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William Friedkin

Am Rande von New Hollywood hat er dem Kino ungekannte erzählerische und moralische Räume eröffnet und stilbildende Filme gedreht. Dennoch ist William Friedkins Rolle in der amerikanischen Filmgeschichte umstritten. Eins jedoch ist gewiss: Er hat die beste aller Verfolgungsjagden gedreht. «Die Verfolgungsjagd», schreibt William Friedkin in seinen Memoiren, «ist Kino in seiner reinsten Form. Sie ist in keiner anderen Kunst denkbar, ein kinetisches Erlebnis, das weder Literatur, Theater noch Malerei zu Gebot steht. In ihr verdichtet sich die Handlung und entladen sich die aufgestauten Energien. Sie muss unvorhersehbar wirken und zugleich präzise choreografiert sein.»
Die Verfolgungsjagd, die William Friedkin in The French Connection (1971) inszeniert hat, ist noch immer unübertroffen. Nicht nur, weil dieser Bewegungsrausch von packender, unwiderstehlicher Dramatik und brillant montiert ist. Sie stellt sich als Erlösung ein, nachdem die Zeit so lange stillgestanden hat. Vergeblich hat der New Yorker Cop «Popeye» Doyle bis dahin versucht, eine Bande französischer Drogenschmuggler zu überführen. Nun hat das Warten ein Ende. Die Anspannung und Wut, die sich in ihm aufgebaut haben, werden abrupt freigesetzt, als er im Auto der Hochbahn hinterherjagt, in der sein Widersacher fliehen will.
Das Finale dieser atemlosen Verfolgung gibt bereits das Filmplakat preis. Es erscheint als unausweichliche Konsequenz, dass Doyle dem Gangster in den Rücken schiesst. Nach den Regeln, die 1971 noch in Hollywood galten, war das jedoch unerhört. Antihelden gab es schon länger in amerikanischen Filmen, aber mit keinem hatte man bis dahin so sehr gefiebert wie mit dem besessenen, instinktgeleiteten Polizisten, der unglaublich viele Fehler begeht. Unerhört war auch der raue, dokumentarische Stil, in dem Friedkin den Thriller inszenierte: Der Kameraschwenker war nicht eingeweiht, wie und in welche Richtung sich die Schauspieler bewegen würden, und musste jeweils blitzschnell reagieren.

Keine Aufholjagd
Friedkin ist ein Wegbereiter, der dem Kino ungekannte erzählerische und auch moralische Räume öffnet. Seine Filme wirkten stilbildend. Dennoch ist er ein strittiger Fall in der amerikanischen Filmgeschichte, gewissermassen ein seit Jahrzehnten schwebendes Verfahren. Er könnte das Telefonbuch verfilmen und in einen aufregenden Stoff verwandeln, schrieb der Kritiker James Monaco einmal über ihn, aber zu welchem Zweck?
Üblicherweise wird er zu den Zauberlehrlingen des New Hollywood gezählt. Dabei hat er sein Handwerk nicht in der Filmschule gelernt, sondern gehört fast noch der vorangegangenen Generation von Sidney Lumet, John Frankenheimer und Arthur Penn an, deren gesellschaftliches Bewusstsein beim Fernsehen geschärft wurde. Seine Karriere wird gern als eine Geschichte von Glanz, Hochmut und Niedergang erzählt. Meist lautet sie so: In den frühen 70er-Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Kreativität, gab er dem Kino mit The French Connection und The Exorcist (1973) neue Impulse, scheiterte bei Sorcerer (1977) an seinen eigenen Ambitionen, um sodann in der Blockbuster-Ära die Orientierung zu verlieren und verzweifelt sein Heil im Anknüpfen an einst erfolgreiche Erzählmodelle zu suchen.

Ein genauerer Blick auf Friedkins Werk ermutigt jedoch zu einer anderen, differenzierteren Lesart. Seine Karriere vollzieht sich in einem einmaligen Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Revision. Zugleich kennt sie überraschende Registerwechsel wie beispielsweise die hinreissende Gaunerkomödie The Brinkʼs Job (1978). Wäre sie heute zu Ende, würde sich seine Laufbahn wunderbar runden: Mit seiner jüngsten Arbeit (The Devil and Father Amorth, 2017) kehrt er zu seinen dokumentarischen Anfängen zurück; mit seinen letzten Spielfilmen Bug (2006) und Killer Joe (2011) schliesst sich der Kreis zu den lebendigen, kammerspielhaften Theateradaptionen The Birthday Party (1968) und The Boys in the Band (1970) − wobei er in den Dramen von Tracy Letts freilich auf ganz andere Formen von Bedrohung und Niedertracht stösst als einst bei Harold Pinter und Mart Crowley.
Die Verbindungen, die sich in seinem Werk knüpfen lassen, sind ohnehin weit komplexer, als es den Anschein hat. Dieser Regisseur wiederholt sich nicht, sondern verstrickt die einzelnen Filme in einen lebhaften Dialog. Oft antworten sie im Abstand mehrerer Jahre aufeinander. To Live and Die in L. A. (1985) beginnt exakt so, wie The French Connection endet: mit dem Entsichern und Abfeuern einer Schusswaffe im Off. Die Inszenierung der Verfolgungsjagden hingegen unterscheidet sich in beiden Filmen radikal; auch in Jade (1995) findet er eine weitere überraschende Variante für diese filmische Disziplin. In Cruising (1980) wiederum trägt er dem Wandel in der New Yorker Schwulenszene achtsam Rechnung, die im Jahrzehnt nach The Boys in the Band an offensivem Selbstbewusstsein gewonnen hat. Friedkins System der Neubestimmung schliesst auch ideologische Kehrtwenden ein: Zwischen The People vs. Paul Crump (1962), seinem ersten im Kino gezeigten Film, und Rampage (1987) ändert er seine Haltung zur Todesstrafe.

Verbürgte Fiktion
Die Ambivalenz ist keine Prämisse seines Kinos, sondern dessen Resultat. Es beschreibt Suchbewegungen. Ebenso wie seine Charaktere sucht er die Konfrontation mit dem Anderen, dem Fremden. Er begibt sich auf unbekannte Terrains, die studiert werden wollen. Friedkin muss genau wissen, wie die Welten funktionieren, in die er sich begibt: Wie lässt sich die Reinheit von Heroin testen? Welchem Ritual folgt die Austreibung eines Dämons? Wie macht man einen heillos verrosteten Lastwagen wieder so fahrtüchtig, dass er einen Sprengstoff-Transport durch unwägbare Wildnis übersteht? Welchen Codes gehorcht das Cruising? Wie druckt man Falschgeld, damit es täuschend echt aussieht? In der neugierigen, akribischen Inszenierung ihres Handwerks stellt Friedkin auch zu seinen unsympathischsten Figuren eine erstaunliche Nähe her.
Seine Filme sind stolze Triumphe der Recherche; selbst für die haarsträubendsten Szenen in The Exorcist beruft sich Friedkin auf Berichte von Augenzeugen. Seine Polizeifilme beruhen oft auf realen Geschehnissen. Häufig wirken Beteiligte als Berater oder Nebendarsteller mit, und er dreht an Realschauplätzen; New York, Los Angeles oder San Francisco sehen bei ihm entschieden anders aus als sonst im US-Kino. Historische Epochen wie die Anfänge des Vaudeville in Amerika (The Night They Raided Minsky’s, 1968) oder das Boston der 1950er-Jahre (The Brinkʼs Job) rekonstruiert er mit grosser Detailliebe.
Für derlei gelungene filmische Aneignungen kann man natürlich seine Lehrjahre als Dokumentarist verantwortlich machen. Aber die Mehrdeutigkeit ist bei ihm auch eine ästhetische Kategorie. The People vs. Paul Crump einen Dokumentarfilm zu nennen, führt auf faszinierende Weise in die Irre. Hier ist die Wirklichkeit mit einer interpretierenden Verve nachinszeniert, die bereits die Zielstrebigkeit des Spielfilmregisseurs verrät, für den jede Geste, jedes Wort und jeder Blick bezeichnend sein müssen. Sein filmischer Elan zielt auf die Verknüpfung des Disparaten. Oft durchkreuzt bei ihm die suggestive Tondramaturgie den Augenschein, in dem sie Stimmen und Geräusche moduliert, überblendet oder verfremdet: Sie dringt geradewegs in den Kopf der Figuren ein. Die Realität wird brüchig, öffnet sich für weitere Bedeutungsebenen, offenbart auch mythische Unterströme.
Der schockierendste Moment von The Exorcist hat nichts mit Spezialeffekten zu tun. Es ist der Augenblick, in dem der Dämon den jungen Priester Karras auf den Tod seiner Mutter anspricht und damit den Kern seiner Existenz trifft: das Gefühl der Schuld, von dem er sich nie wird befreien können. Das Andere, mit dem Friedkins Protagonisten konfrontiert werden, liefert die Antwort auf die eigenen, verdrängten Fragen. Beruhigend ist sie nie.
Gerhard Midding

Gerhard Midding arbeitet als freier Filmjournalist in Berlin.