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The Story of Film: An Odyssey: Episoden 1–3 (1895–1932)

Der nordirische Dokumentarfilmer und Autor Mark Cousins beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit den unterschiedlichsten Aspekten des Kinos. In The Story of Film: An Odyssey (2011) erzählt er in 17 einstündigen Episoden chronologisch die Filmgeschichte nach, den Kern bilden dabei kommentierte Filmausschnitte und Interviews mit verschiedenen Filmgrössen und Schauspielern. Mit seinen präzisen Beobachtungen und umfangreichen Analysen schafft es Cousins, unseren Blick auf die 125-jährige Filmgeschichte zu schärfen.
In den kommenden Programmen zeigen wir zu jeder (unabhängig funktionierenden) Episode jeweils eine Auswahl der vorgestellten Filme. In diesem Programm decken die ersten drei Episoden der Serie die Jahre 1895–1932 ab.
English text below


Liebe Filmpodium-Cinephile

Dies ist die Geschichte einer grenzenlosen Liebe.
Es gibt im Moment so viel, worüber man nachdenken kann, nicht wahr? Die Pandemie hat Aspekte unseres Lebens verändert. Das 21. Jahrhundert ist bislang ein steiniger Weg. Warum also sollten wir – Sie – es für nötig halten, die Geschichte von etwas – dem Kino – anzusehen, das im 19. Jahrhundert geboren wurde?
Weil das eine grossartige Geschichte ist. Kinogeschichte ist visuell, unvorhersehbar, handelt von vergangenen Zeiten und ist daher angenehm eskapistisch. Aber sie geht auch weiter, sodass sie für Sie in Zürich und der Schweiz gerade jetzt relevant ist, ebenso wie für mich in Edinburgh, Schottland, wo ich diese Worte tippe.
Ich habe mich in den späten 70er-Jahren in Belfast, Nordirland, in Filme verliebt. Das war eine von Konflikten geprägte Gesellschaft, und als nervöser kleiner Junge zitterte ich wie Espenlaub. Aber das Zittern hörte auf, wenn im Kino die Lichter ausgingen und sich die Ausblicke öffneten. Auf der Grossleinwand sah ich Abenteuer, Städte, Moral, Helden, Design, Geschichte und Sexualität. Ich dachte keinen Augenblick daran, selbst einmal Kino zu machen, da meine Familie aus der Arbeiterklasse stammte und keinen Zugang zu Kultur hatte, aber ich kann sagen, dass ich in gewisser Weise den Filmen ähnlich war. Ich war jung, verträumt und konnte mit visuellen Dingen besser umgehen als mit Worten, und so war es auch mit der Kunstform, in die ich mich verliebte.
Es war eine komplexe Liebe. Während ich aufwuchs und mir mehr Filme ansah, bemerkte ich allmählich die Plattitüden, Formeln und Ausgrenzungen im Kino. Einige der besten Cineastinnen und Cineasten, etwa der Japaner Shohei Imamura und die Russin Kira Muratowa, waren innovativ und kühn, und doch wurden ihre Filme nur selten gezeigt, zumindest in Europa oder der englischsprachigen Welt. Sie wurden diskriminiert.
Das hat mich erzürnt, aber auch – wie ich zugeben muss – ein bisschen begeistert. Ich war inzwischen in meinen 30ern, aber ich fragte mich, ob ich die Geschichte des Films anders neu erzählen könnte, auf eine Art und Weise, die sich nicht so sehr auf Oscars und Kassenerfolge konzentrierte, sondern vielmehr Imamura und Muratowa ihren rechtmässigen Platz zurückgab?
Leicht beklommen entschied ich, dass ich das versuchen könnte. Warum nicht? Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Ich könnte eine lausige Geschichte des Kinos machen, und die Leute würden mich auslachen. Na und?
Also fing ich an. Ich schrieb «The Story of Film» zuerst als Buch, dann machte ich daraus einen langen Film. Meine Prinzipien waren, dass mein Werk feministisch und global sein und von Innovation handeln sollte. Vor allem die Innovation sollte das Rückgrat meiner Geschichte sein. Ich würde mich kaum mit der geschäftlichen Seite des Kinos befassen – unsere Zeitungen berichten regelmässig über Einspielergebnisse, über Netflix und Amazon Prime (wobei ich lange vor deren Aufkommen geschrieben habe). Stattdessen würde ich fragen, welche Filmeschaffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt neue Geschichten erzählten, neue Arten von Aufnahmen oder Schnitten machten oder Ton und Musik originell einsetzten. Mit anderen Worten: Ich erzählte eine Geschichte darüber, wie das Kino schöpferisch funktioniert und nicht kommerziell.
Das nahm einige Jahre in Anspruch, und dabei lernte ich viele Filmgrössen kennen: Stanley Donen, der bei Singin' in the Rain Regie führte; Jane Campion; Kyoko Kagawa, die im japanischen Meisterwerk Tokyo Story mitspielte; den Zauberer des choreografischen Kinos von Hongkong, Yuen Woo-Ping; den vielleicht berühmtesten Filmstar von allen, den Inder Amitabh Bachchan; Claudia Cardinale usw. Und ich besuchte viele der grossen Filmstudios, Filmschulen und Drehorte der Welt – in China, Mumbai, Senegal, Hollywood, Paris, London, Iran, Moskau, Tokio und anderswo.
Unser Budget war klein und der Dreh- und Schnittplan war anstrengend, aber ich hatte einen tollen Produzenten, John Archer, und einen tollen Cutter, Timo Langer. Mit einigem Ringen verliehen wir unserer Geschichte eine Form. Oder, um eine bessere Metapher zu verwenden: Wir legten das Fundament und bauten dann langsam das Haus.
Am Ende eines solchen Baus ist man müde und kann nicht einschätzen, was man gemacht hat. Als wir dann aber The Story of Film zur Weltpremiere brachten, bemerkten wir an einigen heftigen Reaktionen, dass der Film eine Art Affinität oder ein Zugehörigkeitsgefühl auslöste. Aus einiger Distanz kann ich nun sehen, dass er zugänglich ist, geradezu einladend. Ich habe in meinem Drehbuch keinen Jargon oder unnötige theoretische Begriffe verwendet. Und ich kann sehen, dass er eine Art Liebesbrief an das Kino ist, diese grenzenlose, androgyne, abweichende Kunstform der Menschen. Liebe den Film, hasse die Diskriminierung.
Wie zum Beweis für seine Grenzenlosigkeit ist The Story of Film um die Welt gegangen. Er ist in Filmschulen und Kinematheken auf den meisten Kontinenten begrüsst worden. Die Leute sehen ihn sich in 20-Minuten-Tranchen im Bett an und in Wochenend-Marathons. Ich werde oft gefragt, warum ich in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird, ein so langes Werk gemacht habe, denn die Leute sehen sich am liebsten einen YouTube-Clip von einem Schlitten fahrenden Hund an. Mir gefallen solche Clips (und ich glaube, Gene Kelly hätten sie ebenso gefallen!), aber ich weiss auch, dass der Mensch für längere Geschichten gebaut ist. Wir wollen uns in ihnen verlieren, in ihrer Entwicklung, in ihrer Breite und Tiefe, in ihren Strömungen und Strudeln. Wenn wir das tun, spüren wir das breitere Feld unseres kulturellen Lebens. Wir lassen uns auf ein Roadmovie ein. Und beginnen, uns erneuert zu fühlen.
Ich hoffe, The Story of Film gefällt Ihnen, liebe Mit-Filmfreunde. Ich hoffe, Sie geniessen seine Grenzenlosigkeit. Einen Reisepass brauchen Sie nicht.

In cinephiler Freundschaft,
Mark Cousins


Dear Filmpodium movie lovers.

This is a story about borderless love.
There’s so much to think about at the moment, isn’t there? The pandemic has changed aspects of our lives. The 21st Century has been a rocky road. So why should we – you -bother watching a history of something – cinema – born in the 19th Century?
Because it’s a great story. Cinema history is visual, unpredictable, about previous times and, therefore, pleasurably escapist. But it is also ongoing, so it’s relevant to you in Zurich and Switzerland right now, and to me in Edinburgh, Scotland, where I’m typing these words.
I fell in love with movies in Belfast, Northern Ireland, in the late 70s. It was a society in conflict and, as a nervy wee boy, I trembled like a leaf. But the trembling stopped in a cinema, when the lights went down and the vistas opened. On the big screen I saw adventure, cities, morality, heroes, design, history and sexuality. I never thought for a moment that I’d make cinema, as my family was working class with no access to culture, but I can tell that I was like movies in some way. I was young, dreamy and better at visual things than words and so was the art form with which I was falling in love.
It was a complex love. As I grew up and watched more movies, I started to notice the platitudes, formulae and exclusions in cinema. Some of the very best directors, such as Japan’s Imamura Shohei and Russia’s Kira Muratova, were innovative and daring and yet their films were seldom shown, in Europe or the English-speaking world at least. They were discriminated against. This angered me, but also – I must admit – excited me a bit. I was in my 30s by this stage, but I wondered if I could retell the story of film in a different way, in a way that didn’t focus much on Oscars and box office but instead restored Imamura and Muratova to their rightful places?
With some trepidation, I decided that yes, I could give it a go. Why not? What’s the worst thing that could happen? I could make a rubbish history of cinema, and people would laugh at me. But so what?
So I began. I wrote The Story of Film as a book first, then made it into a long film. My principles were that it had to be feminist, global and about innovation. Innovation in particular would be the backbone of my story. I wouldn’t much look at the business side of cinema – our newspapers regularly carry reports of box office, of Netflix and Amazon Prime (though I was writing long before them). Instead I would ask which filmmakers at any one time were telling new stories, making new kinds of shots or cuts, or using sound and music originally. In other words I was telling a story of how cinema works imaginatively rather than commercially.
It took some years to do this and, in the process, I met many of the movie greats: Stanley Donen, who directed Singin’ in the Rain; Jane Campion; Kyoko Kagawa, who was in Japanese masterpiece Tokyo Story; the wizard of Hong Kong choreographic cinemas, Yuen woo-ping; perhaps the most famous movie star of them all, India’s Amitabh Bachchan; Claudia Cardinale, etc. And I visited many of the world’s great movie studios, film schools and locations – in China, Mumbai, Senegal, Hollywood, Paris, London, Iran, Moscow, Tokyo and elsewhere. Our budget was low and the shooting and editing schedule was exhausting, but I had a great producer, John Archer, and editor, Timo Langer. We wrestled our story into shape. Or, to use a better metaphor, we laid the foundations, then slowly built the house.
At the end of such a build, you are tired, and can’t assess what you’ve done. But as we world premiered The Story of Film, we started to notice some strong reactions, a kind of affinity or sense of belonging that it engendered. From some distance I can now see that it is accessible, welcoming you could say. I used no jargon or unnecessary theoretical words in my script. And I can see that it is a kind of love letter to cinema, this borderless, androgynous, discrepant art form of the people. Love film, hate discrimination.
As if to prove its borderlessness, The Story of Film has gone around the world. It has been welcomed in film schools and cinematheques on most continents. People watch it in bed in 20 minute chunks, and in weekend marathons. I’ve often been asked why I made such a long piece of work in an era when attention spans have reduced, that what people most want is a youtube clip of a dog sledging. I like such clips (and I think Gene Kelly would too!), but I also know that human beings are hard-wired for longer stories. We want to get lost in them, their unravelling, their width and depth, their currents and eddies. To do so is to feel the broader terrain of our cultural lives. To set off on a road movie. To start to feel renewed.
I hope you like The Story of Film, fellow movie lovers. I hope you enjoy its borderlessness. No passport required.
In cinephile friendship,

Mark Cousins
Writer-director-DP

Mark Cousins, nordirischer Autor, Regisseur und Kameramann, lebt und arbeitet in Edinburgh.

Zusatzinformationen: Die Episoden 1–3 von The Story of Film: An Odyssey werden sowohl einzeln als auch im Doppelpack gezeigt.