Penélope Cruz: La reina de nuestros ojos
Vergangenes Jahr wurde sie bei den Filmfestspielen in Venedig nicht nur für ihre Leistung in Almodóvars Madres paralelas als beste Schauspielerin ausgezeichnet; sie sorgte am Festival auch in der Satire Competencia oficial für Aufsehen. Und bewies damit einmal mehr und en passant, dass sie Drama wie Komödie gleichermassen mühelos beherrscht. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Penélope Cruz vor allem wegen ihrer Schönheit wahrgenommen wurde. Grund genug, Schlaglichter auf eine Karriere zu werfen, deren eindrucksvollste Stationen abseits von Hollywood liegen und die mit vielfältigen Highlights der europäischen Filmkunst aufwarten kann, von Bigas Lunas Jamón, Jamón (1992) bis zur Vorpremiere von Competencia oficial (2021).
Ein fröhliches Hochzeitsfest hätte es werden sollen. Doch dann verschwindet in der Nacht Lauras Tochter Irene und bald ist klar, dass es sich um eine Entführung handelt. Aschfahl ist Laura vor lauter Sorge und Verzweiflung; ihr Kummer ist im ganzen Körper sichtbar: als Anspannung in ihrem Gesicht, als Last auf ihren Schultern, als Geistesabwesenheit in ihren Augen und als Ratlosigkeit in ihren Bewegungen. Sie weiss nicht, was sie tun soll, und zugleich ist sie zu allem bereit und fähig – von diesem Widerspruch wird diese Mutterfigur regelrecht zerrissen, während sie das Minenfeld navigiert, als das sich die Familie einmal mehr erweist.
Es ist eine komplexe Darbietung, die Penélope Cruz in der Rolle der Laura unter der Regie von Asghar Farhadi in Everybody Knows (Todos lo saben, 2018) zeigt. Nicht, dass es das erste Mal wäre, dass Cruz’ Schauspielkunst ihre Attraktivität etwas in den Hintergrund treten lässt. Selten zuvor aber in einen derart tiefen Schatten. Was möglicherweise dem Umstand geschuldet ist, dass Cruz hier an der Seite ihres Ehemannes Javier Bardem spielt. Es ist schön und auch ein bisschen unheimlich, die beiden Seite an Seite agieren zu sehen, bringen sie in den vertrauten Umgang ihrer Figuren, die in der Vergangenheit eine tiefe Liebe verband, doch die authentische Nähe einer realen Beziehung ein. Und diese Nähe braucht eben auch nicht den kleinsten glamourösen Funken.
Schönheit und Tiefgang
Wer Augen im Kopf hat, sieht, dass Penélope Cruz schön ist. Grosse Augen, sinnlicher Mund, kurvig, ohne geradezu üppig zu wirken, leicht entflammbares Temperament – auf den ersten Blick entspricht sie perfekt dem Klischeebild der feurigen spanischen Señorita. Aber eben nur auf den ersten. Auf den zweiten schon wohnt ihrer Schönheit etwas irritierend Flirrendes inne, flackern Klugheit, Selbstbestimmtheit, Unberechenbarkeit auf, sind Verletzlichkeit und Empfindsamkeit zu erkennen, ebenso Genussfreude und Sinnlichkeit. Da hat eine Frau nicht nur Lust am Leben, da hat eine vor allem Lust am Leben als Frau; eine wie sie lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen, schon gar nicht von den Männern. Auch wenn die ihr natürlich immer zu Füssen liegen und sich zum Narren machen.
Als Projektionsfigur, die um ihre eigene Wirklichkeit kämpft, ist sie daher in Elegy, Isabel Coixets Verfilmung von Philip Roths Roman «The Dying Animal», geradezu ideal besetzt. Cruz spielt hier die Literaturstudentin Consuela, die sich in einen um einige Jahrzehnte älteren Professor verliebt, der wiederum aus Angst vor der angenommen unausweichlichen Trennung für das Scheitern der Beziehung sorgt. Der beste Freund des Professors hat eine Theorie zu schönen Frauen: «No one can see them», sagt er; also: erkennen. Es gibt eine Szene in diesem Film, in der Consuela mit schmerzlicher Entschlossenheit ihre Brust enthüllt. Hier sorgt Cruz dafür, dass wir sie erkennen. Wir sind Zeuginnen und Zeugen eines ungeheuer privaten Moments und sehen gleichzeitig die bildhafte Verdichtung eines Ausbeutungsverhältnisses. Und wir sehen darüber hinaus eine mutige Frau, die nicht nur ihren Busen blosslegt, sondern auch die Übergriffigkeit des «male gaze».
In Interviews kann Penélope Cruz recht ungeduldig werden, wenn wieder mal ein Journalist über ihr Aussehen sprechen will. Sie sei kein Opfer von Besetzungsschubladen, sagt sie, und verwehrt sich gegen Überlegungen, ihr Äusseres könne möglicherweise ihre Rollenauswahl beschränken. Die Sache mit dem guten Aussehen ist ja ein zweischneidiges Schwert. Jede und jeder erblickt gerne eine schöne Frau, sehr viel weniger allerdings wird diese dann auch ernst genommen. (Das trifft im Übrigen auch auf schöne Männer zu wie etwa Brad Pitt oder Leonardo DiCaprio.)
Cruz hat diesen Stier von Anfang an bei den Hörnern gepackt und die sexy Ladies, die sich in ihrer Filmografie unvermeidlich finden, immer mit genügend Tiefgang ausgestattet, um sie vor der Typecasting-Falle zu retten. Weitestgehend jedenfalls, wobei man konstatieren muss, dass vor allem jene Filme, die sie in den USA drehte, zu den schwächeren zählen. Was zweifellos damit zusammenhängt, dass die Hollywood’sche Filmindustrie mittlerweile zu einem einzigen Stereotypen- und Schablonenzirkus verkommen ist. Die im Filmpodium gezeigte Auswahl präsentiert daher Cruz’ ernst(er) zu nehmende, unabhängig produzierte, überwiegend europäische Arthouse-Arbeiten.
Karriere und Familie
Geboren wird Penélope Cruz Sánchez am 28. April 1974 als Tochter eines Automechanikers und einer Friseurin in einem Vorort von Madrid. Zur Bühne drängt es sie bereits von Kindesbeinen an; sie absolviert eine Ausbildung als klassische Balletttänzerin; 1989 gewinnt sie den Talentwettbewerb einer Künstleragentur und wird unter Vertrag genommen; Auftritte in Werbespots und Fernsehserien folgen, erste Filmrollen lassen nicht lange auf sich warten. Ihr Spielfilmdebüt gibt die 18-Jährige 1992 als «la hija de puta» (die Tochter der Hure) in Jamón Jamón des eigensinnigen spanischen Auteurs Bigas Luna. Cruz’ unausweichliche Erotik betört schon da Javier Bardem – auch er in einer seiner ersten Rollen als Unterhosenmodell, das von einer Karriere als Stierkämpfer träumt. Ein Liebespaar werden sie damals nur auf der Leinwand und auch das nur ganz kurz. Erst bei der gemeinsamen Arbeit an Woody Allens Vicky Cristina Barcelona (2008) funkt es, und zwar richtig. Cruz erhält für ihre Darstellung der verlassenen Frau des von Bardem verkörperten Protagonisten den Oscar als beste Nebendarstellerin. Verheiratet sind die beiden seit 2010, sie haben zwei Kinder; äussere Umstände – Muttersein, Familienleben –, die sich inzwischen immer mal wieder auch in Cruz’ Rollenauswahl und -konzeption niederschlagen.
Aktuell in dem mediokren Actioner The 355 (Simon Kinberg, 2022), in dem Cruz als Familienmutter agiert und als Agentin wider Willen dem drögen Geschehen immerhin ein paar interessante Momente abringt. Kürzlich, und ungleich bewegender und relevanter, in Madres paralelas, Pedro Almodóvars überraschend gelingender Mischung von prallsattem Melodram und gesellschaftspolitischer Agenda. Für ihre Darstellung der ungeplant Mutter gewordenen Janis, die mit vielerlei Verlust fertig werden muss, wurde Cruz im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig mit der Coppa Volpi als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Zu den «chicas Almodóvar», den sogenannten «Almodóvar-Mädels» – zu denen unter anderen Carmen Maura, Victoria Abril, Rossy de Palma und Marisa Paredes zählen –, stiess Cruz 1997 in Carne trémula; Madres paralelas ist ihre mittlerweile siebte Zusammenarbeit mit dem Cineasten, der oft allzu verkürzend als «Frauen-Regisseur» apostrophiert wird. Penélope Cruz ihrerseits fährt damit fort, nicht nur in Almodóvars Filmen die Grenzen jener Klischees zu pulverisieren, die die Darstellung von Frauenfiguren beengen. Zuletzt in der Rolle der exzentrischen Autorenfilmerin Lola, die in Competencia oficial (Mariano Cohn, Gastón Duprat, 2021) zwei eitlen, alternden Schauspielstars zeigt, wo’s langgeht. Wir folgen gerne!
Alexandra Seitz
Alexandra Seitz, geboren in München, lebt in Berlin, manchmal auch in Wien. Freie Filmkritikerin, Autorin von Essays, Buchbeiträgen und Büchern, Redakteurin des Viennale-Pocketguides.