Filmpodium für Kinder: Shrek – Der tollkühne Held
Frei nach dem gleichnamigen kuriosen Kinderbuch von William Steig haben die Drehbuchautoren (scheinbar) Ethik und Ästhetik von Märchen auf den Kopf gestellt.
Shrek ist ein grünhäutiger, griesgrämiger Eigenbrötler, der gern in sein Schlammbad furzt und aus Ohrenschmalz Kerzen dreht. Sein Gegenspieler ist der eitle Lord Farquaad, der seine Kleinwüchsigkeit mit Beinattrappen tarnt und sein Land ethnisch säubert, um im nach seinem Bilde gestalteten Schloss keine Konkurrenz zu haben. Per Zauberspiegel erkürt er die Singleprinzessin, die einen Millionär – pardon: Adligen – heiraten will und ihn damit zum König macht. Seine Wahl fällt auf Prinzessin Fiona, die dummerweise vor einem Drachen gerettet werden muss. So lässt Farquaad den unappetitlichen, aber strammen Shrek diese Heldentat an seiner statt vollbringen. Im Gegenzug will er Pinocchio, Schneewittchen, Rotkäppchen samt Wolf und Co., die als Asylanten Shreks Sumpf heimsuchen, wieder verschwinden lassen.
Dieses «gebrochene Märchen» veräppelt die braven Grimm- und Perrault-Adaptationen von Disney. In der schrägen Fabel vom unheroischen Unhold Shrek, der wider Willen eine schöne Prinzessin rettet, werden nicht nur klassische Märchenmotive und -figuren durch den Kakao gezogen; Zoten und Fäkalhumor für die Kids gehören ebenso zum breiten Spassrepertoire wie Seitenhiebe gegen Disneyland.
Bei aller Respektlosigkeit und anachronistischen Verspieltheit huldigt Shrek am Ende ähnlichen Werten wie die parodierten Disney-Filme: Wer zu sich selbst steht, wird auch liebenswert, und mehr als Äusserlichkeiten zählen innere Werte. Neu und nicht Disney-mässig war die Betonung der Körperlichkeit, nicht zuletzt ein Verdienst der Computeranimation. Mehr als jeder zweidimensionale Zeichentrickfilm vermittelt das Werk des Regiepaars Andrew Adamson und Vicky Jenson den Eindruck, dass in der Märchenwelt von Shrek physikalische Gesetze wie Schwerkraft und Trägheit, Phänomene wie Feuer und Wasser ähnlich funktionieren wie in unserer Realität. Masse, Gestik und Mimik der Figuren wirken ungemein natürlich, auch bei den Fabelwesen. Vom Inszenierungsstil her orientieren sich die Regiedebütanten – er ist ursprünglich Visual-Effects-Designer, sie Storyboard-Zeichnerin – mehr am Realfilm denn an klassischer Animation.
Die Rechnung, mit diesem kühnen Stilmix Kinder ebenso anzusprechen wie cinephile Erwachsene, ging künstlerisch wie kommerziell auf: Shrek hat an Amerikas Kinokassen damals selbst Disneys Blockbuster Pearl Harbor versenkt und wurde mit einem Oscar als bester Animationsfilm ausgezeichnet.
Michel Bodmer