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Angelina Maccarone

Die in Deutschland geborene Regisseurin Angelina Maccarone macht in ihren eindrucksvollen Filmen nicht nur lesbische Liebe sichtbar, sondern kreiert und porträtiert auch starke, zeitlose Figuren. Pink Apple verleiht ihr für ihre Verdienste im queeren Filmschaffen den Festival Award 2022. Der Blick – auf eine Person, eine Geschichte, die Leinwand – ist als inhärentes Element des Films unabdingbar. Doch die Art, wie wir Filme schauen, kann äusserst unterschiedliche Facetten annehmen. Angelina Maccarone selbst sagt, es sei unter anderem diese Ambiguität eines Blicks, die sie interessiere: Aktiv und passiv, beobachtend und beobachtet bewegen wir uns durch die Welt. Entsprechend befasst sie sich in ihrem aufwendigen Dokumentarfilm The Look (2011) über neun thematische Kapitel hinweg mit dem Leben und Schaffen der Schauspielerin Charlotte Rampling aus unterschiedlichen Perspektiven. Entstanden ist der Film während dreieinhalb Jahren im Austausch mit der Protagonistin und immer auch mit dem Publikum im Hinterkopf: «Ich bin ja letztlich auch eine Zuschauerin wie jede andere und sehe mir Dinge nicht nur aus der filmisch-künstlerischen Perspektive an», so Maccarone.

Starke Frauen, starke Geschichten
Auch in ihren anderen Filmen stellt Maccarone beeindruckende Frauen ins Zentrum und zeigt die Handlung aus deren Blickwinkel. Mit ihrem Debütfilm Kommt Mausi raus?! (1994), der ein Jahr nach seinem Erscheinen zu bester Sendezeit auf ARD ausgestrahlt wurde, machte sie das Thema Coming-out einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Die Hauptfigur Kati bekennt sich langsam zur eigenen Identität und weist Charakterzüge auf, die sich auch in den Protagonistinnen darauffolgender Werke Maccarones wiederfinden. Schlagfertige, durchsetzungsstarke und einfühlsame Frauen begleiten wir denn auch in Alles wird gut (1998), Maccarones erstem Kinofilm, der gesellschaftskritische Gedanken mit einer herzerwärmenden Liebesgeschichte verwebt. Mit afrodeutschen Schauspieler:innen in den Hauptrollen wird auf allgegenwärtigen Rassismus aufmerksam gemacht, wobei die Figuren immer eine aktive Rolle einnehmen und schliesslich die Oberhand behalten.
In ihrem 2005 erschienenen Film Fremde Haut erzählt Maccarone die Geschichte der aus dem Iran geflüchteten Übersetzerin Fariba (Jasmin Tabatabai), die sich in ihrer Verzweiflung als Mann ausgibt und sich in der deutschen Provinz durchschlägt. Wo Identität schon in vorangehenden Filmen ein wichtiges Thema war, wird sie hier anhand zentraler Fragen verhandelt: Wie setzt sich Identität zusammen? Wie definieren wir Männlichkeit und Weiblichkeit? Auch hier ist stets die Perspektive klar, aus der die Geschichte erzählt wird: Ungeschönt wird die oftmals harte Realität von Asylsuchenden und illegalen Arbeiter:innen dargestellt und diese Seite von Deutschland mit kritischem Auge betrachtet. Für diesen bedeutsamen Film erhielt Maccarone 2005 den Hessischen Filmpreis.
Trotz wiederkehrender Elemente lässt sich Angelina Maccarones Schaffen nicht in eine Schublade stecken. «Ich erzähle in erster Linie Geschichten, die mich interessieren», sagte sie in einem Interview. Dazu gehört auch die kontroverse Geschichte einer verheirateten Bewährungshelferin mittleren Alters, die sich auf eine sadomasochistische Beziehung mit dem 16-jährigen Jan einlässt. Als einziger in Schwarzweiss gehaltener Film in dieser Retrospektive stellt Verfolgt (2006) visuell ein besonderes Erlebnis dar: Intime Aufnahmen der Protagonist:innen lassen uns eng an den verhandelnden Blicken und den sich verändernden Dynamiken zwischen den involvierten Personen teilhaben. Etwas weniger intim, aber genauso packend ist das feministische Roadmovie Vivere (2007), das die Geschichten dreier unterschiedlicher, aber dennoch verbündeter Frauen erzählt. Angelina Maccarones Erzählweise ist stets einfühlsam und ehrlich, ohne aufdringlich zu sein.

Angelina Maccarone wurde 1965 in Puhlheim bei Köln geboren. Noch bevor sie im Filmbusiness Bekanntheit erlangte, schrieb sie erfolgreich Songtexte, u. a. für Udo Lindenberg. Eindrucksvolle Geschichten ersinnt sie heute vor allem als Drehbuchautorin, sowohl für ihre eigenen Filme als auch für TV-Reihen wie Tatort oder als Skript-Editorin für den 2020 erschienenen Dokumentarfilm Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien.
Detaillierte Einblicke in ihr Schaffen gibt Angelina Maccarone in der Master Class mit Marille Hahne am 29. April 2022 im Filmpodium.
Sina Früh

Sina Früh ist Anglistin, Filmwissenschaftlerin und Pädagogin. Sie ist seit 2020 künstlerische Koleiterin des queeren Filmfestivals Pink Apple.