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5th Arab Film Festival Zurich

Der Filmpodium-Programmpass (19.11.–31.12.2020) ist auch Ihr Festivalpass! Erhältlich für CHF 60.– an der Kinokasse.

Seit 2012 bietet das Arab Film Festival Zurich alle zwei Jahre die Gelegenheit zu interkulturellen Begegnungen zwischen dem hiesigen Publikum und dem vielfältigen arabischen Filmschaffen sowie seinen Vertreterinnen und Vertretern. In der 5. Ausgabe soll das nicht anders sein – nur eben unter Einhaltung der Covid-19-Schutzmassnahmen.

Festivaltrailer

«Schau dich doch um, die Welt verändert sich gerade», fordert Lena ihre Cousine in Sofia (2018) auf, einem der 36 Festivalfilme des 5th Arab Film Festival Zurich. Lenas Blick auf die Gegenwart ist stellvertretend für eine junge Generation arabischer Filmschaffender, die sich einmischt in der Hoffnung auf politische Teilhabe, gesellschaftliche Reformen und friedliche Veränderung, das heisst auch in der Hoffnung auf eine Zukunft in ihrer arabischen Heimat. Doch die Welt ändert sich nicht so schnell: Tradierte Geschlechterverhältnisse, veraltete Gesetze und ein korrupter Staatsapparat sind nur einige der Hindernisse, mit denen viele der Filmfiguren zu kämpfen haben – mal berührend, oft verzweifelt, aber auch humorvoll schlitzohrig. Die bunte Mischung der Festivalfilme kann sinnbildlich stehen für die arabische Welt, die ausgesprochen facettenreich ist und die sich kennenzulernen lohnt. Ägypten, Algerien, Irak, Libanon, Marokko, Palästina, Saudi-Arabien, Syrien und Tunesien – aus diesen unterschiedlichen arabischen Ländern präsentiert das Filmpodium in Zusammenarbeit mit dem Verein International Arab Film Festival Zurich IAFFZ eine breite Palette verschiedenster Genres, von Dokumentationen über Spielfilme und experimentierfreudige Kurzfilme bis zu Klassikern der Filmgeschichte, die auf der grossen Leinwand nur mehr selten zu sehen sind.

Tunesien: Zwischen Tradition und Aufbruch
Podiumsdiskussionen sind auch in dieser fünften Ausgabe des Festivals fester Bestandteil des Programms. Filmschaffende und Fachleute diskutieren über das arabische Kino und dessen spezifische Bedingungen in Tunesien und Marokko, den beiden diesjährigen Länderschwerpunkten.
Beide Länder können zurückblicken auf eine spannende Filmgeschichte, die zwar geprägt ist von der Übermacht der ägyptischen Filmindustrie, aber gleichzeitig auch die eigenen künstlerischen Autonomiebewegungen spiegelt. Das Filmschaffen Tunesiens wird am Festival mit Filmen präsentiert, die Schlaglichter auf das gesellschaftliche Klima des nordafrikanischen Staates werfen, der zwischen Tradition und Aufbruch schwankt. Die Werke stehen beispielhaft für ein neues tunesisches Kino, das sich mit einigen Jahren Abstand die Frage stellt, was eigentlich von den Errungenschaften des Arabischen Frühlings geblieben ist. Die Familie, Sinnbild der repressiven Strukturen innerhalb der Gesellschaft, wird gleichzeitig zur Allegorie des Widerstands, etwa in Fatma Riahis Dokumentarfilm A Haunted Past (2018), der die Geschichte einer zerrissenen Familie erzählt. Die Kamera ist stets nah bei den Hauptfiguren und begleitet sie in ihrem Alltag bei der Olivenernte oder der täglichen Hausarbeit. Die puzzleartige Dokumentation setzt die Einzelteile einer Odyssee zusammen und wirft Fragen nach Schuld und Sühne auf anhand dieser Familie, die in die Mühlen der Politik geraten und zerbrochen ist. Regarde-moi / Look at Me (2018) von Néjib Belkadhi kreist ebenfalls um den Nukleus Familie und handelt vordergründig von einem schwierigen Vater-Sohn-Verhältnis, stellt damit aber sehr subtil die Frage, wie tief die eigenen Wurzeln reichen, wenn man sich für die Diaspora entschieden hat. Die grosse poetische Erzähltradition Tunesiens wird zudem in der Aufführung zweier Klassiker deutlich: Nacer Khemir schuf 1991 mit Das verlorene Halsband der Taube eine betörend schöne Version märchenhafter Fabeln über die Liebe. Basierend auf dem mittelalterlichen Buch von Ibn Hazm, ist der Film nicht nur ein Lehrstück arabischer Erzählkunst, sondern auch eine filmische Form der Kalligrafie. Mit La saison des hommes (2000) der Regisseurin Moufida Tlatli zeigt das Festival einen modernen Klassiker, der die Leben von Frauen aus drei Generationen ineinander verwebt. Die Kraft des Kinos lässt sich hier in einem Film mit einer ganz eigenen Erzählzeit erleben.

Marokko: Filmland mit verkannter Eigenproduktion
Obwohl sich in Marokko rund um die Wüstenstädte Ouarzazate und Aït-Ben-Haddou eine grosse Filmindustrie angesiedelt hat, die das internationale Filmschaffen bedient, werden Produktionen aus dem afrikanischen Land vom Rest der Welt oft übersehen. Zu Unrecht, wie die Auswahl an Kurz- und Langfilmen für den zweiten Länderschwerpunkt des Festivals beweist. Die Präsenz ausländischer Filmstudios und der nachhaltige Aufbau von Filmschulen haben eine Generation von Filmschaffenden heranreifen lassen, die sich kreativ mit dem Wandel Marokkos vom einstigen Spielball der Kolonialmächte hin zu einem unabhängigen Land mit wachsendem Industrie- und Dienstleistungssektor befasst.
So setzt der Dokumentarfilmer und Videokünstler Ali Essafi in Before the Dying of the Light aka Our Dark 70s (2019) an einem zentralen Punkt der postkolonialen marokkanischen Geschichte an, indem er das erste Aufbegehren von Kunstschaffenden in den 1970er-Jahren thematisiert. Brüche zwischen Tradition und Moderne, Mystik und Magie spielen für das Kino Marokkos eine grosse Rolle, oft verweben die Geschichten archetypische Figuren wie in Mohamed Zineddaines Spielfilm The Healer (2018) oder fragen nach einer marokkanischen Identität und der Rolle der Frau. Meryem Benm’Barek-Aloïsi zeigt dies in ihrem preisgekrönten Erstling Sofia eindrücklich und schliesst damit nahtlos an Farida Benlyazids Klassiker Bab Al-Sama Maftuh / Une porte sur le ciel von 1989 an, den das Festival ebenfalls zeigt. Benlyazid wird in den Geschichtsbüchern als erste Regisseurin Marokkos aufgeführt; ihre Filme haben dem Land grosse internationale Beachtung eingebracht und, wie die jüngeren starken Frauenperspektiven des Festivals zeigen, auch als Wegweiser für die nächste Generation von Filmerinnen gedient.

Auftakt mit wehmütiger Rückschau
Ungeahnte Aktualität erfährt der libanesische Film Good Morning von Bahij Hojeij, der das Festival am 19. November eröffnen wird. 2018 gedreht, zeigt er die belebten Strassen Beiruts, die von zwei älteren Herren – einem 78-jährigen ehemaligen General und seinem 81-jährigen Freund, der als Militärarzt diente – bei ihrem täglichen Treffen vom Fenster eines belebten Cafés aus beobachtet werden. Die Rückschau auf das Leben der beiden Freunde und ihre in bezaubernden Miniaturen festgehaltenen Gegenwartsanalysen sind nach dem tragischen Explosionsunglück am Beiruter Hafen auch ein wehmütiger Blick auf eine Stadt, die es so nicht mehr gibt.
15 Langfilme der letzten zwei Jahre (sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme), drei Klassiker und 18 Kurzfilme können während des Festivals entdeckt werden. Zum ersten Mal werden die neuen Langfilme im Rahmen eines Wettbewerbs gezeigt. Eine dreiköpfige Jury – die sich zusammensetzt aus der Kuratorin Rasha Salti, der Filmjournalistin Catherine Silberschmidt und der Filmemacherin Yasmine Chouikh – wird am 29. November die Preisträgerinnen und Preisträger in den Kategorien «Bester Film» und «Beste Regie» mit einer eigens dafür geschaffenen Trophäe küren. Der starke Jahrgang des 5th Arab Film Festival Zurich dürfte dem Gremium die Entscheidung nicht einfach machen.
Evelyn Echle

Evelyn Echle ist seit 2019 Professorin für Kultur- und Medientheorie an der Hochschule Pforzheim. Während ihrer Promotions- und Lehrzeit in Zürich (UZH und ETH) war sie bei mehreren Ausgaben des Arab Film Festival für die Podiumsdiskussionen und das medienpädagogische Begleitprogramm verantwortlich.