Das erste Jahrhundert des Films: 1948
In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2018 sind Filme von 1918, 1928, 1938 usw. zu sehen.
1948 lag ein Grossteil Europas in Trümmern – gerade vor dem Hintergrund des durch den Faschismus und Krieg zerstörten Italien erreicht der Neorealismus seinen Höhepunkt mit zwei Werken, die Filmemacher in aller Welt inspirieren werden: In Ladri di biciclette erzählt Vittorio De Sica eine ergreifend schlichte Geschichte, die das Elend im Nachkriegsitalien eindringlich festhält, und mit La terra trema zeigt Luchino Visconti ein menschlich packendes Drama über den Kampf sizilianischer Fischer gegen die Ausbeutung, das als beispielhafte Fusion von Realismus und Opernhaftigkeit gilt.
Vom Neorealismus, aber auch dem Film noir beeinflusst wird Akira Kurosawa: Sein Engel der Verlorenen ist ein eindringlich inszeniertes Porträt der japanischen Nachkriegszeit, das bei aller Tragik von Menschlichkeit, warmherzigem Humor und Zuversicht getragen wird.
In den USA stürmen in diesem Jahr zwei Schwergewichte die Leinwand: In The Treasure of the Sierra Madre beobachtet John Huston drei ungleiche Abenteurer, wie sie in der unwirtlichen Bergwelt Mexikos nach Gold suchen, es finden und am Ende wieder verlieren – ein Klassiker des Abenteuerfilms, welcher der desillusionierten Stimmung der Nachkriegsjahre entspricht, zugleich aber nie altert. Howard Hawks erzählt in seinem grandiosen Red River die Geschichte eines strapaziösen Viehtrecks von Texas nach Missouri. John Wayne spielt den Prärietyrannen, der zwar 10 000 Rinder im Zaum halten kann, nicht aber den rebellischen jungen Cowboy, mit dem Montgomery Clift in seinem Spielfilmdebüt bereits die Rolle seines Lebens findet.
Wie ein wilder Traum muss dem Publikum in der grauen Nachkriegszeit The Red Shoes vorgekommen sein: Mit leuchtenden Technicolor-Farben, prächtigen Dekors und leidenschaftlichen Gefühlen sorgten Michael Powell und Emeric Pressburger international für Begeisterung – dank seiner märchenhaften Realität und fantastischen Künstlichkeit ist dieser virtuose Tanzfilm auch heute noch ein faszinierendes Werk.
Weitere wichtige Filme von 1948:
Die Gezeichneten/The Search Fred Zinnemann, CH/USA
Force of Evil Abraham Polonsky, USA
Germania, anno zero Roberto Rossellini, I
Hamlet Laurence Olivier, GB
Key Largo John Huston, USA
L’aigle à deux têtes Jean Cocteau, F
Letter from an Unknown Woman Max Ophüls, USA
Louisiana Story John Flaherty, USA
Oliver Twist David Lean, GB
Raw Deal Anthony Mann, USA
Rope Alfred Hitchcock, USA
The Naked City Jules Dassin, USA
The Snake Pit Anatole Litvak, USA
They Live by Night Nicholas Ray, USA
Unfaithfully Yours Preston Sturges, USA
Xiao cheng zhi chun (Frühling in einer kleinen Stadt) Mu Fei, China
Yoru no onnatachi (Frauen der Nacht) Kenji Mizoguchi, J
Tanja Hanhart