter mit sich bringt und am Ende nicht mehr zu entscheiden ist, welche Seite mehr Opfer zu beklagen hat, und ob es eine Rolle spielt und wofür. Das lässt sich nur im Kino ertragen, gross, laut, gemeinsam.
Seine Zeitgenossen haben Peckinpah meistens nicht geliebt. Die Produzenten nicht, die fast alle seine Filme kürzten, manche verhunzten (er hatte nie das Recht auf den Endschnitt), und die Kritiker und das Publikum oft auch nicht. Viele seiner Filme waren erst mal Flops. Nur The Getaway (1972), ein Thriller, den der Regisseur «die Geschichte einer guten Ehe» nannte, gespielt von Steve McQueen und Ali MacGraw, dem damals heissesten Paar Hollywoods, war sofort ein Riesenhit.

Frei in der Form
Wie fast alle seine Filme ist The Getaway gut über die Zeit gekommen mit seiner für Peckinpah typischen assoziativ geschnittenen Eingangssequenz, in der wortlos alles erzählt wird, was wir wissen müssen, um zu verstehen, warum Ali MacGraw mit einem schmierigen Politiker ins Bett geht, damit Steve McQueen aus dem Gefängnis kommt. Und auch dafür braucht man Gesellschaft: um gemeinsam über die Freiheit zu staunen, die sich dieser Regisseur mit seinen Filmen nahm, nicht nur in dem, was in ihnen geschieht und was uns erschreckt, sondern in der Form, die auch den Zuschauer befreit – von dem, was er gewöhnt ist und was er erwartet. Peckinpah löst die Zeit mit Erinnerungsblitzen auf, die Steve McQueen im Gefängnis in den Kopf schiessen, wenn er ruhig auf seiner Pritsche liegt oder an der Teppichmaschine steht. Er verlangsamt die Bilder bis zum «freeze frame», in dem er die Zeit völlig stillstellt, wie am Anfang von Pat Garrett & Billy the Kid. Er zerschneidet das Bild in Splitscreens, in denen er Gleichzeitigkeit von unsortierten Ereignissen schafft, um eine Figur zu umreissen, etwa im Vorspann von Junior Bonner. Er arbeitet mit Zerstückelungen, Fragmentierungen, lange, bevor das postmodern genannt wurde. So wissen wir, gleich wenn es losgeht, mit wem wir es zu tun bekommen.
Peckinpah, geboren 1925, gestorben 1984, war ein zarter Mann und grosser Trinker, auch anderen Drogen zugewandt, ein Selbstzerstörer, der erfolgreich zu Werk ging. Seine Gesundheit war früh schon ruiniert und die Geschichten seiner Wutanfälle am Set sind Legion. Er begann Ende der fünfziger Jahre beim Fernsehen als Autor, später auch als Produzent von Westernserien, bis er 1961 bei The Deadly Companions zum ersten Mal fürs Kino Regie führte. Und gleich am Anfang dieses ersten Films erschiesst ein trauriger Cowboy (gespielt von Brian Keith), den seine ausgebleichte Armeehose als Nordstaatler ausweist, mit seinem steifen Arm aus Versehen ein Kind.
Schon hier stellt sich die Frage, die Peckinpah bis zum Ende umtreiben wird: Wer ist dieser Mann, und wer sind die Männer um ihn herum? Jeder träumt sich eine Geschichte zusammen oder versucht, der eigenen zu entkommen, wie eben Brian Keith, der die Mutter des toten Kindes – gespielt von Maureen O’Hara –, die sich in den Kopf gesetzt hat, ihren Sohn neben seinem Vater zu begraben, bei ihrer wahnsinnigen Fahrt mit dem Kindersarg durch Apachengebiet begleitet. Die Probleme, die es mit sich bringt, eine Leiche tagelang durch die Wüste zu schleppen, hat Peckinpah hier noch ignoriert. 1974 drehte er dann einen seiner besten Filme genau darüber: Bring Me the Head of Alfredo Garcia. Warren Oates macht dort einmal Rast und lässt solange den in ein Tuch eingewickelten Kopf von Alfredo Garcia auf dem Beifahrersitz; ein Junge, der das Auto waschen will, kommt zu ihm gerannt und erzählt von den Fliegen, die den Wagen in Besitz genommen haben – wer will, wer kann so etwas ohne Gesellschaft ansehen?

Gefangen in der Geschichte
Bei Peckinpah sterben die Männer nicht leicht. Viele sind bereits angeschlagen, wenn der Film beginnt. In The Killer Elite, einem untypischen Film, weil er in San Francisco spielt und eine Gruppe Ninjas auftritt, herrlich unbeholfen übrigens, nach heutigen Standards, macht sich Peckinpah daraus einen Witz und lässt James Caan, seinen Hauptdarsteller, böse anschiessen und dann für vierzig Minuten durch die Reha gehen, bis er wiederhergestellt ist und die Geschichte eigentlich erst losgeht. Charlton Heston wird in Major Dundee mit einem Pfeil im Bein vorübergehend kampfunfähig, William Holden kommt als Anführer des «Wild Bunch» mit einem steifen Bein kaum allein aufs Pferd, und in Cross of Iron muss auch James Coburn als Steiner ins Lazarett.
Diese Männer sind Verlorene, und sie halten sich an etwas fest, das schon vorbei ist. Alte Freundschaften zum Beispiel, in denen Loyalität möglicherweise auch bedeutet, aufeinander zu schiessen, weil die Geschichte zwei Männer (wie James Coburn und Kris Kristofferson in Pat Garrett & Billy the Kid, wie Charlton Heston und Richard Harris in Major Dundee, wie William Holden und Robert Ryan in The Wild Bunch) auf entgegengesetzte Seiten gespült hat, aber ihre Liebe zueinander bleibt, bis zum fatalen Ende. Dass Peckinpah das Ende in Pat Garrett bereits im Vorspann vorwegnimmt und dann den Tod Garretts für die Dauer des Film herauszögert – das ist das Zeichen der grossen Zärtlichkeit, mit der Peckinpah immer wieder auf seine Figuren schaut.
Manchmal geht es den Frauen besser als den Männern. Senta Berger zum Beispiel, der Peckinpah als junger Deutschen in Hollywood die Gelegenheit gab, zweimal dieselbe Rolle zu spielen: die schöne Frau aus einer anderen Welt, die dem Helden einen Ausweg aus einem Leben im Kampf, im Krieg, in der Gewalt zeigt. In Major Dundee (1965) und in Cross of Iron (1977) entscheiden sich die Helden anders – für den Kampf, den Krieg, die Gewalt, an der sie leiden und in der sie untergehen. Die Angst herauszufinden, wer sie sein könnten, wenn sie aufhören zu kämpfen, hält sie von der Frau fern, die sie begehren. Die Frage, was ihre Geschichte bedeutet, wenn sie aus ihr heraustreten. Die Furcht, dass nichts bleibt. Das sind für einen Filmemacher, der für seine Gewaltorgien berüchtigt war, ziemlich kniffelige Fragen. Und sie sind es, die seine Filme antreiben.
Verena Lueken

Zusatzinformationen: Verena Lueken ist Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Schwerpunkt Film. Gerade erschien ihr Roman «Alles zählt» (Kiepenheuer & Witsch).