50 Jahre Filmcoopi
«Es braucht eine Philosophie hinter allem»
50 Jahre Filmcoopi. 50 Jahre engagierte, leidenschaftliche, herausfordernde und «künstlerisch wertvolle Filme» für die Schweizer Kinos. Das wollen wir feiern! Mit einem grossen Jubiläumsprogramm, das wegweisende Filme, Publikumslieblinge und natürlich Werke von Filmschaffenden, die die Filmcoopi über viele Jahre begleitet haben, vereint. Zum Auftakt freuen wir uns über die Vorpremiere von François Ozons Peter von Kant mit Apéro und Gästen am 8. Juli. Am 24. August wollen wir gemeinsam mit der Filmcoopi in die Zukunft schauen und fragen bei einer Podiumsdiskussion nach Visionen, Perspektiven und Herausforderungen in Zeiten von Sofakino und Streamingdiensten.
Erst mal aber blicken mit Felix Hächler (66), Claudia Badoer (38) und Yves Blösche (37) Angehörige der ersten und der zweiten Filmcoopi-Generation im Interview mit Pascal Blum auf 50 bewegte und bewegende Jahre zurück.
Ich möchte mit euch über Enthusiasmus reden. Die Filmcooperative Zürich wurde 1972 in einer Zeit politischer Umwälzungen gegründet, heute ist der Filmverleih ein Player im Schweizer Kinomarkt. Kann man sich die Stimmung des Aufbruchs erhalten?
Felix Hächler: Schau nicht mich an, du musst die Jungen anschauen! Aber für mich kann ich die Frage mit Ja beantworten.
Yves Blösche: Ich für mich auch.
Claudia Badoer: Bei mir gilt das ebenfalls. Wenn wir an Krawall von Jürg Hassler von 1970 zurückdenken, den Film über die Globuskrawalle, dann gibt es solche engagierten Haltungen heute immer noch. Ich denke zum Beispiel an den Dokumentarfilm Demain über eine ökologischere Zukunft oder Die göttliche Ordnung. Gerade weil diese Filme den Zeitgeist treffen, motiviert mich die Arbeit.
Felix Hächler: Man vergisst leicht, was für ein politischer Verein die Filmcoopi in den Anfängen war. Im Keller gab es diese Lotta-Continua-Filme, alles Traktate, das konnte man sich nicht ansehen. Auch deshalb war Krawall ein Highlight. Das war ein Film mit politischer Message. Aber einer, der immer noch ein Film ist.
Am Anfang wollte die Filmcooperative «künstlerisch wertvolle Filme» ins Programm nehmen. Habt ihr das Motto immer noch im Kopf?
Y: Der Slogan gilt immer noch. Wir reden permanent darüber, ob ein Film einen Anspruch hat und ob er mehr ist als blosse Unterhaltung.
F: Ganz am Anfang hat die Filmcoopi mit Kaiseraugst über den Protest gegen den Bau des Atomkraftwerks 1975 selber einen Film produziert. Das war ja auch ein Signal, um zu zeigen: Wir sind widerständig. Und das noch mit Erfolg! Wir können uns die Begeisterung erhalten, weil wir die Filme selber auswählen. Es sind Einzelstücke. Und wir sind nicht abhängig von einem Anbieter, der uns Filme im Paket verkauft.
Was heisst «künstlerisch wertvoll» heute?
Y: Wenn ein Film die Gesellschaft spiegelt und relevant wird. Das kann man auf verschiedenen Ebenen anschauen. Wie ist der Film gemacht, wie ist er gespielt? Und dann inhaltlich. Was erzählt er? Wie äussert sich die Kreativität von Regisseur und Produzentin?
Ich erlebe euch oft an Festivals wie Berlin oder Cannes, wo ihr begeistert aus einer Marktvorführung kommt. Was sind eure schönsten Erinnerungen der letzten Jahre?
Y: Ich glaube, da müssen wir Toni Erdmann erwähnen.
F: Ich erinnere mich, dass wir das Drehbuch gelesen haben und es zu lang fanden. Unbrauchbar.
Y: Wir waren unsicher. Und dann haben wir ihn in einer Privatvorführung im Riffraff gesehen, kurz bevor das Cannes-Festival begann. Wir pflegen ja mit Regisseuren wie Ken Loach, Aki Kaurismäki oder Jim Jarmusch über Jahre Beziehungen. So war es auch bei Maren Ade, deren ersten Film wir im Verleih hatten. In diesem Fall war auch die Beziehung zum Weltvertrieb The Match Factory wichtig, der uns sagte, Toni Erdmann werde im Cannes-Wettbewerb laufen. Also haben wir die Komödie in Zürich gesehen und waren total begeistert.
In Cannes gab es Standing Ovations in einem Saal mit 3000 Personen. Ihr habt Toni Erdmann in einer kleinen Gruppe in Zürich gesehen. Wie könnt ihr so entscheiden, ob ein Film Erfolg haben könnte?
Y: In diesem Fall waren wir eine kleine Einkaufsgruppe, fünf Leute. Man kann es immer nur bedingt sagen. Es geht um ein Bauchgefühl.
F: Ein Bauchgefühl, bei dem wir in 70 Prozent der Fälle falsch liegen.
C: Toni Erdmann hat einen speziellen Humor. Der Film haut die Figuren nicht in die Pfanne und schafft es, unsere kapitalistische Hamsterrad-Gesellschaft darzustellen. Und gleichzeitig ist es eine Familiengeschichte, auf eine aussergewöhnliche Art erzählt.
F: Good Bye Lenin! haben wir auch in einer kleinen Gruppe geschaut. Wir waren uns alle einig, dass das niemanden interessiert. Gekauft haben wir den Film trotzdem. An Angel at My Table habe ich mit einer befreundeten Produzentin auf einem nicht besonders grossen Fernseher gesehen, wir waren beide nicht beeindruckt. Zum Glück haben wir den Film trotzdem gekauft, denn das führte dazu, dass wir später The Piano von Jane Campion gekriegt haben.
Taxi Teheran von Jafar Panahi war auch so ein Festival-Glücksfall, oder?
Alle: Ja, in Berlin!
F: Wahnsinn. Wir sassen in der ersten Vorführung Im Berlinale-Palast, und zwei Stunden später hatten wir den Vertrag. Wir hatten das erste Meeting mit dem Weltvertrieb. Die hätten eine höhere Garantie haben können, wenn sie länger gewartet hätten. Aber am Ende spielt es gar keine Rolle, mit uns haben sie auch so gut Geld gemacht.
Y: Es ist aber nie nur Business. Das würde auch nicht funktionieren, weil Film ein Kunstgut ist. Es braucht eine Philosophie hinter allem.
F: Das führt auch dazu, dass man Leute mit einer ähnlichen Philosophie kennenlernt. Und das hilft wiederum, wenn man Rat braucht. Wenn wir unsicher sind, hilft das Vertrauen in die Leute, die einen schon lange begleiten. Und man kann grausam auf die Nase fallen, wenn man sich gegen solche Ratschläge entscheidet.
Mit welchen Regisseur:innen baut die Filmcoopi aktuell eine Beziehung auf? Petra Volpe?
C: Unbedingt. Wir hatten schon ihr Debüt Traumland bei uns im Verleih, im Herbst bringen wir Die goldenen Jahre, zu dem sie das Drehbuch geschrieben hat. Wenn man sich besser kennenlernt, weiss man irgendwann auch, wie man einen Film positionieren und wie die Pressearbeit aussehen sollte. Und natürlich halten wir auch Ausschau nach jungen Talenten, die eine eigene Handschrift haben.
Zum Beispiel?
Y: Aktuell ganz klar Cyril Schäublin und Unrueh.
C: Er hat mit Dene wos guet geit schon gezeigt, dass er eine eigene Vision hat. Und die Art, wie er erzählt, passt aus unserer Sicht gut zur Filmcoopi. Ausserdem lässt sich der Film über die Uhrenthematik in der Schweiz auch vermarkten.
F: Bei einigen jungen Talenten ist es halt so, dass sie mal einen Spielfilm drehen, dann wieder mit Netflix zusammenarbeiten und dann vielleicht eine Independent-Produktion machen. Für uns bedeutet dass, das sie ständig den Weltvertrieb oder die Produktionsfirma wechseln. Alice Rohrwacher aus Italien ist so ein Beispiel.
Ihr könnt euch doch auch darüber freuen, dass jemand, den ihr toll findet, auf anderen Kanälen weitermacht. Oder nicht?
Y: Kommt drauf an. Manchmal geschieht es, dass wir einen Film ab Drehbuch kaufen wollen, aber dann keine Chance mehr haben. Ein Beispiel war The Power of the Dog von Jane Campion. Ein unabhängig produzierter Western, die Rechte waren zu haben. Aber dann kaufte Netflix die Weltrechte – und wir konnten nichts mehr machen.
C: Im Einkauf sind die Streamingdienste zu unseren Konkurrenten geworden.
Y: Und doch gibt es weiterhin die Filme, die die Streamer nicht auf dem Plan haben. Zu entdecken gibt es immer etwas.
Das Filmpodium zeigt 38 Filme aus 50 Jahren Filmcoopi. Mit welchen von euren Filmen könnt ihr heute nicht mehr viel anfangen?
(alle überlegen lange und schauen ins DVD-Regal im Sitzungszimmer)
C: Vielleicht Miss You Already von Catherine Hardwicke. Oder dieser Gärtnerfilm von Florian Gallenberger, wie hiess der? Grüner wird’s nicht, sagte der Gärtner und flog davon.
Y: Ich möchte nicht einen bestimmten Titel nennen. Aber ich erinnere mich, wie wir das Drehbuch von Nanni Morettis Tre piani gelesen haben. Wir fanden es alle unglaublich gut. Aber den fertigen Film fanden wir kalt. Wir hatten das Buch viel wärmer gelesen und uns den Film anders vorgestellt. Solche Enttäuschungen kommen vor. Aber dann gibt es eben Regisseure wie Aki Kaurismäki oder Jim Jarmusch, wo so etwas nicht passiert.
F: Doch, es gab genau einen solchen Fall, nämlich Jarmuschs The Limits of Control. So ein kalter, distanzierter Film! Ich war schwer enttäuscht.
Wie ansteckend ist eure Begeisterung für eure Freund:innen, die nichts mit der Filmbranche zu tun haben? Verstehen sie, was ein Filmverleih macht?
C: Wenn ich erzähle, dass ich für einen «Filmverleih» arbeite, bin ich öfter schon gefragt worden, ob es Videotheken überhaupt noch gebe und was ich dort machen würde. Meistens hilft es, wenn ich die Leute frage, ob sie einen bestimmten Kinofilm gesehen haben. Dann kommt man weiter.
Y: Viele kennen die Filmcoopi nicht, weil sie im Hintergrund steht. Wir sind weder ein Kino noch eine Produktionsfirma. Wenn mich jemand fragt, dann sage ich: «Hast du den Film über Amy Winehouse gesehen?» Den haben nämlich die meisten gesehen. Und wenn man an eine Party geht und dort mit den Leuten redet, dann landet man am Ende sehr oft beim Kino. Und dann sagen die Leute dann auch: «Du hast einen coolen Job.»
F: Bloss haben sie das früher öfter gesagt als heute. Jetzt fragen sie eher, was wir angesichts der Übermacht von Netflix noch zu sagen haben.
Das wollte ich auch fragen. Wenn ein Verleih Filme in die Kinos bringt, sagt er dem Publikum auch, was es sich zu schauen lohnt. Heute hat man das Gefühl, dass sich die Leute die Filme selber holen. Hat sich euer Job dadurch gewandelt?
F: Wir bleiben Vermittler. Im Unterschied zu früher ist der Marketing-Posten einfach sehr viel höher. Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir Gefahr laufen, dass unsere Filme nach dem Startwochenende aus den Kinos rausfallen, wenn wir nicht genug Werbung schalten. Früher bestand das Marketing darin, dass wir einen Trailer geschaltet haben. Heute machen wir dramatisch viel mehr. Auch weil dank Digitalisierung einiges sehr viel billiger geworden ist.
Zurück zum Enthusiasmus: Welcher Film aus eurem Programm begeistert euch restlos?
F: Down by Law! 1980 habe ich in Mannheim zum ersten Mal Jim Jarmusch erlebt. Damals konnte das Branchenpublikum einen Film nachträglich in den Wettbewerb nominieren. Das haben wir mit Permanent Vacation gemacht, und prompt hat er gewonnen. Ein paar Jahre später beglückte Jarmusch mit Down by Law das Cannes-Publikum. Das war unser erster grosser Cannes-Einkauf.
Y: Sehr geblieben ist mir Amour von Michael Haneke. Zuerst in Cannes, dann in Zürich, wo wir Emmanuelle Riva eingeladen haben. Das hat mich alles sehr berührt.
C: Cold War von Pawel Pawlikowski. Die Bildkompositionen, die Schauspieler, alles super. Nach der Weltpremiere habe ich das Kino voller Gefühle verlassen.
Pascal Blum
Pascal Blum ist Kulturredaktor beim «Tages-Anzeiger».